Veranstaltung

Dietmar Feichtinger
Ausstellung
Dietmar Feichtinger © David Boureau
3. Juli 2013 bis 21. September 2013
aut. architektur und tirol im adambräu
Lois-Welzenbacher-Platz 1
A-6020 Innsbruck


Einer flog übers Wasser

Können Brücken fliegen? Die Projekte des Pariser Architekten Dietmar Feichtinger kommen dem Versuch verdächtig nah, wie eine Ausstellung in Innsbruck beweist.

10. August 2013 - Wojciech Czaja
Es ist eine feuchte Angelegenheit. Und eigentlich will man angesichts der sengenden Hitze da draußen auch gar nicht mehr weg. Wer dieser Tage ins Innsbrucker Architekturhaus aut hineinspaziert, der wird wenige Meter nach dem Eingang freundlich aufgefordert, die Schuhe auszuziehen und die Räumlichkeiten auf natürlicher Sohle zu erkunden. Die ungewöhnliche Bitte liegt im Aggregatzustand des Bodens begründet. Er ist flüssig. Für diejenigen, die sich zieren, ihre bloßhaperte Pracht preiszugeben, stehen übrigens ein paar hübsch ansehnliche Gummistiefel bereit.

Warum Wasser? „Eine Architekturausstellung zu machen ist eine ziemlich frustrierende Angelegenheit“, sagt Arno Ritter, Kurator und Leiter des aut. „Nie ist das da, worüber man diskutieren will, immer muss man sich mit der Abwesenheit der Materie begnügen. Doch sobald man einen Ausstellungsraum flutet, weiß man, spürt man, ahnt man bereits, dass das, was hier gezeigt wird, irgendwas mit Fluss und Meer zu tun haben muss.“

Das tut es. Objekt der Begierde ist nämlich die Brücke. Genauer gesagt die Brücke, wie sie der österreichische Architekt Dietmar Feichtinger begreift. „Eigentlich geht es bei einer Brücke darum, zwei Punkte miteinander zu verbinden“, sagt Feichtinger. „Doch tatsächlich kann man viel mehr daraus machen. Tatsächlich sind Brücken nämlich nicht nur Wege von A nach B, sondern auch Orte mit einer gewissen Aufenthaltsqualität, die eine Perspektive auf die Welt offenbaren, die man ohne den künstlichen Eingriff des Menschen auf diese Weise niemals genießen könnte.“ Diesen Umstand gilt es zu zelebrieren, und zwar anhand von 15 Brückenprojek- ten aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Dänemark und Finnland.

In Feichtingers Portfolio - das ist nach einigen wenigen mentalen Brückenbegehungen im knöchelhohen Nass klar - gibt es mehr Brückenprojekte als bei jedem anderen Architekten in Europa. Mit Ausnahme Calatravas vielleicht, der überall auf der Welt seine immergleichen Dinosaurierskelette hinklotzt. „Ich habe Brücken immer schon faszinierend gefunden“, sagt Feichtinger, der sein Hauptbüro in Paris betreibt und rund 30 Mitarbeiter hat. „Doch leider werden die meisten Brücken heutzutage von Bauingenieuren geplant, was vor allem mit der Befugnis zu tun hat, denn in den meisten Ländern gelten Brücken immer noch als reine Zweckbauten.“

Bei aller konstruktiven Logik: Mit reiner Zweckdienlichkeit haben Feichtingers filigrane Brückenkompositionen nichts zu tun. „Ich möchte Architektur und Konstruktion miteinander verbinden, ich möchte eine Einheit aus äußerer Ästhetik und innerem Kräftefluss schaffen, und ich möchte dabei nach Möglichkeit Leichtigkeit und Eleganz erzeugen. Ich reize aus, was es auszureizen gibt, doch bei jedem einzelnen Entwurf, den ich mache, ende ich damit, dass ich mich immer wieder aufs Neue frage: Warum können Brücken nicht fliegen?“

Manche Fußgänger- und Radfahrbrücken - Überquerungen für motorisierte Verkehrsteilnehmer wird man bei Feichtinger vergeblich suchen - scheinen allen Regeln der Schwerkraft zu trotzen und kommen dem Fliegen verdächtig nah. Die Butterfly Bridge in Kopenhagen, die derzeit errichtet und kommendes Jahr eröffnet wird, kann bei Bedarf ihre beiden Schmetterlingsflügel nach oben ziehen. Sobald sich im Proviantmagasingraven, der links und rechts von alten Lagerbauten gesäumt ist, ein Schiff ankündigt, werden die beiden Stege scheinbar schwerelos hydraulisch hochgeklappt.

