Bauwerk

Kapelle Salgenreute
bernardo bader architekten - Krumbach (A) - 2016

Eins mit Ort und Menschen

Kapelle Salgenreute in Krumbach (A)

1. September 2017 - Roland Pawlitschko
Die rund 1 000 Einwohner zählende Gemeinde Krumbach liegt 15 km östlich von Bregenz im Bregenzerwald und hat mit Arnold Hirschbühl einen Bürgermeister, der seit gut 20 Jahren aktiv daran arbeitet, jener Abwanderung junger Menschen entgegenzuwirken, die vielen Dörfern die Existenzgrundlage entzieht. So entstanden rund um die Kirche z. B. ein neues Dorfhaus mit Nahversorgern, Café und Bank (1999), die Modernisierung des Gemeindehauses (2002) und ein neues Pfarrhaus mit Bibliothek und Mehrzwecksaal (2013) – allesamt nach Plänen des Architekten Hermann Kaufmann, letzteres in einer Arbeitsgemeinschaft mit Bernardo Bader und Bechter Zaffignani Architekten. Diese und noch einige andere Projekte treten dabei nicht als isolierte Einzelprojekte auf, sondern bilden ein bemerkenswertes architektonisches und funktionales Ensemble, das auf einer umfassenden, von Bernardo Bader, Rene Bechter und Hermann Kaufmann durchgeführten Ortskernstudie basiert.

Große Aufmerksamkeit erhielt Krumbach auch durch das Bus:Stop-Projekt, bei dem im Jahr 2014 sieben internationale Architekten – darunter Sou Fujimoto, Ensamble Studio und der Pritzker-Preisträger Wang Shu – jeweils ein Bushaltestellen-Häuschen planten. Das wirklich Besondere dabei sind keineswegs die ausgefallenen Bauwerke selbst, sondern vielmehr der Rahmen, in dem sie realisiert wurden. Weil es zur Umsetzung der vom Verein »Kultur Krumbach« an die Gemeinde herangetragenen Idee der Zusammenarbeit mit namhaften Architekten nur so viel Geld gab wie für die ohnehin nötigen ­Standard-Häuschen, erhielten die Architekten kein Honorar, sondern je eine Woche Urlaub in der Gegend. Darüber hinaus wurden die Projekte ehren­amtlich betreut und von regionalen Architekten und lokalen Handwerkern z. T. aus gespendetem Material gebaut.

Gemeinschaftswerk

Diese Vorgeschichte ist wichtig, um das Projekt der Lourdes-Kapelle Salgenreute besser einordnen zu können. Denn ursprünglich errichtet wurde sie nicht etwa von der Gemeinde oder der Kirche, sondern auf Eigeninitiative ­einer ortsansässigen Familie. Sie hatte um 1880 auf einem Nagelfluh-Berg­rücken eine Holzkapelle gebaut, die von Einwohnern der umliegenden Ortsteile Zwing, Au und Salgenreute genutzt wurde: zur stillen Einkehr, für Maiandachten und Marienfeste, als Wetterglocke und um insbesondere im Winter nicht mehr zur einige Kilometer entfernten Dorfkirche gehen zu müssen. Nachdem die nicht denkmalgeschützte Kapelle im Lauf der Zeit marode geworden war, entschieden sich die Bewohner 2014 für einen Abriss und Ersatzneubau – ohne zu diesem Zeitpunkt genau zu überblicken, was im Folgenden zu tun war. Um in Krumbach an einem solchen Punkt weiterzukommen, ­bedurfte es freilich keiner öffentlichen Bekanntmachung. Nicht zuletzt, weil die Dorfgemeinschaft dank der vorherigen Projekte gut funktionierte, fanden sich schnell kompetente Helfer. Einer von ihnen war Bernardo Bader, der hier nicht nur aufgewachsen ist, sondern auch lebt. Dass er das Projekt gern in Form einer unentgeltlichen Projektplanung und -koordination unterstützen würde, war ihm sofort klar.

Nach gemeinsamen Exkursionen zu vergleich­baren Projekten und zahlreichen, quasi öffentlichen Besprechungen im Gasthaus Löwen, begann Bader mit der Arbeit – einen Vertrag, eine konkrete Beschreibung der Bauaufgabe oder ein definiertes Budget erhielt er bis zum Schluss nicht. Die einzigen Entwurfsvorgaben betrafen den Standort: die ­Kapelle sollte, wie zuvor, über 24 Sitzplätze verfügen, sie musste aufgrund der exponierten Lage auf dem Bergrücken sowohl gleich breit und in etwa gleich lang als auch möglichst nicht höher als der Vorgängerbau sein. Die daraufhin präsentierten Modellstudien fanden rasch breite Zustimmung und zeigten im Prinzip das heutige Projekt: ein monolithisch wirkendes Gebäude mit steilem Dach und vollflächiger, von einer Tropfkante in Traufhöhe gegliederten Holzschindelbekleidung.

