Bauwerk

Roche-Turm, Hauptsitz
Herzog & de Meuron - Basel (CH) - 2015
Roche-Turm, Hauptsitz, Foto: Hans H. Münchhalfen / ARTUR IMAGES
Roche-Turm, Hauptsitz, Foto: Hans H. Münchhalfen / ARTUR IMAGES

Der Roche-Turm zu Basel

Angelus Eisinger: «Es geht nicht nur um die Silhouette, sondern auch darum, ob ein Hochhaus Brücken zur Stadt schlagen kann.»

1. September 2010 - Roderick Hönig
Der Roche-Turm wird durch die geplante Höhe von 175 Metern das Stadtbild neu definieren. trotzdem ist in Basel kaum über das Projekt diskutiert worden. Fand in anderen Städten bei vergleichbaren Hochhaus-Projekten eine Diskussion statt?
Bei der Frage nach der Höhe von Hochhäusern handelt es sich um eine alte Debatte, die immer dann losgetreten worden ist, wenn es um die Konfrontation eines Hochhauses mit einer historisch gewachsenen Silhouette geht. Ich denke an die Diskussion rund um den Tour Montparnasse in Paris, an die bereits in der Zwischenkriegszeit verhandelte Frage des Umgangs mit Hochhäusern rund um die St. Paul’s Cathedral in London oder auch an das Hochhausverbot von Zürich in den Achtzigerjahren. Das waren zunächst Expertendebatten, die mit Stichworten wie Identität oder Bewahrung des Bestehenden emotionalisiert zu breiten Debatten wurden. Das Hochhaus wurde da meist ein Platzhalter für eine allgemeine Verunsicherung über den Gang der Dinge.

Wie verunsichert das Hochhaus den Basler Gang der Dinge?
Anlässlich des Roche-Turms wird eine andere, global bedingte Stadtlogik sichtbar, die Basel prägt. Roche ist Teil des globalen Wirtschaftsnetzwerkes, der Konzern kann sich da nicht einfach lokalen Betrachtungsweisen und Bedürfnissen unterwerfen. Solch globale Logiken artikulieren sich dann in einem hohen Gebäude mit 1900 Arbeitsplätzen. Sie sind auf der globalen Ebene stimmig, geraten aber in Konflikt mit den Orten, an denen sie stehen.

Das heisst, die Globalisierung verleiht dem Hochhaus neuen Schwung?
Ja, wir stecken in einer neuen Phase in der Auseinandersetzung mit dieser Bauaufgabe. Einerseits befinden wir uns immer noch in den Ausläufern des modernen Denkmodells, das das Hochhaus zur planerisch strikt kontrollierten Ausnahme erklärt hat. Es prägt die gesamten Planungsregeln in Europa, insbesondere in der Schweiz. Andererseits ist aber mit der internationalen Standortkonkurrenz eine Renaissance des Hochhauses eingeleitet worden, die ihm neue Aufgaben zuteilt: Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit für Unternehmungen auf globaler Ebene, Imagebildung über Architektur.

Kann man also sagen, dass das Hochhaus dem heutigen Planungsreglement Fragen stellt, auf welche dieses keine antworten parat hat?
Auf alle Fälle. Deshalb glaube ich auch, dass man die Frage nach dem Hochhaus viel grundsätzlicher thematisieren sollte. Wir müssen zuerst darüber nachdenken, ob wir das Hochhaus überhaupt wollen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es elementare Beiträge zur Stadtentwicklung leisten kann. Aber wenn wir mit dem bisherigen Planungsreglement weiterfahren, also einem engen Korsett, das dem Hochhaus keine Mehrausnützung ermöglicht, das es einzig als städtebaulichen Akzent versteht oder zur Schaffung von Freiflächen zwingt, werden wir uns nicht mehr lange mit ihm auseinandersetzen müssen.

