Bauwerk

Museum Rietberg - Zubau
Adolf Krischanitz, Alfred Grazioli - Zürich (CH) - 2006
Museum Rietberg - Zubau, Foto: Margherita Spiluttini

Baldachine von Smaragd

Mathilde Wesendonck schrieb Gedichte. Richard Wagner vertonte sie. Adolf Krischanitz übersetzt die romantische Angelegenheit nun in kühle Architektur: Der Zubau zur Villa Wesendonck in Zürich spannt einen smaragdgrünen Glasarchitekturbogen zwischen den Zeiten.

12. Oktober 2002 - Ute Woltron
Mathilde Wesendonck, die höhere Tochter, die Frau des Seidenfabrikanten, die Muse bedeutender Männer, dürfte ein Geschöpf der Schwärmerei und der Romantik gewesen sein.

Ihre Gedichte: Honigseim. Ihre Umgebung: die crème de la crème. Ihr Haus: eine Idylle. Ihr Leben: ein Hofhalten und Salonführen. Ihre Zeit: die Mitte des 19. Jahrhunderts. Das schöpferische Zentrum ihres Lebens war dabei die Villa Wesendonck in Zürich, doch sie war es nur für kurze Zeit.

1857 waren Otto und Mathilde Wesendonck in ihr neues Haus „auf dem grünen Hügel“ vor Zürich eingezogen, bereits 1871 verließen sie es wieder und siedelten nach Deutschland zurück. Die Zeitspanne dazwischen blieb zeitlebens Mathildens ewig Sehnen, denn hier hatte sie Richard Wagner kennen und wohl auch lieben gelernt, und hier hatte sie ihre fruchtbarste Schaffenszeit erlebt.

Heute ist die Villa des Industriellen und kunstsammelnden Wesendonck das Museum Rietberg. Es beherbergt eine der eindrucksvollsten Asiatica-Sammlungen der Welt, pflegt internationale Partnerschaften mit den großen Museen und platzt, wie man so sagt, aus allen Nähten.

Im vorvergangenen Jahr beschloss man deshalb, einen Erweiterungsbau zu versuchen, und veranstaltete zu diesem Zweck einen internationalen Architekturwettbewerb. Acht Architekten und Architektinnen wurden dazu eingeladen, nach einer Überarbeitungsphase kristallisierte sich heuer im Frühjahr das Team Alfred Grazioli, Schweiz, und Adolf Krischanitz, Österreich, als das erfolgreichste heraus.

„Sausendes brausendes Rad der Zeit. Messer du der Ewigkeit (...) Urewige Schöpfung halte doch ein, genug des Werdens, lasse mich sein“, hatte Frau Wesendonck das Fortschreiten und die Veränderung beklagt, doch das Rad der Zeit vermag durchaus elegant zu rollen, das Messer der Ewigkeit kann zierliche Schnitte tun, wenn die rechten Skalpellführer am Werk sind.

Krischanitz und Graziloi hatten ein ausgesprochen schwieriges Unterfangen zu meistern: Die Villa Wesendonck, dazumals erbaut vom Zürcher Nobelarchitekten Leonhard Zeugheer, liegt heute noch als prächtiger Solitär inmitten des idyllischen Landschaftsparks, den Otto Wesendonck hatte anlegen lassen. Die alten Bäume spannen jene „hochgewölbten Blätterkronen“ und „Baldachine von Smaragd“, wie sie seine Gattin Mathilde gemeinsam mit dem nachbarschaftlich angesiedelten und von den Wesendoncks auch finanziell kräftig unterstützten Richard Wagner besungen hatte, und selbstverständlich steht alles unter Natur- und Denkmalschutz.

Ein Eingriff in dieses gebaute und über fast zweihundert Jahre gewachsene Ensemble stellt demnach ein kitzliges Gratwandern zwischen Alt und Neu dar, wenn man nicht mit den zig Tonnen Materialbewegung, die Architekturmachen mit sich bringt, das fein gesponnene Netz des Alten zertrümmern will. Das Rietberg-Projekt von Krischanitz und Graziloi beantwortet die grundlegenden Fragen des Denkmalschutzes mit großer Eleganz: Die Architekten stellen dem bestehenden Haus ein neues, kleineres gegenüber, sie erzeugen einen geräumigen Platz dazwischen, sie graben die großen neuen Ausstellungshallen in den Berg ein und verbinden die beiden Häuser unterirdisch miteinander. Das alles erfolgt in einem auf den ersten Blick strengen Raster, der die Proportionen des alten Hauses widerspiegelt, der aber letztlich gerade museale Spielereien aller Art zuläßt.

