Bauwerk

Konzerthaus München - Wettbewerb
Cukrowicz Nachbaur Architekten - München (D) - 2017
Konzerthaus München - Wettbewerb, Schaubild: Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH
Konzerthaus München - Wettbewerb, Foto: Hans-Joachim Wuthenow

Vom Knödelsilo zum Klangapparat

München baut ein neues Konzerthaus. Geplant wird der „Schneewittchensarg“ von den Vorarlberger Architekten Cukrowicz Nachbaur, die mit dieser Bauaufgabe auf der Tonleiter ganz nach oben klettern.

4. November 2017 - Wojciech Czaja
Es hat nicht lange gedauert, schon haben die Münchner die ersten Spitznamen gefunden. Die einen sprechen von „Glasscheune“, die anderen von „Gewächshaus“, wiederum andere glauben, in dem vor wenigen Tagen öffentlich gewordenen Entwurf einen „Schneewittchensarg“ zu erkennen. Der Münchner FDP-Stadtrat und Preisrichter Wolfgang Heubisch zeigt sich über diese Entwicklung mehr als zufrieden: „Es ist ein richtiger Streit um Architektur. Das ist großartig in dieser Stadt, in der es beim Bauen sonst immer nur um Gewinn- und Flächenmaximierung geht.“

Die Rede ist vom neuen Konzerthaus, das auf den ehemaligen Pfanni-Gründen im Osten der Stadt, im sogenannten Werksviertel, entstehen soll. Wo einst Kartoffelpüree und Semmelknödel für die Unilever-Gruppe produziert wurden, errichtet der Freistaat Bayern in den kommenden Jahren Münchens neue Musikkathedrale. Der Entwurf dafür stammt vom Bregenzer Architekturbüro Cukrowicz Nachbaur.

In einem EU-weiten Wettbewerb konnten sich die beiden Gsiberger gegen hochrangige Konkurrenten wie etwa Mecanoo, David Chipperfield und Zaha Hadid Architects durchsetzen. Es ist das bislang größte Projekt von Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm, die im Ländle, aber auch in Bayern und in der Schweiz seit gut 20 Jahren Wohnbauten, Sporthallen, Volksschulen, Kirchen, Gemeindeämter und Industriebauten errichten und auf diese Weise vorexerzieren, wie sexy Holzkiste sein kann.

„Es war ein langer Prozess, bis wir die richtige Antwort auf die Bauaufgabe gefunden haben“, erinnert sich Anton Nachbaur-Sturm. „Wir haben organische und kubische Bebauungen ausprobiert, sind aufgrund der Rahmenbedingungen letztendlich aber wieder dort gelandet, wo wir am besten sind. Wir haben uns für eine einfache, prägnante Form entschieden. Das liegt uns mehr als das Spektakuläre.“ Ob man damit gerechnet habe, den Wettbewerb zu gewinnen? „Oh nein! Hoffnung gibt es immer. Aber wir wussten, dass wir mit unserem Projekt polarisieren würden. Und das tun wir auch, wenn man sich die aktuelle öffentliche Diskussion anschaut.“

Doch die hat nicht nur mit der Architektur zu tun. Denn während die beiden Vorarlberger für ihr „Spitzenniveau“ (Bauminister Joachim Herrmann, CSU) in der deutschen Medienlandschaft abgefeiert werden, gibt es andernorts Bedenken ob der mit diesem Entwurf gebrochenen städtebaulichen Leitlinien und Bebauungsvorschriften – aber auch ganz grundlegende Zweifel daran, ob ein Musikzentrum an diesem Ort und unter diesen Rahmenbedingungen wirklich die richtige, zukunftsfähige Entscheidung sei.

