Bauwerk

EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung
Diller Scofidio + Renfro, Extasia, Morphing Systems, Multipack, Coop Himmelb(l)au, Jean Nouvel, GLS Architekten AG - diverse Standorte (CH) - 2002
EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung, Foto: Yves André
EXPO.02 - Schweizerische Landesausstellung © expo.02

Aufbruch ins Kommunikationszeitalter

Biel knüpft an städtebauliche Glanzzeiten an

Die Uhrenmetropole Biel war einst eine Stadt des Neuen Bauens. Um für den Sprung ins Kommunikationszeitalter des 21. Jahrhunderts gut gerüstet zu sein, absolvierte die Stadt nun einmal mehr einen ehrgeizigen urbanistischen Marathon.

Architektonisch machte Biel in den vergangenen Jahren in erster Linie mit der Erweiterung des Centre PasquArt von Diener & Diener und dem Bau der Schweizerischen Fachschule für Holzwirtschaft von Marcel Meili und Markus Peter von sich reden. Dies lenkte etwas davon ab, dass die Stadt in jüngster Zeit - die Gunst der Expo 02 nutzend - eine riesige Baustelle war. Die öffentliche Hand konzentriert sich vor allem auf die Innenstadt, für deren Verschönerung sie, den Plänen der Bieler Bauzeit-Architekten folgend, 150 Millionen Franken ausgibt, aber auch auf die Expo. Das Expogelände am See, das sie von Industriebrachen befreite, soll nach Abschluss der Grossveranstaltung einer gemischten Nutzung zugeführt werden. Sie hat aber auch bei der Planung von privaten Überbauungen, vor allem auf ehemaligen Industriearealen, die Hände mit im Spiel, indem sie Brachen aufkauft, Wettbewerbe ausschreibt und das Land dann mit den entsprechenden Auflagen im Baurecht weitergibt oder verkauft. Rund ein Viertel des Bieler Stadtgebietes ist in ihrem Besitz.

Der Einfluss der Stadt Biel auf die Architektur hat Tradition. Die erste Stadtplanung datiert in die 1880er Jahre und basierte auf einem orthogonalen, längsgerichteten Raster von 250 mal 85 Metern mit Haupt- und Nebenstrassen, Blockrandbebauung und regelmässig verteilten, platzartig erweiterten Strassenkreuzungen. Überlagert wurde dieses Muster von der Gartenstadt, die um die Jahrhundertwende mit durchgrünten Quartieren und Vorgartenzonen Einzug hielt, wobei das streng orthogonale Strassenmuster aufgebrochen und von der geschlossenen Bauweise abgerückt wurde. Architektonisch ist Biels Stadtgefüge gezeichnet von den Wechselfällen wirtschaftlichen Aufstiegs und Niedergangs von Maschinen-, Metall- und Uhrenindustrie, von weitsichtigen Stadtplanungen des Neuen Bauens und rücksichtsloser Zerstörung wertvoller Bausubstanz. Die Stadt präsentiert sich daher als ein Patchwork mit der Altstadt am Jurasüdhang, den Villen der Seevorstadt, der Fin-de-Siècle-Bebauung am Unteren Quai, den historistischen Bauten am Zentralplatz, den Arbeiterquartieren, den Fabrikarealen, den Zeugen des Neuen Bauens wie dem Volkshaus und dem Hotel Elite. Dazu kommen schliesslich Beispiele der «Jurasüdfuss»-Architektur: das Kongresshaus (1961-66) und das deutsche und französische Gymnasium auf dem Strandboden (1976-79) von Max Schlup.


Die Stadt als Patchwork

Zur Patchwork-Struktur gesellt sich der markante Gegensatz zwischen der am Hang gelegenen Altstadt und der Neustadt in der Ebene. Selbst politische Unterschiede manifestierten sich hier architektonisch: im sozialistischen Volkshaus an der Bahnhofstrasse, einerseits, das heute das Konservatorium beherbergt, und im gegenüberliegenden bürgerlichen Hotel Elite andererseits. Die Zweisprachigkeit schliesslich findet ihren Ausdruck in der Ansiedlung der Kommunikationstechnologie. Den Auftakt machte das Bundesamt für Kommunikation (Bakom), das sich in einer ehemaligen, von Flurin Andry und Partner zwischen 1992 un 1995 erweiterten Uhrenfabrik einquartiert hat. Das Swisscom-Gebäude (1996) von Andry, Habermann und Partnern reagiert mit seiner prägnanten Klinkerfassade auf das Volkshaus. Diese Analogie bleibt aber oberflächlich, nahmen die Architekten doch mit Tonnendach und überwölbten Lukarnen auch auf die Fassade der ehemaligen Bäckerei auf der anderen Seite des Schüss-Kanals Bezug, die erhalten werden musste. Sie integrierten sie in den Bau wie ein dekoratives Element aus vergangener Zeit.

Die Gegensätze der Stadt haben auch die Bauzeit-Architekten inspiriert, deren Projekt «nuits blanches» für die Innenstadtverschönerung auf einem System von Vertikalen - Kulturmasten und Kandelabern - und Horizontalen - verschiedenen Bodenbeläge - basiert. Sie haben der Stadt ausserdem neue Trolleybus-Unterstände beschert. Diese nehmen den Charakter der multifunktionalen Kleinarchitekturen aus der Zeit des Neuen Bauens auf, die heute noch auf acht Plätzen, unter andern auf dem Bahnhofplatz, dem General-Guisan-Platz und dem Zentralplatz, zu sehen sind. Mit Dualismen lebt die Stadt ganz gut. So sucht sie einerseits den Verkehr zu beruhigen und eine ausgedehnte fussgängerfreundliche Zone zu schaffen, baut aber anderseits auch Parkhäuser. Das neuste haben Vogt & Kistler beim Bahnhof für 22 Millionen Franken realisiert: unterirdisch, aber mit Tageslicht erhellt.

