Veranstaltung

LINZ TEXAS Eine Stadt mit Beziehungen
Ausstellung
12. Juni 2008 bis 8. September 2008
Architekturzentrum Wien - Alte Halle
Museumsplatz 1
A-1070 Wien


Veranstalter:in: Architekturzentrum Wien
Eröffnung: Mittwoch, 11. Juni 2008, 18:00 Uhr

So normal wie Singapur an der Donau

Jahrzehntelang ist man an Linz vorbeigefahren. Und nun widmet man der Stadt sogar eine eigene Ausstellung. Wie in Texas soll es da sein. Oder wie in Washington. Oder wie überall sonst auf der Welt. Ein neuer Blickwinkel aufs Mittelmaß.

14. Juni 2008 - Wojciech Czaja
In den letzten Kriegswochen saß er oft stundenlang in seinem Büro im Berliner Führerbunker und starrte auf das riesige Linz-Modell, das sich vor ihm ausbreitete: Hitler und seine Visionen für die Führerstadt an der Donau. Die ersten Entwürfe für die neue Uferbebauung hatte der Reichsbaurat der Stadt Linz, Roderich Fick, gezeichnet. Trotz riesiger Bauten und imposanter Triumphbögen waren Adolf Hitler die skizzierten Ideen allesamt zu lasch. Es musste noch größer werden. Hermann Giesler, Generalbaurat von München, liefer- te schließlich jenen Pathos, den sich Hitler für die Stadt, in der er seinen Lebensabend verbringen wollte, so sehnlich gewünscht hatte.

Wie eine Perlenkette der Macht reihen sich Militärmuseum, Pionierschule, Heereskommando, KdF-Halle, Führerhotel und Kreisleitung an den beiden Donauufern zur neuen Skyline von Linz. Die Krönung der Komposition war die Gauanlage mitsamt Gaufesthalle und 162 Meter hohem Glockenturm. Realisiert wurde von alledem nur das Brückenkopfgebäude zwischen Nibelungenbrücke und Hauptplatz, in dem heute unter anderem die Kunstuniversität Linz untergebracht ist. Die restlichen Pläne fielen dem glücklichen Verlauf der Zeit zum Opfer.

„Wenn es nach Hitler gegangen wäre, wäre Linz die Heimstätte der persönlichen Kunstsammlung des Führers geworden, beherbergt in einem riesigen, neoklassizistischen Bilderbuchpalast. Darüber befände sich der schwindelerregende Sarkophag seiner geliebten Eltern, erhöht auf einer gestreckten dorischen Säule - eine Art makabre Videoüberwachungsanlage aus dem Jenseits, mit Blick auf das wahnwitzige Vermächtnis ihres Sohnes“, schreibt der Londoner Architekturkritiker Shumon Basar anlässlich der eben eröffneten Ausstellung „Linz Texas“ im Architekturzentrum Wien.

Warum Linz? Warum Texas? Warum Hitler? Und warum nicht Bush? „Linz ist eine mittelgroße Stadt“, erklärt die Kuratorin Angelika Fitz, ihres Zeichens Kulturwissenschafterin mit einem Faible für Architektur und Stadtplanung, „Linz ist nicht wirklich sehr spezifisch, und es ist vergleichbar mit vielen anderen Mittelstädten auf der Welt. Mal mit Wolfsburg, mal mit Rourkela in Indien, mal mit Port Camargue in Südfrankreich, mal mit Manchester und mal mit Haifa. Und in manchen Punkten ist Linz auch so wie die Kleinstadt Paris in Texas. Je nach Betrachtungsweise eben.“

Dass Linz heute so ist, wie es ist, ist nicht zuletzt auch den gescheiterten Plänen Hitlers zu verdanken. „Nein, ich muss zugeben, dass das Problem, dem sich Linz scheinbar gegenüber sieht, darin besteht, dass es eigentlich keine großen, lebensbedrohenden Probleme hat“, bringt Shumon Basar in seiner überaus positiven Kritik zu Blatt. Linz sei nicht wie in Hitlers Träumen und auch nicht wie die großen Brennpunkte Mumbai, Caracas, oder Istanbul. „Im Schatten dieser schillernden Städte macht sich Linz recht possierlich aus. Die Stadt ist weder zu groß noch zu winzig. Ihr Bruttosozialprodukt ist auf recht gesundem Niveau. Niemandem scheint wirklich etwas abzugehen.“ In dieser Hinsicht, so Basar, liege Linz in einem Gürtel von gesunden, funktionierenden Städten, der sich über Zürich, Vancouver, München und Stockholm erstreckt.

Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Doch warum in aller Welt widmet man diesem mediokren Umstand eine eigene Ausstellung? „Gerade darum“, sagt Fitz. Schon der Architekturtheoretiker Bart Lootsma habe einmal in einem Symposium die Frage gestellt: „Warum untersuchen wir diese Städte nicht genauso intensiv wie die sensationsträchtigeren, funktionsgestörten Städte? Warum können wir nicht von den Städten lernen, die gut funktionieren?“ Genau das möchte man in der Ausstellung „Linz Texas“ tun. Mal ganz abgesehen davon, dass man auch die Werbetrommel für das kommende Kulturhauptstadtjahr 2009 rühren will.

„Nein, mich interessiert nicht Linz im Speziellen“, sagt Angelika Fitz, „mich interessiert nur das prototypische Beispiel einer Mittelstadt. Und zwar Mittelstadt in jeder Hinsicht.“ So gesehen, sei Linz nicht wahnsinnig außergewöhnlich. Wie in Paris, Texas, suhlt man sich auch in Linz im ewigen Minderwertigkeitskomplex, stets der Zweitplatzierte zu sein. Der Linzer Dom ist der zweithöchste Kirchturm Österreichs, und im texanischen Paris steht - als hätten wir's nicht schon geahnt - ein Nachbau des Pariser Wahrzeichens, der mit 20 Meter Höhe lange Zeit der zweithöchste Eiffelturm der Welt war. Und dann hat Las Vegas mit seinem großkotzigen 165 m hohen Turmnachbau dazwischengefunkt. Weg war der zweite Platz.

Linz ist aber auch wie Venedig, zumindest in den stadtnahen Einkaufszentren Uno-Shopping und Plus-City. Da wie dort steht das italienische Flair hoch im Kurs - wer will schon nicht auf einem kreisrunden „Marcusplatz“ unter gläsernem Firmament die vollen Tüten schwingen und bei einem Caffè Latte wieder zu Kräften kommen? Linz ist aber auch wie das indische Hyderabad: Da wie dort werden Softwareparks aus dem Erdboden gestampft. Oder wie Wolfsburg: Im einen Fall laufen Volkswagen vom Band, im anderen Fall der dafür benötigte Stahl. Nicht einmal ein Vergleich mit Kassel wird gescheut: Von der documenta lässt man sich nicht einschüchtern - man hat ja die Ars Electronica.

Der Amsterdamer Architekturjournalist Roemer van Toorn kommt aus dem Gegenüberstellen gar nicht mehr heraus. Letztendlich landet er im Katalog, der zeitgerecht zur Ausstellung erschienen ist, sogar bei einem Vergleich mit dem Stadtstaat Singapur. Und meint: „Bürgermeister Franz Dobusch schuf den perfekten Sozialstaat, mit technischer Effizienz auf höchstem Niveau, der ausgedehnten Verwendung von Informationsmitteln, weitverbreitetem Wohlstand, ausgezeichneten öffentlichen Einrichtungen, hohen Beschäftigungszahlen, einer effizienten und aufgeklärten Bürokratie und sozialen Beziehungen. Mehr noch: Linz ist wie Singapur ohne die Todesstrafe.“

Angelika Fitz gibt sich happy: „Genau das wollten wir erreichen. Wir wollten nicht schon wieder eine Ausstellung mit harten Faktoren, mit Statistiken und Flächenwidmungsplänen. Viel wichtiger waren uns die soften Facts. Wir haben uns daher die Frage gestellt: Wie ist es überhaupt, in einer Stadt wie Linz zu leben?“

Ausstellungen über das Phänomen Stadt habe es schon viele gegeben, aber noch niemals sei es geglückt, den Ausstellungsbesuchern ein Gefühl und ein Gespür für einen bestimmten Ort zu vermitteln. Hier geschieht dies in konzeptionellen Vergleichen, aber auch in sehr polemischen und durchaus plakativen Gegenüberstellungen. Manchmal recht plump, aber immer lustig und anregend. Mit einem Wort: Stadtbetrachtung durch eine völlig neue Brille. Und: Wie lebt es sich zwischen Linz und Texas? Eine Antwort möchte Angelika Fitz darauf nicht geben. „Dazu ist die Ausstellung da.“

[ „Linz Texas. Eine Stadt mit Beziehungen“ im Architekturzentrum Wien, Museumsplatz 1, 1070 Wien. Täglich 10 bis 19 Uhr. Zu sehen bis 8. September 2009. Ausstellungsgestaltung: arquitectos; Grafik: MVD Austria. Zur Ausstellung erscheint der gleichnamige Katalog „Linz Texas. Eine Stadt mit Beziehungen“ im Springer-Verlag. ]

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