Bauwerk

Miss Sargfabrik
BKK-3 Architektur - Wien (A) - 2000

Koketter Bau im Gründerzeitquartier

Die «Miss Sargfabrik» sorgt für ein neues Wiener Wohngefühl

1. September 2001 - Gert Walden
Orange leuchtet sie im grauen Gründerzeitviertel: Ein wenig konservativ, ein wenig kokett, wie sie halt so sind, die Wiener Mäderln, steht die «Miss Sargfabrik» an der Strassenkreuzung Missindorfgasse/Fenzlgasse und macht allein schon durch die Farbe auf sich aufmerksam. Den Namen hat sie von ihrer Vorgängerin, der ersten «Sargfabrik», geerbt, die tatsächlich auf dem ehemaligen Areal einer Produktionsfirma für letzte Ruhestätten errichtet worden ist. Der Name steht aber auch für ein Wohnkonzept, das vom Architektenteam BKK-3 (Franz Sumnitsch und Johann Winter) nach der «Sargfabrik» (1996) weiterentwickelt wurde. So ist denn die «Miss Sargfabrik» trotz ihrer leicht morbiden Namensgebung - ein bisserl Schmäh muss sein - das ambitionierte Ergebnis der architektonischen Recherche von BKK-3 und des Engagements des Bauträgers, des Vereins für integrative Lebensgestaltung.


Zelt und Höhle

Mit der Idee, eine Nische der Wiener Wohnbauförderung zu nutzen, konnten die üblichen Auflagen betreffend Zimmeranordnung und Parkplatzverpflichtung umgangen werden. Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich - ob es der Lady passt oder nicht - schlichtweg ein Wohnheim, das per definitionem nicht den biederen Förderungs- und Grundrissbestimmungen unterliegt. Für die Architekten eröffnete dieses Ausblenden der kommunal bestimmten Wohnrituale die Möglichkeit, ihre «Miss Sargfabrik» unkonventionell einzukleiden: nach aussen hin und im Inneren, wo sich die wahren Werte der Lady entfalten können. Sumnitsch und Winter konzentrierten sich auf das Erfahrbarmachen des Wohnraums: Keine Raumskulptur mit schäbigen Grundrissen, wie die Gasometer-Kreationen von Coop Himmelblau, wurde hier intendiert. Vielmehr wurde bis in die kleinste der 39 Wohnungen das Erlebnis des Dreidimensionalen in den Vordergrund gerückt.

Bei den Garçonnièren, sie machen die Hälfte der Wohnungen aus, half dabei der Trick mit dem Knick. Anstelle der gewöhnlichen platten Trennwände sind in den Kleinstwohnungen mit rund 40 Quadratmetern die Wandscheiben zackig ausgefallen, während die Raumhöhen von den Entrées an den Laubengängen bis zur Strassenfront differieren. Auf diese Weise entstehen zwei Varianten der Behausung. Die extrovertierte, welche sich zum Freien hin öffnet, und die introvertierte mit mehr Platz im Wohnungszentrum. «Zelt und Höhle» - diese beiden archetypischen Spielarten des Wohnens, wie sie Gottfried Semper beschrieben hat, werden hier zeitgemäss formuliert. Rampen und flache Stiegen zeigen auf jeden Fall den Niveauunterschied an, wobei mit der durchgehenden Höhe an der Längsseite des Objekts eine ziemlich stereotype Strassenfront an der Fenzlgasse entsteht.

Bei den grösseren Wohnungen (70 bis 120 Quadratmeter) konnten die Architekten noch mehr an der Vielfalt der Wohnebenen feilen. Mit dem klassischen Split-Level lässt sich da schon einiges machen. Da ist Platz für Kleinarchitekturen - wie etwa eine Kanzel im Küchenbereich - als witzige, aber praktisch adaptierte Zitate der herrschaftlichen Baukunst im Wohnheim. Da wird auch die schwierige Ecksituation souverän gemeistert. Die schrägen Bodenflächen werden konsequent von den ansteigenden Fensterrahmungen begleitet, um in die Längsfront überzugleiten. An der Schmalseite des Hauses lüftet die «‹Miss Sargfabrik› dann ihr Rockerl». Hier wird die Strassenfront zur Schauseite des Inneren, aufgeschlitzt eröffnet sich die strukturelle Gliederung, um die Fassade letztlich in ein Emblem für innovatives Wohnen zu verwandeln. Wie überhaupt die Arbeit von BKK-3 mit äusserster Konsequenz die Kombination von individuellem Wohnnutzen und gemeinsamem Zusammenleben in das Räumliche einer skulpturalen Architektur transponiert.


Orange Bauskulptur

Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich nicht nur kokett und konservativ, sie verfügt auch über einige Tugenden, die sie im Kontext der Wiener Architekturszene zur Ausnahmeerscheinung machen. Dazu zählen primär die Gemeinschaftseinrichtungen. Nicht wie üblich irgendwo im Keller versteckt, bilden sie - der Karl-Marx-Hof lässt grüssen - den Mittelpunkt des Hauses. Die Bibliothek, die Computerstationen und die Küche spielen gemeinsam den integrativen Part im Leben der «Miss Sargfabrik». Darüber hinaus ist die Architektur bis ins Detail hinein instrumentiert, um Räumlichkeit und Kommunikation miteinander in Einklang zu bringen. Die Laubengänge etwa, sonst ungeliebte Passagen des Transitorischen, sind ausreichend gross dimensioniert, um auch tatsächlich Platz anzubieten für Gespräche im halböffentlichen Raum. Sie erschliessen aber auch hier wieder mit den Öffnungen in den Brüstungen und Decken die Höhen und Tiefen der Lady und ihrer leicht morbiden gründerzeitlichen Umgebung.

Das orange Kleid der «Miss Sargfabrik» tut da einfach gut. Bei strahlendem Sonnenschein wirkt es überraschend zurückhaltend, in den grauen Wiener Wintermonaten erzeugt das Kolorit positive Grundstimmungen. Generell generiert die Architektur also eine Atmosphäre, die über die Gegenwart hinaus auf eine mögliche optimistische Zukunft des Wohnens verweist. Wie sehr dieser kräftige Farbtupfer in der Wiener Wohnlandschaft auch in der Szene anerkannt wird, zeigte auch kürzlich die Würdigung durch den 7. Architekturpreis der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie an.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Verein für integrative Lebensgestaltung

Tragwerksplanung

Fotografie

KOOPERATIONEN