Am Zentralplatz ist man bemüht, die Nidaugasse und die Murtenstrasse, die diagonal auf den Platz münden, mit Asphaltkosmetik dem Schachbrett zu unterwerfen. Das ist umso unverständlicher, als im Gegenzug die Diagonale betont wird: Zum 1921 für den Schweizerischen Bankverein erstellten und 1996 um ein Stahl-Glas- Gebäude erweiterten UBS-Bau an der Nidaugasse, der die Diagonale mit einem abgerundeten und überkuppelten Kopfbau akzentuiert, wird auf der gegenüberliegenden Seite an der Murtenstrasse vom Bieler Henri Mollet ein zeitgenössisches Pendant in Stahl und Glas errichtet. Städtebaulich weitaus einschneidender ist die Diagonale, die durch den Bahndamm gebildet wird. Dieser wirkt wie eine brutale Schneise im urbanistischen Gefüge und schneidet die Stadt vom See ab. Die Erweiterung der Bahnhofpassage als Verlängerung der Bahnhofstrasse und Durchbruch zum Expogelände schafft der Stadt nun endlich einen Zugang vom Zentrum zum See. Wenn der Durchstich auch als Bahnunterführung ein Stollen ist, so haben sich Kistler & Vogt doch bemüht, durch dessen konische Form die Perspektive zu weiten auf den dreieckigen, baumbestandenen Robert-Walser-Platz. An diesen schliesst rechter Hand ein Betonkubus mit geätzter Glasverkleidung und versetzt angeordneten Fensterreihen an: das «Communication Center» von Gebert, Liechti, Schmid. Es beherbergt die Redaktionen von «Bieler Tagblatt», «Journal du Jura» und der lokalen Fernsehstation «TeleBielingue» sowie die Medienstelle der Expo 02.

Auf der andern Seite des Platzes erstrecken sich die einstigen Montagehallen von General Motors, die zwischen 1935 und 1937 auf Kosten der Stadt nach eigenen sowie nach Plänen von Haefeli, Moser & Steiger aus Zürich errichtet wurden. Heute beherbergen sie ein Coop-Einkaufszentrum und die Verwaltung der Opel Suisse. Ausserdem dienten sie als Provisorium für das Kongresshaus während der Renovation, die der Berner Architekt Rolf Mühlethaler soeben an dem Bau mit dem gigantischen Hängedach von Max Schlup (1961-66) vornahm. Das Kongresshaus verdankt seinen flankierenden Hochhausbau einer Zonenplanänderung, in deren Genuss auch das Palace kam: Zwischen 1997 und 1999 wurde es zum gemischt nutzbaren Kino- und Theatersaal umgestaltet. Gleichzeitig bauten Bauzeit-Architekten ein unterirdisches Kasino ein, von dem oberirdisch nur der Eingang in Erscheinung tritt, dessen Glasfassade ein Wasservorhang ziert.


Industrie- versus Gartenstadt

Östlich des Kongresshauses öffnet sich ein Gelände von rund acht Hektaren, das einst das Gaswerk und die Vereinigten Drahtwerke (VDW) nutzten. Übrig geblieben ist nur noch ein Gaskessel. In den Jahren 1993 bis 1995 renoviert und bunt bemalt, wird er heute von der Jugend genutzt. Etwas weiter östlich, auf dem ehemaligen VDW-Areal, kündet eine Tafel von einer geplanten Wohnsiedlung des Büros Vogt & Kistler, deren Projekt aus einem 1991 unter sechs geladenen Teams durchgeführten Wettbewerb hervorgegangen war. Die Stadt teilte das Gebiet dann aber auf, so dass es sich beim «Schüsspark» nun um ein redimensioniertes und überarbeitetes Projekt mit 55 Wohnungen und Atelierräumen handelt. Nehmen Vogt & Kistler mit dem Loftcharakter der Wohnungen Bezug auf die Industriearchitektur, greifen Bauzeit-Architekten in der eben realisierten Bebauung des Renferareals (Bözingen) mit ihren Vorgärten die Gartenstadt-Visionen der Jahrhundertwende auf. Mit ihrer Holzarchitektur schaffen sie gleichsam eine Verbindung zwischen der Sägerei, die das Gelände einst besetzte, und der neuen Fachschule für Holzwirtschaft von Meili & Peter.

Ähnlich wie die Expo hat auch Biel einen Marathon mit Schlussspurt absolviert: An diesem Wochenende weiht sie mit einem Fest die neuen Bauten ein. Doch bereits wird in die Zukunft geblickt mit einem Wettbewerb für die Erweiterung des renovierten Strandbades aus den dreissiger Jahren, der Planung des heutigen Expogeländes und der Gestaltung des öffentlichen Raums zwischen Zihl und Schüss, dessen Wettbewerb Elisabeth Brauen und Rudolf Zoss im Jahr 2000 für sich entscheiden konnten. Schliesslich sind Verhandlungen im Gange über die Helix, eine auf dem Expogelände in den See hinausführende Passerelle, die Stadtpräsident Hans Stöckli bewahren möchte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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