Bauwerk

Bezirksgericht Deutschlandsberg, Zu- und Umbau
Ederer+Haghirian - Deutschlandsberg (A) - 2015
Bezirksgericht Deutschlandsberg, Zu- und Umbau, Foto: Alexander Gebetsroither
Bezirksgericht Deutschlandsberg, Zu- und Umbau, Foto: Alexander Gebetsroither

Bauen mit historischer Substanz

19. Juni 2016 - HDA
Nähert man sich Deutschlandsberg aus Richtung Graz kommend, so gibt es fürs erste keine Indizien dafür, dass der Ort über einen spätmittelalterlichen Kern und Marktplatz verfügen könnte. Eine kaum endenwollende, sehr dichte gewerbliche Zone markiert die Stadteinfahrt und ist zu durchqueren, bevor der Kirchturm der Ende des 17 Jhdts. erbauten Kirche plötzlich auftaucht und man sich ebenso plötzlich mitten auf dem alten Marktplatz befindet, von dem aus der Blick auf die mittelalterliche Burg freigegeben ist.
Auch am Marktplatz dienen die meisten Häuser zumindest in den Erdgeschoßzonen gewerblichen Zwecken. Werbetafeln und Firmenlogos dominieren den Anblick, der auf spätmittelalterliche Wurzeln zurückgehenden Häuser.
Ein Gebäude allerdings sticht hervor aus diesem Gewirr von Reklameschildern. Sich zurücknehmend, mit einer sympathischen Unaufdringlichkeit, liegt das Bezirksgericht Deutschlandsberg sich zum Marktplatz hinwendend und die Ecke zur Kirchengasse säumend.
 
Eine erste urkundliche Erwähnung des Hauses findet sich im Jahre 1448. Zunächst diente das Gebäude als bürgerliches Wohnhaus, später auch als Unterkunft für die Priester der angrenzenden Pfarre sowie als Pfarrhof. Bevor es schließlich 1896 zum Bezirksgericht wurde, waren noch ein Lehrer- und Schulhaus untergebracht.
 
Seit 2015 erfreut sich das denkmalgeschützte Gebäude eines Um- und Zubaus, geplant und ausgeführt von Ederer + Haghirian Architekten, Graz. Mit dem Abbruch des alten Gefängnisses an der Rückseite des Hauses wurde es möglich, den Bestand um notwendig gewordene Funktionen wie einen Verhandlungssaal, Büroräumlichkeiten, einen großzügigen Sozialraum sowie ein Archiv im Untergeschoß zu erweitern.
 
Der Nord-Süd gerichtete, zweigeschoßige Zubau setzt sich mit einer klaren Zäsur vom Bestandsgebäude ab. Ein von der Nordfassade zurückversetztes gläsernes Zwischenelement, in dem sich die Umgebung spiegelt und das sich in seiner Materialität nahezu aufzulösen scheint, bildet einen dezenten Berührungspunkt zwischen Alt und Neu. Unterstützt wird dies zudem durch die Revitalisierung eines alten, hölzernen Pawlatschengangs an der Innenhofseite. Durch das bewusste Absetzen dieses Gangs von der Außenfassade entsteht eine angenehme Leichtigkeit und Durchlässigkeit des Gebäudes über die Geschoße hinweg.
 
Der eigentliche Zubau ist ein schlichter verputzer Baukörper mit Lochfassade. Er bedient sich Versatzstücken des Bestands. So werden Fensterformate, Putzfaschen um die Fenster, Parapethöhen und Traufhöhe übernommen und zu einem dennoch eigenständigen Ensemble formiert. Auch die Farbgebung des Bestands wird aufgenommen. Je nach Tageszeit und Lichteinfall verändert der gesamte Gebäudekomplex seine Farbigkeit. So erscheint er mal in zartem Aprikot oder aber auch bei Abendsonne in feinen Rosarotnuancen.
Besonders ins Auge stechen die beiden Blindfenster auf Erdgeschoßebene. Sie lassen mit sehr eigenem Charme die leise Vermutung aufkommen, als wäre der Zubau schon immer dagewesen und nur für neue Zwecke adaptiert.  
 
Städtebaulich gewinnt die eigentliche, kaum beachtete Rückseite des Bezirksgerichts durch den Zubau, der sich exakt in das zur Verfügung stehende Areal einpasst, eine zweite Vorderseite. Es entseht eine eigene Platzsituation, die sich zwischen Kirche, Pfarrhof und dem Zubau aufspannt. Mit der funktionalen Zuweisung dieses Platzes als Parkplatz für die Bediensteten wird leider eine städtebauliche Möglichkeit in Form einer Erweiterung des Kirchplatzes vergeben. 
 
Das Innere des Gebäudes gestaltet sich als hell, lichtdurchflutet und offen, was nicht zuletzt dem reduzierten Materialeinsatz zu verdanken ist. Heller Terrazzo, Eichenholz und Glas sind die wesentlichen Materialien. Wenige, aber durchdachte Details unterstützen eine gewisse Geradlinigkeit und Solidität. So lehnt sich auch die schlichte und funktionale Raumaufteilung im Bestandsgebäude an die ursprüngliche Gebäudestruktur an. Insgesamt ist das Raumprogramm pragmatisch und funktional und trägt den Funktionsabläufen eines Bezirksgerichts vollkommen Rechnung.
 
Der großzügig gestaltete Sozialraum öffnet sich zum durch den Zubau entstandenen Innenhof, wodurch eine Erweiterung des Innenraums nach draußen hin entsteht. Tropfenartige Lampen über den Tischen verdoppeln sich in den verspiegelten Wandelementen und lassen den Raum noch einmal größer erscheinen.
 
Zurückhaltend zeigt sich auch der komplett in Eiche gehaltene Verhandlungsraum. An der Südseite zum Innenhof gelegen, strahlt er Ruhe und Besonnenheit aus.
 
Insgesamt entstanden ist ein sich zurücknehmender Baukörper, der sich dennoch selbstbewusst an den Bestand anlehnt und mit ihm eine eigenartige Symbiose in Form einer erheiternden Kommunikation eingeht. Etwas, das einem Amtsgebäude, wie das Bezirksgericht eines ist, nicht nur von außen richtig gut tut.
 
Der Frage in welcher Art und Weise mit einem historischen Gebäude umgegangen werden kann begegnen Ederer + Haghirian weder mit einem kompletten Bruch mit dem Bestand noch mit einer zeitgemäßen Transformation. Vielmehr arbeiten sie mit etwas, das zwischen diesen beiden Möglichkeiten liegt und vielleicht als ein plötzlicher Phasenübergang oder eine Art abrupter Transfer bezeichnet werden kann. Ein künstlerisch ästhetischer Ansatz, dem durchaus Bedeutung beigemessen werden kann, wie dies am Bezirksgericht Deutschlandsberg abzulesen ist.    
(Text: Franziska Hederer)

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Für den Beitrag verantwortlich: HDA

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