Bauwerk

Oper Oslo
Snøhetta - Oslo (N) - 2008
Oper Oslo, Foto: Jaro Hollan
Oper Oslo, Foto: Christian Richters / ARTUR IMAGES

Eine Oper für die Zukunft

In Oslo geht ein jahrzehntelanges Provisorium zu Ende

Oper ist in Norwegen ein junges Phänomen. Erst 1959 wurde auf Initiative der Sängerin Kirsten Flagstad die «Norwegische Oper» gegründet. Doch nun holt Oslo mit einem prunkvollen neuen Opernhaus gegenüber den nordischen Nachbarstaaten auf.

1. März 2008 - Aldo Keel
Wenn es um Norwegens Prestige geht, spielt Geld keine Rolle: 880 Millionen Franken kostet Oslos neue Oper, die am 12. April eröffnet wird. Allerdings wurde jetzt zum allgemeinen Entsetzen bekannt, dass die Eröffnungspremiere ausfällt. Die Bühnentechnik sei zu spät geliefert worden, weshalb die Uraufführung von Gisle Kverndokks Oper «In 80 Tagen um die Welt» auf Dezember 2009 verschoben werde. Stattdessen sind für die Monate April, Mai und Juni Galaabende mit Perlen der Opern- und Operettenliteratur vorgesehen. Als erste reguläre Opernproduktion wird dann im September Verdis «Don Carlo» gegeben. Bereits zu Silvester fiel der letzte Vorhang im alten Haus.

Langlebiges Provisorium

Oper ist in Norwegen ein junges Phänomen. Während es in Kopenhagen und Stockholm Königliche Opern seit dem 18. Jahrhundert gibt, gründete die Wagner-Sängerin Kirsten Flagstad erst 1959 die «Norwegische Oper», die sie im früheren Volkstheater mit Eugen d'Alberts «Tiefland» eröffnete. Norwegens Verspätung ist erklärbar. Das einstige Beiland Dänemarks und Schwedens wurde erst 1905 unabhängig. Schon im 14. Jahrhundert hatte aber die Pest die Aristokratie dahingerafft. Aufgebaut wurde die Nation von der Bauern- und später von der Arbeiterbewegung. Heute ist Norwegen dank seinen Erdölschätzen der Krösus des Nordens. Schon beim Einzug ins Volkstheater galt diese Spielstätte als Provisorium. Seither wurden Pläne geschmiedet und wieder verworfen. Opposition kam von der rechtsgerichteten Fortschrittspartei, deren Chef sagte, es könne nicht Sache des Steuerzahlers sein, das Vergnügen einiger weniger zu finanzieren.

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten wiederum verkündete, solange der Staat nicht jedem Norweger und jeder Norwegerin ein Einzelzimmer im Altersheim garantieren könne, sei der Bau eines Opernhauses kein Thema. Schliesslich schnappten die Leute vom Friedensnobelpreis der Oper den besten Standort vor der Nase weg, um ein «Friedenszentrum» zu bauen. Um Norwegen in der Welt zu profilieren, eigne sich nichts so gut wie «der Frieden», gab der Direktor des Nobel-Instituts zu bedenken.

Nach norwegischem Verständnis soll Oper nicht elitär, sondern volksnah sein. Anders als in Deutschland oder Frankreich gibt es nur ansatzweise eine Elite, die sich durch Kultur sozial abheben möchte. Deshalb wurde die Eröffnungspremiere «In 80 Tagen um die Welt» nicht etwa als Highlight der Extraklasse, sondern als «Familienoper» angekündigt. «Damit wollen wir zeigen, dass die Oper der Zukunft gehört, den Familien und den Kindern», sagte Intendant Bjørn Simensen, als er das Werk der Presse vorstellte. Im megalomanen Opernhaus kommt denn auch weniger die bürgerliche Sehnsucht nach einer kulturellen Trutzburg zum Ausdruck als vielmehr nationaler Ehrgeiz. Man horchte im Erdölland auf, als 1993 in Helsinki ein Opernhaus eröffnet wurde, das eine ganz besondere Aura ausstrahlte.

1999 beschloss das Parlament den Neubau. Realisiert wurde ein Projekt des Architekturbüros Snøhetta. Der grosse Saal bietet 1350, der kleine 400 Zuschauern Platz. Norwegens prominenteste, aber auch umstrittenste Baustelle kam immer wieder in die Schlagzeilen. Als für die Verkleidung die Wahl auf Carraramarmor fiel, fragte die Chefin der bäuerlichen Zentrums-Partei erstaunt, ob es denn nicht genug Steine in Norwegen gebe. Ihre Skepsis sollte sich als begründet erweisen, als sich der weisse Marmor im letzten Herbst plötzlich verfärbte. «Gelb wie Urin» titelte eine Zeitung. – Während sich Tausende für Führungen anmelden und Opernchef Simensen das Haus vollmundig rühmt als Norwegens wichtigsten Kulturbau seit dem Dom von Trondheim, der im Mittelalter errichtet wurde, spricht der junge Komponist Fredrik Brattberg vom Anachronismus eines Prunkbaus für eine Handvoll Werke, als ob man dem Potentaten eines vergangenen Zeitalters zu huldigen gedächte. Wenn es den Bauherren tatsächlich um die Oper und nicht um das Prestige gegangen wäre, hätten sie zwei oder drei bescheidenere Häuser errichtet und für den Rest des Geldes Kompositionsaufträge vergeben können.

Kultureller Spagat

Ein Opernhaus nur um der Oper willen zu bauen, würde nach Meinung der Lokalpolitiker die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft schmälern. Die Oper, die auf dem ehemaligen Hafenareal hinter dem Bahnhof liegt, fügt sich deshalb in das umfassende Stadt-Erneuerungs-Projekt «Fjord City» ein. Die Stadt will sich ihrem schönsten Juwel, dem Fjord, dem sie bisher den Rücken zuwandte, voll und ganz öffnen.

Selbst wenn es noch zu weiteren Pannen kommen sollte – der Wirt des Restaurants ist für das neue Opernzeitalter gerüstet. Er eröffnet sein Lokal so oder so am 12. April und wagt den Spagat zwischen Volkstümlichkeit und Hochkultur, indem er Oslos billigsten Champagner in Aussicht stellt. Intendant Simensen jedoch wird Ende 2008 nach Jahrzehnten zurücktreten. Sein Nachfolger Paul Curran verspricht eine «sehr moderne Oper» – nicht eine Oper des 19. Jahrhunderts, sondern ein Musiktheater für die Zukunft.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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