Veranstaltung

Zukunft von Gestern
Ausstellung
14. Mai 2016 bis 18. September 2016
DAM Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
D-60596 Frankfurt / Main


Deutsches Architekturmuseum (DAM)

Zu­rück in die Zu­kunft

Wie hat ge­stern noch das Über­mor­gen aus­ge­se­hen? Die Ant­wort da­rauf lie­fert ei­ne Aus­stel­lung im Deut­schen Ar­chi­tek­turm­useum. Rück­blick auf Ar­chig­ram, Fu­tu­re Sys­tems und ei­ne Welt der Sehn­süch­te

13. August 2016 - Wojciech Czaja
Flie­gen­de Fil­me. Au­dio­vi­su­el­le Spiel­zeu­ge. Ein Zelt­dach, das vom Him­mel hängt. Jetzt ist Gla­mour! Die In­stant Ci­ty , ein Ent­wurf aus dem Jahr 1969, war die Stadt, die zum Men­schen kam. Wie ein Wan­der­zir­kus soll­te die mo­bi­le Po­lis, ein­ge­packt in Pa­ke­te, durch Groß­bri­tan­nien rei­sen und den länd­li­chen Be­wohn­ern Bil­dung, Frei­zeit und Un­ter­hal­tung bie­ten. Das trag­ba­re Groß­stadt­er­leb­nis war als Aus­gleichs­mit­tel ge­dacht, denn in Zei­ten sich aus­brei­ten­der Te­le­vi­si­on be­ka­men die Men­schen auch die Ge­wiss­heit da­rü­ber, dass zwi­schen Stadt und Land ein star­kes kul­tu­rel­les Ge­fäl­le exis­tier­te. Das schür­te Äng­ste und Sehn­süch­te.

„Na­tür­lich war die In­stant Ci­ty als rea­lis­ti­sches Pro­jekt ge­dacht“, sagt Pe­ter Cook, Ur­he­ber der Fer­tigs­tadt, zum STAN­DARD . „Ich ha­be mich nie für Scien­ce-Fic­ti­on in­te­res­siert. Sie mö­gen das für naiv hal­ten, doch die­se Welt, Sie kön­nen sie nen­nen, wie Sie wol­len, war da­mals mei­ne Rea­li­tät.“

Ge­mein­sam mit Da­vid Gree­ne, Ron Her­ron, War­ren Chalk, Mi­cha­el Webb und Den­nis Cromp­ton ar­beit­ete Cook da­mals an der Re­or­ga­ni­sa­ti­on der Welt. Un­ter dem Na­men Ar­chig­ram – der Be­griff ist ei­ne Wort­ver­schmel­zung aus „ar­chi­tec­tu­re“ und „te­le­gram“ – ent­stan­den von 1961 bis 1974 Pro­jek­te, Kon­zep­te und zahl­rei­che Pu­bli­ka­tio­nen. „Wir wa­ren da­von über­zeugt, dass die­se Zu­kunft rea­lis­tisch ist“, blickt der heu­te 80-jäh­ri­ge Lon­do­ner Ar­chi­tekt des Kunst­hau­ses Graz und des In­sti­tuts­ge­bäu­des auf dem Wie­ner WU-Cam­pus, zu­rück. „Lei­der ha­ben wir als Ar­chig­ram nie et­was in die Rea­li­tät um­ge­setzt. Wie gern hät­te ich das al­les ge­baut!“

Die In­stant Ci­ty ist, als ei­nes von knapp 90 Ex­po­na­ten, zur­zeit im Deut­schen Ar­chi­tek­turm­useum (DAM) in Frank­furt zu se­hen. Un­ter dem Ti­tel Zu­kunft von ge­stern wer­den die vi­sio­nä­ren Ent­wür­fe der bei­den Lon­do­ner Bü­ros Ar­chig­ram und Fu­tu­re Sys­tems ein­an­der ge­gen­über­ge­stellt. Da­run­ter fin­den sich auch vie­le Pro­jek­te, die nur ein­ge­fleisch­ten Fans und Ar­chi­tek­tur­pro­fis be­kannt wa­ren.

„In den Ent­wür­fen von Ar­chig­ram spiegelt sich die ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Ent­wi­cklung der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts wi­der“, sagt der Po­li­to­lo­ge und Aus­stel­lungs­ku­ra­tor Phi­lipp Sturm. „Da­her sind die Ar­bei­ten, auch wenn sie nie­mals rea­li­siert wur­den, für die Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te von gro­ßer Be­deu­tung.“ Nicht nur das Fern­se­hen, auch die Er­obe­rung des Welt­raums, des Mon­des und der bis­lang kaum er­schloss­enen Ge­bie­te der Er­de, die auf­kom­men­de Pop­kul­tur, das Swin­ging Lon­don, die Er­rich­tung der Ber­li­ner Mau­er und des Ei­ser­nen Vor­hangs so­wie der lang an­dau­ern­de Kal­te Krieg ha­ben die Ar­beit von Ar­chig­ram ge­prägt.

