Bauwerk

Bildungszentrum Pestalozzi
nonconform, Michael Zinner - Leoben (A) - 2016

Licht von allen Seiten

Gelungener Umgang mit einem schwierigen Denkmal: Aus der Pestalozzi-Hauptschule im steirischen Leoben-Donawitz entstand das Bildungszentrum Pestalozzi. Dem Umbau, verantwortet vom Büro Nonconform und dem Architekten Michael Zinner, ging eine gemeinschaftliche Ideenwerkstatt voraus.

12. März 2017 - Christian Kühn
Ein unsympathisches Haus: Vor zwei Jahren habe ich die Pestalozzi-Schule erstmals besucht, kurz vor dem Umbau, und viel mehr als dieses Urteil ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Stilistisch ist dieses Bauwerk schwer einzuordnen. Einige sezessionistische Elemente können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Grunde ein klassischer, dezent monumentaler Nutzbau aus den späten Jahren der K.-u.-k.-Monarchie sein möchte. Das planerische Niveau dieser Zeit wird hier aber bei Weitem nicht erreicht. Dazu ist das Haus im Grundriss zu verwinkelt, in der Ornamentik unbeholfen, und dem Mittelrisalit fehlt zur Symmetrie so eindeutig eine Fensterachse, dass es beim längeren Hinsehen wehtut.

Trotzdem war das Gebäude zu seiner Errichtungszeit in den Jahren 1921 bis 1927 ein Statement. Die Gemeinde Donawitz bekannte sich dazu, auch in den harten Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg Geld in Bildung zu investieren. Dass sie die Schule genau an die Grenze zu Leoben setzte, war kein Zufall: Damals noch eigenständig, wollte sich Donawitz gegenüber dem Nachbarn profilieren. Dabei dürfte sich die Gemeinde übernommen haben: Nicht zuletzt die hohen Kosten des Schulhauses trieben Donawitz in einen Bankrott, der schließlich zur Gemeindezusammenlegung mit Leoben führte.

Der Denkmalschutz für dieses Gebäude hat also durchaus Berechtigung. Er begründet sich in einem zumindest auffälligen Kunstwollen und der sozialgeschichtlichen Bedeutung. Für eine Umnutzung stellt er aber eine große Herausforderung dar, nicht zuletzt weil zu den schützenswerten Besonderheiten graue Terrazzo-Böden und -wände zählen, die dem Haus im Inneren den Charme eines Industriebaus verleihen.

Die Attraktivität des Gebäudes spielte in diesem Fall aber eine besondere Rolle, sollten doch hier nach der Sanierung drei verschiedene Schulen zusammengelegt werden: die bestehende Hauptschule als Neue Mittelschule, eine Volksschule mit angegliederten sonderpädagogischen Klassen sowie eine Polytechnische Schule. Um Kosten zu sparen, entschied sich die Gemeinde dafür, nicht alle drei Standorte zu sanieren, sondern nur den größten, der genügend Fläche für alle drei Schulen aufzuweisen hatte.

Die ersten, mit dem Denkmalamt abgestimmten Pläne für eine Sanierung existierten bereits. Sie sahen neue Fenster, bessere Wärmedämmung und eine Verbesserung des Standards der Klassenräume vor. Die Baudirektion von Leoben erkannte aber in Gesprächen mit den zukünftigen Nutzern, dass dieser Umbau sich nicht auf eine Sanierung der Oberflächen beschränken durfte. Die Volksschule war zuvor in einem kleineren Gebäude mit eigenem Garten untergebracht gewesen. Ihr die Übersiedlung hierher nur mit ökonomischen Sachzwängen der Gemeinde zu erklären wäre eine Zumutung gewesen. Die Herausforderung war, aus der Sanierung einen so substanziellen Umbau zu machen, dass die Nutzer die Übersiedlung als Verbesserung ihrer Situation empfinden konnten.

