Veranstaltung

Friedrich Kiesler. Lebenswelten
Ausstellung
Friedrich Kiesler. Lebenswelten © MAK / Georg Mayer
15. Juni 2016 bis 2. Oktober 2016
MAK Museum für Angewandte Kunst
Stubenring 5
A-1010 Wien


Veranstalter:in: MAK
Eröffnung: Dienstag, 14. Juni 2016, 19:00 Uhr

Das Au­ge ei­nes Bot­schaf­ters des 21. Jahr­hun­derts

Das Schaf­fen des Uto­pis­ten und Uni­ver­sal­künst­lers Fried­rich Kies­ler ist nun in ei­ner Gren­zen über­schrei­ten­den Re­tro­spek­ti­ve im Mak zu se­hen. „Le­bens­wel­ten“ ist nicht nur ei­ne Aus­stel­lung, son­dern ei­ne Ver­or­tung jahr­zehn­te­al­ter Vi­sio­nen im Heu­te.

15. Juni 2016 - Wojciech Czaja
„Nein, das ist kein Ei. Das ist ein end­lo­ses Haus mit end­lo­sen Nut­zungs­mög­lich­kei­ten.“ Fried­rich Kies­ler, dis­tin­guiert mit Sei­ten­schei­tel und Flie­ge, sitzt vor der Ka­me­ra und er­klärt mit stoi­scher Ru­he und rol­len­dem R sei­ne Vi­si­on des End­less Hou­se . Das bio­mor­phe Ide­en­kons­trukt aus den spä­ten Fünf­zi­ger­jah­ren, das wie ei­ne über­di­men­sio­na­le Mu­schel über dem Bo­den zu schwe­ben scheint, fas­zi­nier­te nicht nur den Mo­de­ra­tor der Sen­dung Ca­me­ra Three , son­dern ging auch als nie rea­li­sier­ter, aber un­ver­zicht­bar wich­ti­ger Bei­trag in die in­ter­na­tio­na­le Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te des 20. Jahr­hun­derts ein.

Dem weit­den­ken­den Uto­pis­ten und Uni­ver­sal­künst­ler, den Ha­ni Ras­hid, Vor­sit­zen­der der Fried­rich-Kies­ler-Stif­tung, gar als „Bot­schaf­ter des 21. Jahr­hun­derts“ be­zeich­net, wid­met das Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst (Mak) nun ei­ne Aus­stel­lung, die die zu­gleich größ­te je­mals ge­zeig­te Re­tro­spek­ti­ve ist. Das End­less Hou­se , das Kies­ler bis zu sei­nem Tod 1965 be­schäf­tig­te, bil­det mit Skiz­zen, Plä­nen und Mo­del­len un­ter den knapp 600 Ex­po­na­ten ei­nen der in­halt­li­chen Schwer­punk­te .

Un­ter dem Ti­tel Fried­rich Kies­ler. Le­bens­wel­ten sind nicht nur Ar­chi­tek­tur- und Mö­bel­ent­wür­fe aus­ge­stellt, son­dern auch vie­le Aus­stel­lungs­ge­stal­tun­gen und Büh­nen­bil­der, die vor al­lem in den 1930er- und 1940er-Jah­ren in New York ent­stan­den, so­wie Pro­jek­te an der Schnitt­stelle zwi­schen Raum, Kunst, Mo­de, Mu­sik, Film, Thea­ter und Li­te­ra­tur, die sich nur schwer in ei­nen dis­zi­pli­nä­ren Ka­non fas­sen las­sen.

„Und ge­nau das macht Fried­rich Kies­ler so span­nend“, sagt Ku­ra­tor Die­ter Bog­ner. „Er­stens war Kies­ler ein ganz­heit­li­cher Den­ker, der an der Gren­ze zwi­schen den Küns­ten ge­ar­bei­tet hat. Zwei­tens in­te­res­sier­te er sich nie für das Ge­samt­kunst­werk als äs­the­ti­sches Pro­dukt, son­dern be­trach­te­te den Nut­zer stets als Mit­tel­punkt des Be­zie­hungs­ge­fü­ges. Und drit­tens ver­stand er sei­ne Ar­beit im­mer als Wech­sel­be­zie­hung zwi­schen Kunst und Wis­sen­schaft.“ All das, so Bog­ner, ma­che Kies­ler hoch­ak­tu­ell.