Im Vergleich zu den anderen Wettbewerbsprojekten, die von namhaften Kollegen wie Kazuyo Seijima und Ryue Nishizawa (SANAA), Shigeru Ban und Gigon/Guyer stammen, erklärt sich leicht, was den Zauber des Siegerprojektes ausmacht: Es ist trotz kompliziertester und schwierigster technischer Ausführung - immerhin muss sehr tief gegraben und das alte Haus unterfangen werden - das klarste und einfachste.

Während einige Kollegen mühsame Anbauten versuchten, die zwar für sich wunderbar sind, der alten Villenarchitektur aber nicht wirklich zu Gesichte stehen, oder während andere gleich mit Solitärgebäuden in entferntere Ecken des Parks flüchteten, die allerdings dem internen Museumsgeschehen nicht eben dienlich sind, brachten Krischanitz und Grazioli alles unter einem Dach unter.

Von oben betrachtet ist dieses Dach ein Platz, eine Leere zwischen den Gebäuden, die allerdings verbindend wirkt. Der Besucher nähert sich dem Ensemble durch den Park, er klappert je nach Absatzbeschaffenheit über asphaltierte Wege, das Holzstöckelpflaster des Platzes wird seinen Schritt jedoch dämpfen, es wird stiller werden, je näher man dem Gebäude kommt.

Der Eingang des neuen Museums führt nun nicht mehr direkt durch das Kaffeehaus, sondern befindet sich in Form eines zur Gänze gläsernen Pavillons gegenüber der Villa: Ein Baldachin von Smaragd als Entrée in eine Unterwelt, die ebenfalls mit der Vergangenheit verknüpft ist. Die Wesendoncks hatten an dieser Stelle eine der zu ihrer Zeit so modernen Grotten bauen lassen.

Das Zubauprojekt ist ebenfalls bewusst grottenhaft, doch ohne Schwanromantik. Der Versuch, ein derartig dimensioniertes Haus ausschließlich aus Glas zu konstruieren, ist einmalig. Der, wie Krischanitz es nennt, „totale Glasbau ohne jegliche konstruktive Accessoires“ soll folgende Merkmale zum Ausdruck bringen: „Zeichnung und Wahrnehmung der natürlichen Kontur durch optimale Transparenz; Respekt, Diskretion und Neutralität vor und zum Inhalt und zur Repräsentanz der Aufgabe des Museums.“ Technisch gesehen handelt es sich um lamelliertes Verbundglas, der Sonnenschutz erfolgt über Textil.

Die Unterwelt selbst erstreckt sich über zwei riesige Ausstellungsgeschoße, Stampfbetonwände erzeugen den Eindruck gewachsener Erdschichtungen, Licht- und Klimatechnik liegen an den Decken hinter Glas verborgen, zwei ebenfalls gläserne Treppen führen in den Pavillon sowie in die alte Villa. Das Raumkonzept besticht durch Einfachheit und optimale Bespielbarkeit: Ein paar Türen auf oder zugemacht verändern den Museumsparcours je nach Wunsch der Ausstellungsmacher.

Da die Schweiz, auch was ihre Bautätigkeit anbelangt, ein demokratisch ausgereiftes Land ist, wird über das Projekt im kommenden Frühjahr mittels Volksabstimmung entschieden werden. Der Denkmalschutz hat bereits volle Zustimmung gegeben, auch die Aufbringung der erforderlichen Mittel von drei Millionen Franken (viereinhalb Millionen Euro), die zu einem Drittel aus Sponsorgeldern aufgebracht werden, scheint gesichert. Baubeginn könnte im Herbst 2003 sein, 2006 will man das neue Museum eröffnen.

Mathilde Wesendonck würde wohl zufrieden sein mit der Adaptierung „auf dem grünen Hügel“, denn auch eine Restaurierung ihrer alten Wohn- und Wirkensstätte ist vorgesehen. Uns so fügt sich alles zum Ganzen, so spannt sich der gläserne Architekturbogen über die Zeiten: „Wenn Aug' in Auge wonnig trinken, Seele ganz in Seele versinken; Wesen in Wesen sich wiederfindet, Und alles Hoffens Ende sich kündet, Die Lippe verstummt in staunendem Schweigen, Keinen Wunsch mehr will das Innre zeugen: Erkennt der Mensch des Ew'gen Spur, Und löst dein Rätsel, heil'ge Natur!“

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