Veranstaltung

Über Grenzen hinweg
Symposium
14. Oktober 2010 bis 15. Oktober 2010
Fachhochschule Vorarlberg
Hochschulstraße 1
A-6850 Dornbirn


IFAU

Stadt, mach Platz!

Wie öffentlich ist der öffentliche Raum? Preisgekrönte Beispiele aus Europa - und eine Ausstellung in Wien.

9. Oktober 2010 - Wojciech Czaja
Es gibt lebensbejahendere Orte als Magdeburg. Die Hauptstadt von Sachsen-Anhalt ist gebeutelt von schrumpfender Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit. Besonders dramatisch ist die Situation im südlichen, grau und beige getünchten Stadtteil Salbke. Arbeitslosenrate 20 Prozent, Gebäudeleerstand in den einzelnen Straßen zwischen 25 und 80 Prozent. Der Vandalismus entsteht in diesem Reagenzglas der Traurigkeit ganz von allein.

Doch seit kurzem hat Salbke einen neuen, einen grünen Hoffnungsschimmer. Wo einst die Stadtbücherei gestanden hatte, bevor sie mitsamt ihrem Bücherbestand in den Achtzigerjahren niederbrannte, befindet sich heute ein ungewöhnliches Mischding zwischen Architektur, Kunstinstallation und kleiner, aber feiner Parklandschaft.

Kinder sitzen auf den Holzbänken und blättern in irgendwelchen Büchern, Jugendliche hocken in verglasten Nischen und zünden sich eine Zigarette an, Mütter machen Pause von einem schubreichen Spaziergang mit Kinderwagen und Knirps. Und nein, das sind keine bezahlten Statisten fürs Foto, sondern ganz normale Magdeburger auf ihrem mal zufälligen, mal routinierten Weg durch die Stadt.

Das Projekt des Leipziger Architekturbüros Karo (in Zusammenarbeit mit Architektur+Netzwerk) scheint jedoch nicht nur die lokale Bevölkerung anzusprechen. Auch die Jury des European Prize for Urban Public Space, der alle zwei Jahre vom Centre of Contemporary Culture of Barcelona (CCCB) vergeben wird, zeigte sich von dieser öffentlichen Piazza regelrecht beeindruckt und zeichnete sowohl die Architekten als auch die Kommune Magdeburg als Auftraggeberin mit dem ersten Preis aus - ex aequo übrigens mit dem Osloer Opernhaus von Snøhetta Architekten.

„Die Freiluftbibliothek in Magdeburg ist ein sehr unvoreingenommenes Projekt“, sagt der spanische Architekt Rafael Moneo, der heuer den Juryvorsitz innehatte. „Es zeigt ein gewisses Desinteresse am allgemeinen Verständnis von Formensprache, und doch - oder vielleicht gerade deshalb - öffnet sich das Projekt für viele unterschiedliche Nutzungen und breit gefächerte Kulturaspekte.“

Begonnen hatte alles mit einer unscheinbaren Postkarten-Aktion, in der die Bevölkerung aufgefordert wurde, Bücher zu spenden, um die literarische Wissenslücke im kollektiven Gedächtnis nach 20 Jahren ohne eigene Stadtteilbibliothek endlich wieder zu schließen. Als der neue Bücherbestand auf mehr als 10.000 Stück angewachsen war, wusste niemand, wohin mit dem ganzen Zeug. Also beschlossen die Magdeburger, aktiv zu werden, und beantragten gemeinsam mit den Architekten einen Forschungsantrag beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung. Dem wurde stattgegeben.

Es folgte ein intensives Partizipationsprojekt mit vielen Besprechungen und ebenso vielen Entwurfseskapaden, die mal laienhaft Banales, mal überraschend Cleveres zu Tage brachten. Danach wurde die ausgewählte Siegerzeichnung direkt vor Ort dreidimensional simuliert. „Die Dinge haben sich perfekt gefügt“, sagt Architekt Stefan Rettich. „Ein Getränkehändler hat uns 1000 Bierkisten zur Verfügung gestellt, und so konnten wir ein 1:1-Modell des Entwurfs errichten. Das war ein einfacher, aber immens wichtiger Schritt in diesem Prozess.“

Im Sommer 2009 wurde die Freiluftbibliothek schließlich in die Realität umgesetzt - mitsamt zahlreichen Sitznischen, wetterfesten Büchervitrinen sowie einem teils offenen, teils geschlossenen Bühnenturm für diverse Lesungen, Band-Auftritte und Theater-Aufführungen des benachbarten Kindergartens. Die charakteristischen Aluminium-Waffelpaneele an der Fassade stammen von einem alten, bereits abgerissenen Horten-Kaufhaus aus den Sechzigerjahren.