Wieso?
Weil, sobald alle Industriebrachen mit ihren Mehrausnutzungen überbaut sind, es nur noch dort planungsrechtlichen Spielraum geben wird, wo noch Ausnützungsdifferenzen zwischen dem Gebauten und dem faktisch Möglichen liegen. Diese Differenzen sind aber in den wenigsten Fällen ausreichend, um ein Hochhaus ökonomisch attraktiv zu machen. Wenn man sagt, dass dem Hochhaus eine neue und wichtige Rolle zukommen soll, müssen auch die Spielregeln verändert werden.

Wie könnten solche veränderte Spielregeln aussehen?
Im Auftrag des Amtes für Städtebau Zürich habe ich mir verschiedene Planungsreglemente zu Hochhäusern in europäischen und nordamerikanischen Städten angeschaut. Ich habe festgestellt, dass gerade die Europäer dem Hochhaus gegenüber skeptisch eingestellt sind, aber dass in Städten wie Frankfurt oder Innsbruck, die bereits seit Längerem mit dem Hochhaus konfrontiert sind, ein äusserst produktiver Umgang mit dem Thema herrscht. Es geht hier nämlich um die Stichworte Weiterbauen und Bewirtschaften des Bestandes.

Welche Stadt geht am weitesten?
Innsbruck mit seinem Konzept «Urbanissima»: Die Stadt spricht sich für Hochhäuser aus, aber zu Bedingungen, welche die Stadt stellt. Innsbrucker Hochhäuser müssen eine gemischte Nutzung haben, müssen topografische Bedingungen oder Sichtachsen einhalten, geniessen dafür einen Bonus an Mehrausnützung. Erst mit diesem Instrument wird das Hochhaus für den Investor wie auch die Stadt interessant. Ironischerweise gibt es im Konzept einen Passus, der besagt, dass das Hochhaus nicht gebaut werden kann, wenn jemand innerhalb eines 300-Meter-Radiusses Einsprache erhebt. Das zeigt die tief sitzende Ambivalenz im Umgang mit dem Hochhaus.

Was bringt die private Landmarke Roche-Turm der Stadt?
Zwei Dinge: Auf der einen Seite kann er Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für Basel weltweit generieren. Auf der anderen Seite festigt und intensiviert der Turm wohl die Betriebsabläufe von Roche in Basel. Darüber hinaus sehe ich allerdings keinen unmittelbaren Mehrwert für Basel. Der Mehrwert für eine Stadt ist aber nicht zwingend eine Frage des Hochhauses, denn auch der Novartis-Campus geht wenig Beziehung mit der Stadt ein, obwohl er ein städtebaulich und ästhetisch perfekt inszeniertes Stück Stadt ist.
Bei der Projektpräsentation war von «städtebaulicher Eingliederung» die rede. Kann sich ein 175 Meter hohes Gebäude überhaupt städtebaulich eingliedern? Wieso denn nicht? Wenn wir an die wirklich hohen Gebäude, wie beispielsweise den Eiffelturm denken, merken wir, dass sich unsere Wahrnehmung mit der Zeit komplett verändert hat. Er ist aus der Pariser Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken. Städtebauliche Eingliederung ist eines, architektonische Präsenz das andere. Denn je nach Positionierung, Gestaltung und Ausformulierung des Volumens kann ein Projekt aus unterschiedlichen Perspektiven ganz anders wirken. Eine Höhenquote auf der anderen Seite kann bestimmte Exzesse verhindern, ob dann aber das Hochhaus stadtverträglich ist, ist eine andere Frage. «Städtebauliche Eingliederung» muss viel breiter gefasst werden: Es geht nicht nur um die Silhouette, sondern auch darum, ob ein Hochhaus funktional Brücken zur Stadt schlagen kann.


[Angelus Eisinger: Der Städtebau- und Planungshistoriker ist Professor für Geschichte und Kultur der Metropole an der HCU in Hamburg und Dekan des Studiengangs Kultur der Metropole. Im Auftrag des Amtes für Städtebau der Stadt Zürich hat er Hochhaus-Planungsreglemente in Europa und Nordamerika untersucht.]

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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