Bauwerk

Compact City
BUSarchitektur, Rainer Lalics - Wien (A) - 2001

Wie man heute eine Stadt baut

„Homeworkers“: So lautete der ursprüngliche Titel des Bauvorhabens, das Wohn- und Arbeitsbereiche verschränken sollte. „Compact City“ heisst die Anlage in Wien-Floridsdorf von BUSarchitektur nun zu Recht: ein Vorzeigeprojekt an verdichteter Stadt.

29. Dezember 2001 - Liesbeth Waechter-Böhm
Wie baut man Stadt? Und: Welche Art von Stadt wird heute überhaupt gebraucht? Auf solche Fragen hat BUSarchitektur - das sind Rainer Lalics, Claudio Blazica und Laura Spinadel - mit einem Projekt geantwortet, das zum Interessantesten und Komplexesten zählt, was seit vielen Jahren in Wien entstanden ist. „Homeworkers“ lautete der plakative Titel des Vorhabens ursprünglich. Dieser Titel verweist darauf, worum es den Architekten von Anfang an ging: ein Konzept, das Wohnen nur als eine von vielen Komponenten im städtischen Zusammenhang auffaßt; um ein Konzept auch, das spezifischen Arbeitssituationen Rechnung trägt.

Ich wehre mich immer dagegen, daß man die Rolle der sogenannten Telearbeitsplätze, die angeblich einen dominierenden Faktor der Arbeitswelt der unmittelbaren Zukunft darstellen, überbewertet. Hier sind sie als einer der Ausgangspunkte der gesamten Planung aufgefaßt. Das Tolle daran: Wenn Architekten so etwas nicht vordergründig angehen, wenn sie imstande sind, einfach räumlich komplexe Situationen daraus zu destillieren, die aber nicht eindeutig festgeschrieben sind, dann geht auch nichts schief. Egal, welche Entwicklungen die Arbeitswelt in der unmittelbaren Zukunft nimmt. Egal, wie die konkrete Nutzung in der Gegenwart ausschaut.

„Homeworkers“: Spinadel, Blazica und Lalics haben mit der Arbeit daran 1993 begonnen. In Eigeninitiative, auf der Basis einer Studie der Stadt Wien, ohne Auftrag. Letzterer - erteilt vom Wiener Bauträger SEG - kam erst viel später. Aber der hat ihnen dann schon im Vorfeld der Realisierung Lorbeeren eingebracht: den Otto-Wagner-Städtebaupreis 1998.

Dann wurde das Projekt umgetauft: in „Compact City“. Vermarktungsgründe werden dafür angeführt. Soll sein. An der Substanz des Projekts ändert es nichts.

Es liegt an der Donaufelder Straße und erstreckt sich über - eigentlich bescheidene - 10.000 Quadratmeter Grundfläche. Was sich auf dieser Grundfläche allerdings abspielt - das ist wirklich ungewöhnlich. Es ist die geradezu unheimlich verdichtete Stadt, in der alle erdenklichen Funktionen vielfach verschränkt und überlagert sind, in der aber gerade deswegen auch höchst reizvolle Situationen entstehen.

Die Donaufelder Straße verläuft an dieser Stelle in einer sanften Kurve. Der folgt ein langer Baukörper, dann kommt ein gliedernder Einschnitt, und ein markanter Eckbaukörper zum Carminweg hin (auf der anderen Seite des Carminwegs: die Frauenwerkstatt) schließt die Sache ab, allerdings ohne sie zur Festung zu machen. Wenn man hier um die Ecke geht, dann sticht ein schmales, verglastes, durch sanfte Rampen erschlossenes Stiegenhaus-Gebäude ins Auge. Und da begreift man auch zum ersten Mal, daß es sich um eine Anlage handelt, die auf mehreren Ebenen organisiert ist.

In Worten schwer zu beschreiben, eigentlich gar nicht. Aber auf die Beschreibbarkeit kommt es ja auch nicht an. Die Atmosphäre ist in diesem Fall die Botschaft. Die Atmosphäre, die suggeriert, was hier alles passiert - oder zumindest in allernächster Zeit passieren könnte.

Es ist eine Art mittelalterliche Stadt, transponiert ins 21. Jahrhundert. Daher gibt es auch keinen Marktplatz. Dafür gibt es einen gewaltigen Supermarkt mit allem, was dazu gehört (Anlieferung, Entsorgung, Zufahrt, Parkmöglichkeit et cetera). Es gibt natürlich auch keine Schmiede, keine Tischlerei. Das wäre mit heutigen Ansprüchen allein schon punkto Lärm und sonstiger Umweltbelastung nicht kompatibel. Diese „kleinen Handwerksbetriebe“ gibt es eben in der historischen Form nicht mehr. Es gibt sie andererseits doch - in neuer Gestalt. Und dafür hat BUSarchitektur einen Raumplan entwickelt, der in seiner Kleinteiligkeit durchaus mit historischen Vorbildern vergleichbar ist, der aber allen heutigen Anforderungen an Arbeitsräume - Licht, Luft, Ausblick - ganz selbstverständlich entspricht.