Einerseits widersetze sich der Entwurf von Cukrowicz Nachbaur mit seinen 45 Metern Bauhöhe, so die Kritiker, der im Bebauungsplan festgehaltenen Höhenbeschränkung von 26 Metern. Andererseits soll das Haus ausgerechnet auf Pfanni-Land errichtet und um 600.000 Euro jährlich mit Steuergeldern gepachtet werden. Nicht alle zeigen sich mit der Entscheidung zufrieden, sich mit einem wohlgemerkt öffentlich finanzierten und öffentlich betriebenen Kulturbau in Form von Erbpachtrecht auf ewige Zeiten an die industriellen Erben zu binden.

Idee eines Klangspeichers

„Ja, wir sind ein Risiko eingegangen, indem wir die maximal zulässige Bebauungshöhe überschritten haben“, sagt Andreas Cukrowicz. „Nur ist es halt so, dass wir Querdenker sind und dass wir nicht nach der besten Antwort für die Ausschreibung gesucht haben, sondern uns stets um die beste Antwort für die jeweilige Bauaufgabe bemühen. Sämtliche Licht- und Schattenkonsequenzen für die benachbarten Häuser haben wir in unserem Entwurf berücksichtigt.“

Letztendlich hat die Form auch symbolischen Charakter: „Wir sind hier mitten auf einem ehemaligen Industrieareal. Daher haben wir uns von der Idee eines Silos, eines transparenten, lichtdurchlässigen Klangspeichers inspirieren lassen.“ Oder, wie der Juryvorsitzende Arno Lederer dies in seinen Worten ausdrückt: „Dieses Haus ist einprägsam. Jeder, der die Form einmal gesehen hat, kann nach Hause gehen und sie aufzeichnen. In diesem heterogenen Umfeld ist das Gebäude ein nobler Ruhepunkt. Zurückhaltend und ausdrucksstark zugleich, in dieser Form an keinem anderen Ort zu finden.“

Unter dem gläsernen Berg verbirgt sich ein neungeschoßiger Bau mit einem kleinen Saal für 600 bis 900 Personen, einem großen Saal für bis zu 1900 Personen, einer Werkstatt sowie diversen Sonderräumen und Foyers. Im großen Saal, erklären die Architekten, werde kein Sitzplatz weiter als 32 Meter von der ersten Geige entfernt sein. Als akustisches und geometrisches Vorbild gilt der Wiener Musikvereinssaal mit seinen Proportionen von 2:1:1. Die genauen akustischen Berechnungen stehen noch aus und sollen nun im nächsten Schritt ausgeschrieben werden. Die kolportierten Gesamtbaukosten liegen bei 150 bis 300 Millionen Euro.

Früher, sagt Anton Nachbaur-Sturm, sei der städtische Wettbewerb im Kirchenbau ausgetragen worden. Seit Bilbao habe sich der weltweite Image-Kampf auf den Museumsbau verlagert. „In jüngster Zeit jedoch, scheint es, misst man sich mit den Häusern der Musik. Natürlich macht es uns stolz, in diesem heiß umkämpften Genre ein Leuchtturm-Projekt realisieren zu dürfen. Wir sprechen hier von einem Haus und von einem Symbol mit großen und weittragenden Inhalten.“

Alemannische Nüchternheit

Von einem „gelungenen Kompromiss zwischen architektonischem und musikalischem Anspruch“ titelte die Süddeutsche Zeitung vor wenigen Tagen etwas bescheiden. Und in Zeiten von Pomp und Trara, in denen zwischen Aalborg (Coop Himmelb(l)au), Paris (Jean Nouvel), Dallas (Norman Foster), Taichung (Toyo Ito) und Guangzhou (Zaha Hadid) ein regelrechter Kampf um das imposanteste Opern- und Konzerthaus entfacht ist, scheint das ein gar nicht so schlechtes Kompliment zu sein.

Nach einem jahrelangen Spiel um das schönste und größte Spektakel, den zweifelsohne Herzog & de Meurons Elbphilharmonie in Hamburg für sich entschieden hat, ist es umso verwunderlicher, dass in München nun ein Projekt mit alemannischer Nüchternheit und archaischer Tobleronistik punktet. Ist das vielleicht der Beginn einer neuen Bescheidenheit? Man darf gespannt sein auf die neue Tonlagen.

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