Nur eine Frage der Schönheit?

Im Oude Dokken in Gent (Belgien) wiederum kann die Fußgängerbrücke, falls nötig, nach oben gepumpt werden. Mal ist sie flach wie ein Brett, mal ist der Aufstieg steil wie auf einen Bergrücken, in jedem Fall aber kann die Brücke, während sie ihre Gestalt verändert, sogar benutzt und begangen werden. Eine ausgetüftelte Konstruktion im Bereich des Bodens und Geländers macht's möglich. Die Höhendifferenz zwischen flachem und gebuckeltem Zustand beträgt fast fünf Meter.

„Eine Brücke zu entwerfen ist nie nur eine Frage der Schönheit“, sagt Feichtinger. „Sobald man den Stift zur Hand nimmt, muss man bereits eine Ahnung davon haben, wie die Konstruktion funktioniert, wie die statischen Kräfte verlaufen, wie die nötigen Funktionen abgedeckt werden. Die Ästhetik jedoch ist insofern wichtig, als die Konstruktion viel besser sichtbar ist als bei jedem anderen Bauwerk.“

Hinzu kommt, dass sich Brücken meist in eine sehr sensible Umgebung fügen müssen. Bei der Passerelle Simone-de-Beauvoir in Paris, die den Parc de Bercy mit der Nationalbibliothek François Mitterrand verbindet, spannt sich der Weg wie eine leichte Welle über die Seine. Fußgänger und Radfahrer werden nicht stur über den Fluss geschickt, sondern wandern entlang der Zug- und Druckkräfte mal bergauf, mal bergab. In der Mitte der Brücke gibt es einen gedeckten Ort zum Verweilen, eine Art städtisches Wohnzimmer über dem Wasser.

Es plätschert wieder unter den Füßen. Genüsslich begibt man sich zum nächsten ausgestellten Projekt und schiebt dabei das kühle Wasser mit jedem Schritt voran. Wer Stiefelgummi trägt, ist selbst schuld. Noch ist die Jetée, die neue Fußgängerüberquerung nach Mont Saint-Michel, Baustelle, noch muss man sich mit Renderings und Planmaterial begnügen. Kommenden Sommer wird man das wohl jetzt schon bekannteste Projekt Dietmar Feichtingers erstmals bewandern und beradeln können.

Wie ein fast zwei Kilometer langes S windet sich die flache Brücke durch das Watt und überspannt die Flussmündung des zäh fließenden Couesnon. Fast unsichtbar duckt sich die Architektur ins Naturschutzgebiet, nimmt die Farbe von Wattwürmern und Sandkrabben an. Sensibler kann Bauen kaum sein.

Brücke nach Mont Saint-Michel

„Einerseits weicht der Steg aus, damit der Winkel zwischen Flussrichtung und Pfeilern nicht zu steil ist und damit das Wasser besser durchfließen kann. Andererseits schlängelt sich die Brücke durch das Wattenmeer, um unterschiedliche Ausblicke zu ermöglichen. Mal blickt man auf den Atlantik, mal frontal auf den unescogeschützten Klosterberg Saint-Michel.“ Ein Weg, so Feichtinger, ist eben nie nur ein Weg, sondern immer auch ein Ort.

Die Füße sind klatschnass, immer noch nass, wollen nass bleiben. Wie war das nochmal mit dem Fliegen? Dietmar Feichtinger hält kurz inne, spricht von Spinnen, Wasserläufern und Schmetterlingen. „Warum Brücken nicht fliegen können? Das ist ganz einfach“, sagt er. „Im Gegensatz zu Insekten sind Brücken nämlich am Ufer festgemacht, und daher kommen sie nicht weg.“

Die Ausstellung „Dietmar Feichtinger. Wege und Orte“ ist im aut Innsbruck bis 21. September zu sehen. Zeitgleich findet im Haus der Architektur Graz die Partnerausstellung „Dietmar Feichtinger. Orte und Wege“ über öffentliche Bauten statt. Bis 13. September.

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