„Die Bevölkerung hat sich gewünscht, dass bei diesem Bau Materialrecycling zur Anwendung kommt“, meint Rettich. „Bevor die Baubehörde überhaupt noch die Bewilligung erteilt hat, hatten die Leute die Alukassetten in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bereits um ein paar Tausend Euro gekauft. Da sieht man, wie sich so ein Projekt in kürzester Zeit verselbstständigen kann!“ Die Baukosten für das ungewöhnliche Wahrzeichen in Magdeburg-Salbke belaufen sich auf 325.000 Euro.

Die Häuser sind für alle da

Dieses und viele andere Projekte im öffentlichen Raum sind ab kommender Woche in einer Ausstellung im Architekturzentrum Wien zu sehen. Platz da! European Urban Public Space präsentiert zum einen die diesjährigen Preisträger des CCCB-Wettbewerbs, setzt sich zum anderen ganz allgemein mit der Frage auseinander: Was ist öffentlicher Raum?

„Das Verständnis hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt“, sagt die Ausstellungskuratorin Andrea Seidling. „Unter öffentlichem Raum hat man früher vor allem Garten- und Landschaftsprojekte verstanden. Mit den beiden erstplatzierten Projekten 2010, der Freiluftbibliothek in Magdeburg und der Oper in Oslo, sieht man ganz gut, wie sich der gesellschaftliche Freiraum immer mehr in die Architektur verlagert.“ Oder aber: „Wie die Bevölkerung immer häufiger Nutzungsansprüche an ihre gebaute Umwelt stellt.“

Die exakte Definition öffentlichen Raums sei vor allem eine Frage der Kultur und der gesellschaftlichen Traditionen im jeweiligen Land. Seidling: „Öffentlichkeit und Privateigentum haben in der Türkei einen anderen Stellenwert als etwa in Skandinavien. Daher wird auch das, was man unter einem öffentlichen Platz in der Stadt versteht, von Land zu Land variieren.“

Nur eines könne man mit Sicherheit sagen: „Österreich und da vor allem Wien haben zum öffentlichen Freiraum ein ziemlich gestörtes Verhältnis. Die Gründe dafür gehen zurück bis zum Polizeistaat Metternichs, in dem die Bespitzelung in der Öffentlichkeit an der Tagesordnung war. Lieber als auf dem Platz hat man sich damals im Caféhaus oder im Salon getroffen.“

Die Folgen dieses gesellschaftlichen Rückzugs sind bis heute zu sehen. Der einzige gut funktionierende öffentliche Freiraum in ganz Wien ist das revitalisierte Museumsquartier. Und dabei handelt es sich streng genommen nicht einmal um eine öffentliche Fläche, sondern um Privateigentum.

Das Dilemma mit dem Verkehr

„Von solchen Projekten wie in Magdeburg oder in Oslo kann man in Österreich nur träumen“, sagt die Kuratorin. „Und das ist schade, denn zu einem erfüllten Leben gehört nicht nur eine intakte Privatsphäre, sondern auch ein entsprechend gut funktionierender öffentlicher Raum. Hier treffen wir uns, hier nehmen wir am städtischen Leben teil, hier können wir die Möglichkeit wahrnehmen, unsere Meinung frei zu äußern.“

Warum das Spiel mit der Öffentlichkeit in Österreich partout nicht funktionieren will, liegt aber nicht nur in der Geschichte begründet, sondern hat auch mit der Gesetzeslage zu tun. „Laut Gesetzbuch definiert sich der öffentliche Raum in erster Linie über den Verkehr“, sagt der auf Öffentlichkeitsfragen spezialisierte Rechtsanwalt Axel Anderl von der Wiener Kanzlei Dorda Brugger Jordis. „Das ist zwar nachvollziehbar, im Grunde genommen aber ziemlich skurril.“

Wenn der Verkehr in der Diskussion immer wieder als Totschlagargument herhalten muss, braucht man sich über die Freiraumqualität in diesem Land nicht zu wundern. „Ich bin mir gar nicht so sicher, ob man das Problem juristisch in den Griff kriegen kann“, meint Anderl. „Hier ist die Politik gefordert. Doch solange wir in jedem Bezirk einen eigenen Bezirkskaiser haben, der lediglich seine eigenen Interessen durchboxen will, wird sich das Dilemma nicht ändern.“

Der öffentliche Raum in Österreich gehört bis auf weiteres dem Auto. Auch das ist Ausdruck von Kultur.
„Platz da! European Urban Public Space“ im Architekturzentrum Wien (AZW). Eröffnung Mittwoch, 13. Oktober, um 19 Uhr. Die Ausstellung ist bis 31. Jänner 2011 zu sehen. www.azw.at

Am 14. und 15. Oktober findet in Dornbirn das Spiel- und Freiraumsymposium statt. Veranstalter ist das Institut für angewandte Umweltbildung (IFAU). Anmeldung unter www.ifau.at

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