Bauwerk

BMW-Welt München
Coop Himmelb(l)au - München (D) - 2007
BMW-Welt München, Foto: Markus Kaiser
BMW-Welt München, Foto: Stefan Müller-Naumann / ARTUR IMAGES

Das Auto und seine Plazenta

73.000 Quadratmeter Nutzfläche, 180 mal 120 Meter Dach, 14.000 Tonnen Stahl. Und das alles, um Autos auf die Welt und an den Mann zu bringen. Die „BMW-Welt“ in München von Coop Himmelb(l)au.

14. Oktober 2007 - Christian Kühn
Von der Idee, dass die Form der Funktion folgt, haben sich Automobilhersteller schon seit Jahren entfernt. Das Produkt Auto ist heute eingebettet in eine emotional aufgeladene Fantasiewelt, die von den Herstellernebenso gezielt gestaltet wird wie das Produkt selbst. Deshalb spielen BMW-Fahrzeuge in James-Bond-Filmen mit, und deshalb hat BMW vor einigen Jahren bei namhaften Regisseuren wie Ang Lee oder Wong Kar Wai eine Reihe von Kurzfilmen in Auftrag gegeben, in denen es jeweils zwei Hauptdarsteller gab, einen BMW und den britischen Schauspieler Clive Owen. 75 Millionen Zuseher haben diese Filme, die über das Internet zum Download angeboten werden, inzwischen gefunden und damit ihren Teil zur Markenentwicklung von BMW beigetragen.

Bereits Anfang der 1990er-Jahre entstanden erste Ideen, der Marke BMW auch architektonisch ein Denkmal zu setzen. Architektur war zwar schon damals in den Markenauftritt des Unternehmens einbezogen, aber vor allem als neutraler, in Chrom und Weiß gehaltener Hintergrund, vor dem das eigentliche Produkt umso deutlicher zur Wirkung kommen sollte. Für die normalen BMW-Autohäuser gilt diese Doktrin nach wie vor. In der Nähe des Münchner Stammwerkes sollte jedoch ein einzigartiges Bauwerk entstehen, eine Kult- und Pilgerstätte, im Idealfall ein Pflichtbestandteil jedes München-Besuchs. Da jeder Kult einen Ritus braucht, wurde auch der erfunden: Hier kann der Besitzer sein ofenwarm vom Fließband kommendes Auto in Besitz nehmen und zum ersten Mal in die freie Wildbahn des Münchner Stadtverkehrs ausfahren. Übernommen hat BMW diese Idee von Ferrari, wo die optionale Übergabe am Ende des Fließbands schon immer zum Brauchtum gehörte.

Einen besseren Standort für dieses Vorhaben hätte BMW kaum finden können. Einerseits befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zwei architektonische Meilensteine der deutschen Nachkriegsmoderne, das Olympiagelände mit den weit gespannten Zeltdächern nach dem Entwurf von Frei Otto und Günther Behnisch aus dem Jahr 1972 und das BMW-Hochhaus von Karl Schwanzer, 1973 als Abschluss des Münchner BMW-Werks errichtet.

Ein Dach als künstliche Wolke

Andererseits lässt sich kaum ein anderer Stadtraum denken, für dessen Ausformung das Automobil so direkt verantwortlich ist: Hier kreuzen sich auf zwei Ebenen eine 14-spurige und eine sechsspurige Schnellstraße, was allein von der Frequenz her entsprechende Werbewirksamkeit garantiert.

BMW schrieb für diesen Standort einen internationalen, offenen Wettbewerb aus, den Coop Himmelb(l)au unter 275 Teilnehmern nach mehreren Phasen im August 2001 für sich entscheiden konnte. Obwohl es bereits im Wettbewerb ein genaues Raumprogramm gab, lässt sich die eigentliche Funktion des Gebäudes nur schwer bestimmen. Es ist jedenfalls vieles zugleich: Seine Hauptfunktion leistet es als Auslieferungszentrum für Neuwagen, das in der oben geschilderten Weise bis zu 250 Fahrzeuge pro Tag bewältigen kann. Zugleich ist es ein Veranstaltungszentrum mit einem voll ausgebauten Theater für bis zu 800 Zuseher mit einer Bühnenausstattung, um die es so manches Theater einer deutschen Mittelstadt beneiden würde. Dazu kommen weitere Veranstaltungsräume unterschiedlichen Zuschnitts sowie großzügige Ausstellungsflächen und Gastronomiebereiche auf mehreren Ebenen, die über eine Brücke mit dem Werksgelände und dem bestehenden BMW-Museum verbunden sind, einem runden, schüsselförmigen Gebäude, das ebenfalls von Karl Schwanzer stammt.

