Bauwerk

Museum Franz Gertsch
Jörg + Sturm - Burgdorf (CH) - 2002

Ein „Kraftort der Kunst“

Zur Eröffnung des Museums Franz Gertsch in Burgdorf

Viele Jahre lang hat der Künstler von einem eigenen Museum für seine grossformatigen Bilder und Holzschnitte geträumt. An diesem Wochenende nun wird in Burgdorf das Museum Franz Gertsch eröffnet, das ein Ort lebendiger künstlerischer Auseinandersetzung sein will. Zur Eröffnung werden zentrale Werke von Gertsch präsentiert.

Künftig halten vielleicht mehr Züge in Burgdorf. Der Ort, der bisher im kulturellen Windschatten von Bern stand, hat einen Anziehungspunkt erster Güte erhalten. «Einen Kraftort der Kunst» wollen die Initiatoren aus dem Museum Franz Gertsch machen. Das international bekannte und anerkannte Werk von Franz Gertsch (geb. 1930 in Mörigen) rechtfertigt diese grossen Ambitionen. Seine Bilder und Holzschnitte von meist monumentalem Format haben nun ein eigenes Museum, gleichsam einen adäquaten Rahmen gefunden. Von diesem Zentrum aus sollen aber auch Kanäle zu anderen Kunstinstitutionen führen, um sein Werk möglichst lebendig in den heutigen Kunstdiskurs einzubringen. Nicht jedem Künstler käme ein eigenes Haus gelegen. Je expansiver und enzyklopädischer jemand arbeitet, je stärker er die ephemeren Medien wie Video und Installationen bevorzugt, desto eher würde er einen Bau für sein Werk als Einschränkung empfinden. Bei Gertsch aber, diesem akribischen «Langsamarbeiter», diesem minuziösen Erschaffer bannender Riesenformate, gehört der Raum zur Kunst. So liegt es denn auf der Hand, dass Gertsch sich schon seit Jahren mit der Vision eines eigenen Museums getragen und darauf hingewirkt hat, indem er viele wichtige Arbeiten bei sich behielt, obschon sie auf dem Markt höchst begehrt sind. Diese Voraussicht kommt dem Museum Franz Gertsch zugute, vermag es doch nun einen geschlossenen Überblick über die letzten fünfzehn Jahre seines Schaffens zu vermitteln. In fünf Räumen sind 31 Werke zu sehen. Den Arbeiten wird dank der grosszügigen Hängung der nötige Atemraum zugestanden.


Aussen grau, innen weiss

Mehrere Geburtshelfer standen Gertsch beim Austragen und Realisieren seiner Vision zur Seite. Spontan konnte sich der Industrielle Willy Michel für das Projekt Museum Franz Gertsch begeistern. Er scheute keine Mittel an Finanzen, aber auch nicht Zeit und Engagement, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Das Büro Jörg & Sturm aus Langnau/Bern ging als Sieger aus dem Ideenwettbewerb hervor. Ihr erster Museumsbau stellte die Architekten vor besondere Herausforderungen. Für Spezialfragen wendeten sie sich an in diesem Bereich erfahrenere Kollegen und profitierten etwa für die differenzierte Lichtführung mit Oberlichtbändern und je nach Raum variierenden Kunstlichtflächen von Herzog & de Meurons durchschlagenden Ideen bei der Einrichtung der Tate Modern. Franz Gertsch beschäftigte sich selbst bis in jedes Detail hinein mit seinem Haus. Es entstand im ständigen Dialog mit dem Künstler. Jörg & Sturm sind in der Schlichtheit der Bauweise, die beinahe einem Understatement gleichkommt, ihrem ästhetischen Prinzip treu geblieben. Das Gebäude konstituiert sich im Wesentlichen aus zwei Kuben, die aus nichts anderem als aus Beton und Glas bestehen. Diese Sparsamkeit im Einsatz der Materialien verleiht dem Haus seine einheitliche Wirkung. Bewusst wurde das Museum nicht in die Umgebung integriert. Es scheint sich auf sich zu besinnen, was auch der kleine, ins Museum integrierte Garten - ein stiller Ort zum Erinnern des Gesehenen - verdeutlicht. Ausser den Wegen, die aus der Stadt kommen, wie untiefe Schluchten durch den Museumskomplex führen und wieder weiterleiten, gibt es keine direkte Verbindung zum umliegenden Gelände. Nach aussen zeigt sich das Museum zurückhaltend in grauem Sichtbeton, innen sind die Wände weiss getüncht und einladend.

