Bauwerk

Villa Saracena
Luigi Moretti - Santa Marinella (I) - 1957

Unvollendetes Triptychon

Ein neobarockes Hauptwerk von Luigi Moretti

In Italien gilt Luigi Moretti (1907-73) als „Borromini des 20. Jahrhunderts“. Doch die Quellen, aus denen der Römer Architekt schöpfte, sind vielfältiger. Eines der überzeugendsten Beispiele seiner Recherche architecturale, die Villa Saracena in Santa Marinella nördlich von Rom, soll nun fachmännisch renoviert werden.

6. August 2002 - Rahel Hartmann Schweizer
Sie ist zur Pilgerstätte von italienischen Architekturstudenten geworden, die eine Zugstunde nördlich von Rom gelegene Villa Saracena in Santa Marinella. Die 1957 vollendete «Saracena» war die erste von drei Villen, die Luigi Moretti (1907-73) in Santa Marinella baute. Der Journalist Francesco Malgeri und Caterina di Geronimo waren die Besitzer zweier benachbarter Grundstücke zwischen der Küste und der Via Aurelia antica. In einer Bucht der weit ins Meer ausgreifenden Landzunge gelegen, thronen die Häuser auf einem Felsvorsprung. Die Lage vereint idyllische Abgeschiedenheit mit einem prächtigen Ausblick. Die «Saracena» steht zwischen der Casa Califfa (1967), die als Dépendance der «Saracena» geplant war, und der Casa Moresca (1967-81), die Moretti als sein Refugium entwarf. Ihre Vollendung erlebte der Architekt indes nicht mehr.


Idylle und Abgeschiedenheit

Die drei Villen geben sich zur Strasse hin verschlossen. Im Fall der «Saracena» ist es ein Hof, der, umfasst von einer mannshohen geschwungenen Mauer aus zwei Halbkreisen mit unterschiedlichen Radien, den Bau abschirmt. Vom Dach der «Saracena» gewinnt man den besten Eindruck dieses «unvollendeten Triptychons», wie es Moretti nannte: Linker Hand steht die «Califfa» mit ihrem charakteristischen Turm. Hier fällt das Licht durch horizontale, in den grobkörnigen Verputz geschnittene ornamentale Klappen ins Innere. Rechts erhebt sich die «Moresca», deren vorgestellter Wintergarten Morettis Entwurf verdirbt und gleichzeitig die Wirkung des Unvollendeten verstärkt. Die drei Villen heben sich deutlich von Morettis Vorkriegsbauten ab. Obwohl sich damals bereits barocke Elemente abzeichneten, wurzelten sie dennoch im Razionalismo, der italienischen Form des Neuen Bauens. In ihrer Expressivität, die sowohl formal als auch in den ornamentierten Oberflächen zum Tragen kommt, stehen die Villen von Santa Marinella den sakralen Projekten Morettis am nächsten.

Die Inspiration von Ronchamp bezüglich der plastischen Oberflächenbehandlung, der schwebenden Decken und des diffusen Lichts verhehlte Moretti nicht. So tritt die kreisförmige, ummauerte Terrasse, die über den Hauseingang auskragt, als schweres Volumen in Erscheinung. Gleichzeitig balanciert sie aber in einem labilen Gleichgewicht, weil sie wegen der verglasten Lichtschlitze über den Holztüren und der Mauer des Vorgartens auf nur einer Wand in der Mitte aufzuliegen scheint. Ähnlich verfuhr Moretti im Innern. Er schob Lichtbänder zwischen Decken und Wände ein, verlieh so den Dächern einen schwebenden Eindruck und erzielte eine zwischen Licht und Schatten changierende Atmosphäre. Die Mauerflächen brach er ebenfalls auf - etwa beim zweigeschossigen Schlaftrakt. Zwischen der seitlichen und der frontalen Wand fügte er je eine senkrechte verglaste Kerbe ein, die den Blick auf die Decken der beiden Geschosse beziehungsweise auf das Treppenhaus freigibt.


Antike und arabische Einflüsse

Nicht nur den Namen nach, sondern auch formal erwies Moretti mit den drei Villen der arabischen Kultur die Reverenz. Die Dachlandschaft der Casa Saracena evoziert mit einem Türmchen, das an ein Minarett en miniature erinnert, das Bild einer Medina. Verschlüsselter ist die typologische Herkunft. Das Haus erhebt sich über einem L-förmigen Grundriss, in dessen Winkel sich ein Garten befindet. Es besteht aus einem eingeschossigen, zum Meer hin orientierten Wohnteil mit Galerie, Esszimmer und Wohnnische und einem zweistöckigen kompakteren Schlaftrakt. Scharnier ist das trapezförmige Atrium, das Moretti als «punto focale», als Kern, beschrieb, aus dem sich die formale Kraft des Raums entwickle. Den Eingang von der Strasse in den Vorgarten konzipierte Moretti in den ursprünglichen Skizzen wie einen engen, «fauci» genannten Schlund zwischen zwei Mauern. Die Antike klang auch in den Bezeichnungen der drei kreisrunden Räume an, die Moretti auf der rückwärtigen Seite des Wohntrakts vorsah: Tepidarium, Caldarium und Fontanina. Diese fielen zwar in den endgültigen Plänen weg. Dennoch folgte die Anordnung der Räume dem Kanon eines pompejanischen Hauses mit Fauces (Eingang), Atrium, Andron (Durchgang) und Peristyl.

Renzo Cartonis Photographien der Casa Saracena, die unter der Aufsicht Morettis entstanden, boten ebenfalls das Bild einer archaischen Architektur, die immun ist gegen die Zeitläufe. Sie fokussierten aber auch die korrosive Materie - den grobkörnigen, dick aufgetragenen weissen Verputz. Moretti bezeichnete die Oberfläche als Kontaktpunkt zwischen Form und Raum. Das Ornament war für ihn nicht historisierendes Beiwerk, sondern Bereicherung und Akzentuierung des konstruktiven Systems.

Die Korrosion im wörtlichen Sinn hat nun den Villen in Santa Marinella sichtlich zugesetzt. Im Gegensatz zu anderen Werken von Moretti, etwa der Casa delle Armi und der Casa Ballila in Rom, die starke Eingriffe erleiden mussten, wurden an der Casa Saracena nur notdürftige Reparaturen vorgenommen, welche die Bausubstanz kaum angriffen und schon gar nicht Struktur oder Grundriss veränderten. Dennoch tut eine sorgfältige Renovation der «Saracena» not. Eine nur äusserliche, wie sie an der Casa Califfa ausgeführt wurde, vermöchte kaum das zerfressene Holz der Fensterrahmen, den Rost mancher Stahlprofile, den teilweise bröckelnden Verputz und die sichtbaren Armierungen zu kaschieren. Nun aber haben sich die Besitzer bereit erklärt, nach dem Ferragosto mit den Renovationsarbeiten zu beginnen. Damit besteht die Chance, ein Hauptwerk der italienischen Villenarchitektur der fünfziger Jahre unverändert der Nachwelt zu erhalten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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