Coop Himmelb(l)au haben den Wettbewerb nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil sie erkannt haben, dass dieses komplexe, genau ausgearbeitete Raumprogramm in Wirklichkeit nichts anderes war als ein Vorwand für ein möglichst spektakuläres Gebäude. IhrProjekt ist ein unbeirrtes Stück Coop Himmelb(l)au, in dem die gewünschten Funktionen zwar gut bedient sind. Seine Form gewinnt es aber aus ganz anderen Quellen, vor allem aus der Idee eines großen, das gesamte Areal überspannenden Daches in Form einer künstlichen Wolke, die an einer Ecke in die vertikale Figur eines Doppelkegels übergeht, ein bekanntes Element aus dem Repertoire von Coop Himmelb(l)au, das hierangesichts des meteorologischen Dachmotivs auch als Wirbelsturm gedeutet werden kann, der sich aus dem Boden hervorschraubt. Im Grundriss bildet dieser Doppelkegel ein exaktes Pendant zu Schwanzers Museum, wie überhaupt die Einpassung des Projekts in den Kontext mit großer Selbstverständlichkeit gelungen ist. Die im Westenangrenzende Parklandschaft des Olympiaparks wird über große Verglasungen in den Raum unter der Glaswolke einbezogen, während die Verbindung zum Produktionswerk durch einen Einschnitt im Baukörper akzentuiert ist, der die Achse einer gegenüberliegenden Werksstraße aufnimmt.

Die Leichtigkeit und Dynamik, die man von den computergenerierten Bildern des Projekts in Erinnerung hat, will sich in Natura allerdings nicht so recht einstellen. Das Gebäude wirkt deutlich schwerer und dichter, was angesichts der konstruktiven Anstrengungen, die hier unternommen wurden, auch nicht verwunderlich ist. Das Wolkendach ist eine beeindruckende, vielfach geschwungene Stahlkonstruktion, die nur auf dem Doppelkegel und wenigen schlanken Stahlbetonstützen auflastet. Im Tragwerksplaner Klaus Bollinger, der mit Wolf D. Prix auch an der Universität für Angewandte Kunst unterrichtet, haben die Architekten hier einen kongenialen Partner gefunden. Besonders hervorzuheben ist auch, dass Coop Himmelb(l)au nicht nur für den Entwurf, sondern auch als Generalplaner für das Gesamtprojekt verantwortlich waren.

Wer sich von der BMW-Welt eine Verherrlichung des Automobils als chromblitzende Maschine erwartet hat, etwa in der Tradition des italienischen Futurismus, wird jedenfalls nicht auf seine Kosten kommen. Viel näher liegt die Assoziation zum Surrealismus, der für Coop Himmelb(l)au schon immer eine Inspiration gewesen ist.

Neugeboren auf dem Drehteller

Hier, bei einer Aufgabe, bei der es kaum funktionelle Einschränkungen gab, konnte er sich fast ungebremst entfalten. Das gilt etwa für den Fußgängersteg, der die Halle durchzieht und den besten Blick auf den ovalen Präsentationsbereich im Zentrum der Anlage bietet, auf dem die über einen Glaslift angelieferten neugeborenen BMWs vor der Übergabe noch kurz auf Drehtellern rotieren, bevor sie in ihr selbstständiges Leben entlassen werden. Gleich an mehreren Stellen lässt dieser Steg seine Brüstung hängen wie Salvador Dalis geschmolzene Uhren, und wirkt insgesamt wie eine Nabelschnur in einer großen, dem automobilen Gebären gewidmeten Plazenta.

Ob die BMW-Marketingabteilung wirklich weiß, welche Art von Meisterwerk sie hier um einen kolportierten Betrag von über 250 Millionen Euro geschaffen hat, ist noch nicht abzuschätzen. Vorderhand sind die Freiflächen mit Objekten und einem Geflimmer von Präsentationen bespielt, die besser auf der IAA in Frankfurt oder im Museum gegenüber aufgehoben wären. Aber vielleicht geht dieser Anfall von Horror Vacui ja irgendwann vorbei, und BMW überlässt die Halle ganz dem Kunstbetrieb, der dann die Gebärmaschine in der Mitte in bester surrealistischer Tradition umspielt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at