Der Besuch des Museums ist von keiner Chronologie bestimmt. Man absolviert keinen Rundgang, sondern schreitet von Zentralraum zu Zentralraum. Dieses Konzept wird Gertschs Arbeitsweise gerecht, die nicht die grossen Veränderungen sucht, sondern das insistierende Vertiefen und leise Variieren einzelner Bildideen. So gesehen gibt es keine Entwicklung auf einen Höhepunkt hin. Jedes Werk und jeder Werkkomplex sind eine Klimax für sich und bestimmen einen Raum, als wäre er der einzige und wichtigste. Man betritt Räume mit Oberlicht und solche mit Seitenlicht. Nur in einem Saal hat man sich für Kunstlicht entschieden. Hier können künftig auch Videoarbeiten vorgeführt werden. Die Infrastruktur jedenfalls ist gegeben.


Kunst im Dialog

Nicht eine möglichst museale Präsentation eines Œuvres wird in Burgdorf anvisiert. Vielmehr soll sich mit dem Museum Franz Gertsch ein Ort lebendiger künstlerischer Auseinandersetzung etablieren. Dafür sorgt zuallererst Gertsch selbst, der seine weiteren Werke dem Museum zur Verfügung stellen wird. Dazu verpflichtet sich aber auch der Museumsdirektor Reinhard Spieler, der für die Ausstellungen im Museum wie für das Geschehen in der angegliederten und finanziell mit dem Museum verbundenen Galerie im Park verantwortlich zeichnen wird. Während im Franz- Gertsch-Haus neben Präsentationen seines Werks unter verschiedenen Schwerpunkten auch andere, mit ihm dialogisierende oder auch kontrastierende Positionen gezeigt werden, sollen die Räume in der Galerie im Park jüngeren Kunstschaffenden offen stehen. Den Auftakt macht die in letzter Zeit viel beachtete Berner Künstlerin Chantal Michel.

Zur Vernissage des Museums werden zentrale Werke aus dem Œuvre von Franz Gertsch in prominenter Hängung präsentiert. Einen Hauptakzent setzt das durch seine vielseitige Rezeption berühmt gewordene Gemälde «Silvia» . Das Bildnis der jungen, kritisch in die Kamera blickenden Frau wird gemeinsam mit den grossen Grasbildern gezeigt. Von den wandausgreifenden Drucken und Gemälden, die zum ersten Mal so stimmig und vollständig präsentiert werden können, erträumt sich Spieler eine ähnlich eindringliche Wirkung wie bei Monets «Nymphéas» in Paris. Begegnet man den Porträts der jungen Frauen zusammen mit Naturstücken in einem Raum, wird bewusst, wie sehr diese harmonischen Gesichtsflächen landschaftliche Eigenschaften aufweisen und die Naturausschnitte ihrerseits dem Betrachter wie ein lebendiges Gegenüber erscheinen. Myriaden von ausgeschnittenen Holzkerben, eine jede mit ihrem eigenen Bewegungsimpuls erfüllt, versammeln sich zu lichtvollen Bildpartien, die aus Distanz betrachtet in ihrer Plastizität und Tiefenwirkung die Illusion einer verdichteten Gegenwart evozieren, sich beim Nähertreten aber jedem Zugriff entziehen und in ihre einzelnen Partikel und Pixel zerfallen. In ihrem geheimnisvollen Zustand zwischen Erscheinen und Verschwinden erschliessen sie sich eigene Dimensionen von Raum und Zeit, die alles physikalisch Messbare hinter sich lassen.


[Zur Museumseröffnung erscheint ein Katalog, Fr. 48.-. Katalog zur Ausstellung in der Galerie im Park Fr. 25.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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