Voraussetzung dafür war ein umfassender Beteiligungsprozess, für den die Gemeinde das Büro Nonconform – bekannt unter anderem für die Auslobung des Landluft-Gemeindepreises – und den Architekten Michael Zinner engagierte, der Architektur und Schulbau sowohl an der Kunstuniversität in Linz als auch an pädagogischen Hochschulen lehrt. Das Beteiligungsformat, das Nonconform für solche Fälle entwickelt hat, nennt sich „Ideenwerkstatt“ und erklärt sich am besten aus seinem Slogan: „In drei Tagen ist alles anders.“

In der Ideenwerkstatt, die 2014 stattfand, erfanden Lehrer, Schüler und Gemeindemitarbeiter das Projekt unter Anleitung eines achtköpfigen Teams neu, und zwar so radikal, dass am Ende die interessanteste Sanierung eines denkmalgeschützten Schulhauses, die es in Österreich in den letzten Jahren gegeben hat, entstand. Die Analyse des Istzustands erbrachte ein erwartungsgemäß kritisches Ergebnis. Die Schule hätte ein „dunkles Herz“: Der Punkt, an dem alle Schülerströme zusammenlaufen, sei eng und schlecht belichtet. Sie hätte „tote Enden ohne Durchblick“: Das labyrinthische Erschließungssystem erzeuge nicht nur für kleinere Kinder Angsträume ohne Ausblick. Und schließlich wurden die „leeren Gänge“ kritisiert, die mit ihren Terrazzo-Oberflächen als reine Verkehrswege ohne Aufenthaltsqualität wirkten. Zusätzlich fehlte es der Schule an Nutzflächen für eine Bibliothek und eine Mensa. In der Ideenwerkstatt entstanden über 1000 Vorschläge, nicht nur als Text, sondern auch in zahlreichen Skizzen, die von den Architekten mit den Nutzern erstellt wurden. In drei Tagen kann zwar kein fertiges Projekt entstehen, aber sehr wohl ein Leitbild und zahlreiche einzelne Ideen, die dann in der weiteren Planung integriert werden müssen.

Bereits in der Ideenwerkstatt war klar, dass die Schule ein neues Herz bekommen sollte, mit Licht aus allen Richtungen. Voraussetzung dafür waren zahlreiche horizontale und vertikale Durchbrüche im zentralen Gebäudeteil, die das Denkmalamt in Abwägung von Erhaltungs- und Nutzerinteressen klar im Interesse der Nutzer bewilligte. Im ersten Obergeschoß liegen hier alle drei Direktionen nebeneinander, über raumhohe Glaswände für alle Vorübergehenden einsichtig. Transparenz gibt es auch zwischen Gang und Klasse, aufgrund der dicken Ziegelmauern nicht raumhoch, sondern als kreisrunde Tunnels ausgeführt, mit 80 Zentimeter Durchmesser gerade so groß, dass es sich kleinere Kinder in den „Tunnelportalen“, die in den Gang hinausragen, bequem machen können. Alle Klassenräume sind als „Tandemklassen“ ausgeführt: Jeweils zwei sind miteinander verbunden, unspektakulär über zwei Türen, aber ausreichend zur gemeinsamen Gestaltung des Schulalltags ohne Umweg über den Gang. Bibliothek und Mensa bekamen einen Zubau in einem der Höfe, mit Spielterrasse im ersten Stock und einer großen Gartentreppe.

Diese Sanierung eines schwierigen Baudenkmals ist der aktuelle Benchmark, an dem sich andere messen sollten. Nicht alles wird man unhinterfragt lassen: Ist der Zugang zu den Zentralgarderoben im Keller über massiv geratene Rampenbauwerke vor der Schule wirklich die beste Lösung? Musste man die alten Eingänge sperren, nur weil sie nicht mehr barrierefrei sind, und allen Besuchern den Umweg durch den Hof zumuten? Hätte man – statt die Fassade mit einem einheitlichen Beige zu malen – deren ursprüngliche Polychromie nicht doch aufnehmen sollen, selbst wenn die originalen Farbtöne nicht mehr feststellbar waren? Auch aus diesen Punkten spricht aber zumindest der Wunsch, eine radikale Lösung zu finden, also an die Wurzel der Probleme zu gehen. Wer traut sich das heute noch im österreichischen Schulsystem?

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