Ortsverbundenheit

Von einer schmalen Straße führt kein richtiger Weg, sondern ein breiter, mit dichtem Gras bewachsener Trampelpfad aus verdichtetem Kies in weitem Schwung zur Kapelle hin. Eine solche Lösung war einerseits nötig, weil die Kapelle nur über eine private Wiese erreichbar ist, deren Bewirtschaftung nicht durch asphaltierte Flächen, Bordsteine o. ä. beeinträchtigt werden ­durfte. Andererseits zeugt dieser Fußweg auch von der sensiblen Einbettung der Kapelle in die örtlichen Gegebenheiten: sie wird in mehrfachem Wortsinn nicht auf einen Sockel gehoben, sondern ist selbstverständlicher Teil ihres landschaftlichen und sozialen Umfelds.

Ein niedriger, offener Vorraum mit einer festlichen Tür aus gehämmerten Messingstreifen empfängt die Besucher und bremst ihren Bewegungsfluss sanft ab – über dem Vorraum befindet sich, in einem geschlossenen Hohlraum, die Glocke. Sollte die Tür für Menschen, die hier innehalten möchten, je verschlossen sein, erlauben zwei große, seit­liche Fest­verglasungen zumindest den Blick ins schlichte Innere der Kapelle.

Der dem äußeren Gebäudevolumen entsprechende Innenraum ist zweigeteilt. Im vorderen Bereich mit den Tannenholz-Bänken bestehen die unmittelbar in die geneigten Dachflächen übergehenden Wände und die zwölf grazilen Spanten – ebenso wie der Boden – aus unbehandelter Tanne. Anders als diese auf traditionelle bäuerliche Stuben bezugnehmende Materialität erscheint die dreiecksförmige, um eine Stufe erhöhte Apsis als eine Art Schmuckkästchen in weiß getünchter Tannenholztäfelung. Der Raum wirkt sehr natürlich, was nicht nur an seinen Holzoberflächen, sondern v. a. auch an seiner archaischen Form liegt. So verengt sich die Apsis trichterförmig nach Osten hin bis zu ­einer mittig angeordneten, rahmenlos verglasten Öffnung, die den Blick auf eine nahe Baumgruppe, sowie auf die Felder, Wälder und Wiesen des Bregenzerwalds freigibt. Die stille Symmetrie des Raums wird von der asymmetrischen Platzierung des Altarblocks, der Kerzenständer und der aus der alten Kapelle stammenden Marienfigur – deren blaue Schärpe den einzigen Farbakzent im Innenraum bildet – überlagert: Im Raum ergibt sich eine unaufgeregte Spannung, die der durchweg feinsinnig ­detaillierten Komposition mit denkbar wenigen Mitteln ein hohes Maß sakraler Würde verleiht. Über einem Betonsockel, bekleidet mit Bregenzerwälder Sandstein, ist die Kapelle konstruktiv als Holz-Faltwerk aus 6 cm dicken Fichten-Kreuzlagenholzplatten (mit innerer Tannenholz-Deckschicht) konzipiert, das durch die polygonale Dachform ausgesteift wird. Die Spanten minimieren hierbei lediglich die Durchbiegung der Massivholzwände. Eine offene Fuge zwischen Sockel und Holzaufbau ermöglicht eine natürliche Luftzirkulation sowohl im unbeheizten Innenraum als auch im Bereich der gesamten Holzkonstruktion und verhindert so in der kalten Jahreszeit die Kondensatbildung.

Handeln statt reden

Der Bau der Kapelle erfolgte v. a. mithilfe von Geld- und Materialspenden ­sowie durch verbilligt bzw. kostenlos erbrachte Arbeitsleistungen. Sowohl der Abbruch der alten Kapelle als auch der Neubau erfolgten weitgehend in ­Eigenregie, wobei sich Menschen aus Krumbach, aber auch aus umliegenden Gemeinden, entsprechend ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten einbrachten: Schreiner, Metallbauer, Holzschindelhersteller, aber auch die Restauratorin der Marienfigur sowie eine Bank, die ein zinsloses Darlehen ermöglichte.

Durch das von Anfang an zelebrierte Miteinander entwickelte sich die Kapelle zu einer identitätsstiftenden öffentlichen Angelegenheit. Und so war es geradezu selbstverständlich, dort bereits während der Bauphase gemeinschaftsfördernde Veranstaltungen durchzuführen.

Insgesamt betrugen die Baukosten für die Kapelle knapp 100.000 Euro, von denen lediglich ein Fünftel von der Gemeinde beigesteuert wurde. Ein kleiner Teil der heute noch offenen Rechnungen wird durch den Erlös aus dem Verkauf eines von Bernardo Bader herausgegebenen, ebenso informativen wie ­ästhetischen Buchs (sowohl im Gemeindeamt als auch in der Kapelle erhältlich) beglichen. In der Kapelle ist hierfür ein kleiner Opferstock aufgestellt und die Chancen stehen gut, dass auch der Restbetrag in nicht allzu ferner Zukunft abbezahlt sein wird.

Was die Kapelle Salgenreute neben ihrer archaischen Ausstrahlung so faszinierend macht, ist ihre raumgewordene Haltung, die für etwas steht, was ­heute mehr denn je wünschenswert ist: das vertrauensvolle gemeinsame ­Handeln anstelle des ebenso end- wie ergebnislosen Redens.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Archfoto

Faruk Pinjo