Es gibt eine sogenannte urbane Platte. Darunter und darüber spielt es sich ab. Darunter liegen von anmietbaren Lagerräumen bis zu Parkplätzen et cetera alle erdenklichen Nebenfunktionen; auch eine Art Gewerbehof ist eingeschnitten. Darüber gibt es Baukörper-Konfigurationen selbstverständlicher bis besonderer Art. Lange, durch kleine Balkone, auch durch offene Laubengänge und immer wieder durch Einschnitte gegliederte Baukörper. Pavillonartige Aufbauten, die zwar auch gereiht sind, aber trotzdem wirklich reizvolle Außenraumsituationen schaffen. Und an der hinteren Grundstücksgrenze (parallel zur Donaufelder Straße) schließen relativ schmale, auch nicht sehr hohe, rechtwinklig zur übrigen Anlage stehende Baukörper das Areal ab. Durchgängiges Charakteristikum der gesamten Anlage ist die Verschränkung von Wohnen und Arbeiten: sei es in der Form der Stapelung getrennter Wohn- und Arbeitseinheiten, sei es in der Einbeziehung von Arbeitsplätzen in den Wohnzusammenhang.

Man hat sich mit der Freiraumgestaltung übrigens einige Mühe gegeben. Die Grünflächen sind geplant, gleichzeitig wurde die übliche Scheu vor bloß gepflasterten Flächen, die bei uns immer alles so verkitscht, so unklar macht, weitgehend vermieden. Es gibt beides, und das ist gut so.

Das Wesentliche - die Verschränkung von Wohnflächen mit Büros oder welchen Arbeitsräumen auch immer (Ateliers et cetera) - ist ziemlich beispielhaft gelungen. Ich erinnere mich an eine ganze Reihe von Wohnbauvorhaben der letzten eineinhalb, zwei Jahrzehnte, bei denen von Wohnen und Arbeiten die Rede war. Vom Arbeiten ist nie etwas übriggeblieben. Es wurden letztlich ganz normale Wohnanlagen daraus. BUSarchitektur hat das wirklich geschafft: Obwohl die Anlage noch gar nicht voll besiedelt ist, findet man jetzt schon vom sehr großen Supermarkt über das Café-Restaurant bis zum Sonnenstudio einiges an angedachten städtischen Nutzungen dort. Und was sich in den Wohn-Büros/Ateliers wirklich abspielt, das kann man nur erahnen. Man sieht es von außen natürlich nicht so genau.

Sicher ist aber: Die Anlage ist nicht „ausverkauft“. Ich behaupte, das hat seinen Grund. Wohnbauträger haben Verkäufer, die für eine ganz bestimmte Schiene des (gewöhnlichen, üblichen) Angebots geschult sind. Nicht für einen solchen Spezialfall.

Obendrein - auch das behaupte ich, ohne es beweisen zu können - dürften die Gasometer einen Großteil der Innovationsbereitschaft der gemeinnützigen Wiener Bauträger in Anspruch genommen haben. Dort haben sie unglaublich viel Geld investiert - auch die SEG -, dort haben sie ihre Prioritäten gesetzt. Das ist ein Jammer! Denn ein so spezielles Projekt wie die „Compact City“ bedarf einer ganz spezifischen Vermarktung, die nur wirklich informierte Leute zu leisten imstande sind.

Die Sache ist durchgeplant bis ins letzte. Und soweit man das - bei einer nur partiellen Nutzung des Gesamtprojekts - beurteilen kann, ist sie funktionsfähig. Der Standort ist richtig - diese ewige Stadtentwicklung nur mit Wohnbau ist ja längst nicht mehr erträglich -, das Nutzungspotential ist es auch. Um das zu legitimieren, braucht man kein zeitgeistiges Vokabular. Obwohl es passen würde - siehe so schillernde Schlagworte wie „fragmentierte Stadt“, „fraktale Stadtstruktur“ und was es sonst noch so gibt.

Ich glaube, man darf das alles vergessen. Es sind Worthülsen, die irgendwelche Ambitionen inhaltlicher Art plakativ verdeutlichen sollen. Im Fall der „Compact City“ verbirgt sich tatsächlich ein Inhalt dahinter, wie man ihn - in dieser konsequenten, gleichzeitig intimen - Spielart bisher nicht umgesetzt hat. Hinzu kommt, daß es sich hier auch um Architektur der formalen Stringenz handelt. Viel Geld war ja nicht gerade da, die Architekten konnten nicht einfach aus dem vollen schöpfen. Aber sie zeigen, was sich machen läßt.

Der Vergleich mit der „Sargfabrik“ beziehungsweise der „Miss Sargfabrik“ von Johnny Winter und dem BKK-2 drängt sich auf. Es geht um eine gemeinsame Sprachkomponente - bei allen individuellen Unterschieden -, die darauf basiert, daß man mit auch noch so beschränkten Mitteln haushaltet.

Man muß nur wissen, wie. Neben so vielen anderen Faktoren spielt eben doch das Wie eine ausschlaggebende Rolle. BUSarchitektur hatte sich weitgehend mit Putz-Architektur zu bescheiden. Allerdings hat sie ihr eine Farbe gegeben - Orange. Und das leuchtet.

Und dann gibt es noch zusätzliche Akzente: einen verglasten Baukörper hier (das Stiegenhausgebäude), verzinktes Blech da, speziell und körperhaft formulierte Fenster auf der einen Seite, schlichte Fensterbänder auf der anderen - klar, man kann sich viel mehr vorstellen, aber das genügt im Notfall auch. Und hier kommt unter dem Strich weit mehr als der gut gelöste Notfall heraus.

Wer sehen kann, der sieht. Und der sieht ein ziemlich innovatives Projekt. Ein Vorzeigeprojekt. Es wäre ohne den Bauträger SEG sicher nicht zustande gekommen. Es käme jetzt darauf an, in der Vermarktung - und damit ist nicht der Verkauf von Einheiten gemeint, da geht es um die Publizität des Gesamtprojekts - die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Denn „Compact City“ ist ein Fall von „Verallgemeinerbarkeit“.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft

Tragwerksplanung

Fotografie