Ela­sti­scher Büh­nen­raum

Kies­ler, 1890 in Czer­no­witz in der heu­ti­gen Ukrai­ne ge­bo­ren, stu­dier­te Ar­chi­tek­tur, Mal­erei und Kup­fer­stech­erei. Nach dem er­sten Welt­krieg reist er re­gel­mä­ßig nach Ber­lin, wo er sei­nen er­sten do­ku­men­tier­ten Auf­trag er­hält. Es geht um ein Büh­nen­bild für Ka­rel Čapeks Stück W.U.R. Die Büh­nen­ge­stal­tun­gen prä­gen ihn vie­le Jah­re, für das Wie­ner Kon­zert­haus et­wa, aber auch die Ju­il­lard School of Mu­sic, das Bilt­mo­re Thea­tre und die Me­trop­oli­tan Ope­ra in New York. „Die Büh­ne ist kei­ne Kis­te mit ei­nem Vor­hang als De­ckel, in die Pa­no­ra­men ein­ge­schach­telt wer­den“, so Kies­ler. „Die Büh­ne ist ein ela­sti­scher Raum. Sie ist ein selbst­stän­di­ger Or­ga­nis­mus mit den Ge­set­zen der Tech­nik un­se­rer Zeit.“

Viel Raum hat in der Mak-Aus­stel­lung Kies­lers Bruch mit der ge­rad­li­ni­gen, recht­win­ke­li­gen Mo­der­ne (gip­felnd in ei­ner raum­fül­len­den Re­kons­truk­ti­on der 1925 ent­stand­enen Raum­stadt ), der ihn zur bio­mor­phen Spra­che der wei­chen, un­end­li­chen Li­ni­en führ­te, die von nun an men­ta­le Grund­la­ge für sei­ne Ar­beit wer­den soll­te. Oder, wie Mak-Di­rek­tor Christ­oph Thun-Ho­hens­tein es aus­drückt: „Kies­ler hat vie­le The­men des 21. Jahr­hun­derts vor­weg­ge­nom­men: Woh­nen, Stadt­pla­nung, neue Tech­no­lo­gien, Mensch und Ma­schi­ne. So ge­se­hen könn­ten wir vie­le Ant­wor­ten der heu­ti­gen Zeit fin­den, in­dem wir uns mit Kies­lers Fra­gen be­schäf­ti­gen.“

Dass Künst­ler und Schü­ler­in­nen im Rah­men der Schau ein­ge­la­den wur­den, sich mit Kies­lers Er­be zu be­schäf­ti­gen, stellt nicht nur das Ge­zeig­te in ei­nen zeit­ge­nös­si­schen Kon­text, son­dern setzt auch je­nen trans­dis­zi­pli­nä­ren Blick fort, der den Vi­sio­när aus­zeich­ne­te. Mit Mon­sieur Kies­ler I am wea­ring your End­less Hou­se. How do­es it su­it me? re­du­ziert Li­li Rey­naud-De­war – ganz im Sin­ne der ak­tu­el­len ge­sell­schafts­po­li­ti­schen De­bat­te – die drit­te Haut (Ar­chi­tek­tur) auf die zwei­te (Klei­dung). Und bei End­less Match , ei­nem Lehr­lings­pro­jekt von Kul­tur­Kon­takt Aus­tria, darf man nie­mals auf­hö­ren zu spie­len, sonst kommt das Le­der am tief­sten Punkt des ei­för­mi­gen Fuß­ball­ti­sches zum Still­stand. Man muss am Ball blei­ben. Das macht die Aus­stel­lung mit Bra­vour. Bis 2. 10.

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