Ant­wort auf den Kal­ten Krieg

Wal­king Ci­ty et­wa, ein Pro­jekt aus dem Jahr 1964, kann als Ant­wort auf die Zers­tö­rung der Er­de durch Um­welt­ver­schmut­zung und atom­are Ver­seu­chung ver­stan­den wer­den. Wie ein rie­si­ges In­sekt be­wegt sich ei­ne 50-stö­cki­ge Stadt durch Was­ser, Wü­ste und ewi­ges Eis. Auch Oa­sis , Air Hab , Cap­su­le To­wer , Un­der­wa­ter Ci­ty und Self De­struct En­vi­ron Po­le ge­ben Ein­blick in die me­dia­len The­men und in die Stim­mung der Sech­zi­ger- und Sieb­zi­ger­jah­re. „Un­be­wohn­bar ge­wor­de­ne Or­te wa­ren wäh­rend des Kal­ten Krie­ges ei­ne la­ten­te Ge­fahr“, sagt Pe­ter Cook. „Die neu­en Wohn- und Le­bens­mo­del­le wa­ren un­se­re Ant­wort da­rauf.“

Wäh­rend Ar­chig­ram mit sei­nen Me­gast­ruk­tu­ren ei­nem fast schon fa­ta­lis­ti­schen tech­ni­schen Fort­schritt hul­dig­te, be­schäf­tig­te sich Fu­tu­re Sys­tems mit In­ter­ven­tio­nen in meist klei­nem Maß­stab. Der aus der Tsche­chos­lo­wa­kei stam­men­de und 2009 ver­stor­be­ne Emig­rant Jan Ka­plický ar­beit­ete zu­nächst für Ren­zo Pia­no und Ri­chard Ro­gers und wirk­te maß­ge­blich am Ent­wurf des Cen­tre Pom­pi­dou in Pa­ris mit. 1979 grün­de­te er das Lon­do­ner Bü­ro Fu­tu­re Sys­tems, das er zu­nächst mit Da­vid Ni­xon, spä­ter mit sei­ner Le­bens­ge­fähr­tin Aman­da Le­ve­te lei­te­te.

„Un­se­re Ar­beit leb­te von der Ge­gen­wart und vom Mo­ment“, blickt Aman­da Le­ve­te zu­rück. „Das Span­nen­de war, ge­gen die Pro­ble­me da drau­ßen an­zu­kämp­fen und sie zu über­win­den.“ Zu den viel­leicht ty­pisch­sten Ent­wür­fen von Fu­tu­re Sys­tems zäh­len Bub­ble , Ve­hic­le , Une pe­ti­te mai­son und Haus für ei­nen He­li­kop­ter­pi­lo­ten . Im­mer wie­der wer­den klei­ne fu­tu­ris­ti­sche Fremd­kör­per – fast schon mit ei­ner Lie­be zum Schock – in wun­der­schö­ne, meist un­be­rühr­te Land­schaf­ten hin­ein­ge­setzt. Im Pea­nut , ei­ner erd­nuss­för­mi­gen Wohn­ka­bi­ne für zwei Per­so­nen, kann man sich, um dem All­tag im Kal­ten Krieg für ei­nen Au­gen­blick zu ent­kom­men, auf ei­nem hy­drau­li­schen Arm in die Luft hie­ven las­sen. Die Col­la­gen drü­cken die Sehn­sucht nach ei­ner Zu­kunft aus, die nie kom­men woll­te.

Doch sie kam. 1994 bau­te Fu­tu­re Sys­tems die Floa­ting Brid­ge in Lon­don, 1999 das Me­dia Cen­tre auf dem Lon­do­ner Lord’s Cri­cket Ground und 2003 das Sel­frid­ges-Kauf­haus in Bir­ming­ham. Das war der Hö­he­punkt der Blob-Ar­chi­tek­tur. „Jan hat es nicht aus­ge­hal­ten, die ech­ten Bau­ten zu be­sich­ti­gen. Bei der Er­öff­nung von Sel­frid­ges ist er ge­flo­hen, weil das fer­ti­ge Bau­werk nicht so pur war wie der Ori­gi­na­lent­wurf“, er­in­nert sich Aman­da Le­ve­te. „Jan wä­re glü­cklich ge­we­sen oh­ne Bau­en. Er wuss­te, dass er sei­nen Platz in der Ge­schich­te si­cher hat­te durch sei­ne Zeich­nun­gen.“

Die Aus­stel­lung im DAM lässt den Er­wachs­enen noch ein­mal Kind sein. „Die Wer­ke von Fu­tu­re Sys­tems ha­ben et­was Kind­haf­tes“, so Ku­ra­tor Sturm. „Sie bie­ten der Fan­ta­sie viel Raum und zei­gen ein Den­ken jen­seits al­ler Kon­ven­tio­nen.“ Nicht zu­letzt neh­men die Zeich­nun­gen, Col­la­gen und Mo­del­le vor­weg, was im Au­to­mo­bil­bau, in der Luft- und Raum­fahrt, auf Öl­bohr­platt­for­men und in For­schungs­sta­tio­nen in der An­tark­tis längst Rea­li­tät ge­wor­den ist.

Ge­nau das, meint Pe­ter Cook, ma­che die Ar­beit von Fu­tu­re Sys­tems und Ar­chig­ram auch heu­te noch so wert­voll. „Wir ha­ben ex­pe­ri­men­tiert, uns aus­ge­tobt frei von al­len Hem­mun­gen. Wir wa­ren zwar ge­fes­selt in un­se­ren Ängs­ten und Emo­tio­nen, aber im Kopf, da wa­ren wir frei. Die­ses One-Way Ti­cket in die Zu­kunft ver­mis­se ich heu­te. Wir ha­ben be­schlos­sen, in der Ge­gen­wart blei­ben zu wol­len. Das ist trau­rig.“
[ „Zu­kunft von ge­stern. Vi­sio­nä­re Ent­wür­fe von Fu­tu­re Sys­tems und Ar­chig­ram“. DAM, Frank­furt am Main. Bis 18. Sep­tem­ber. Ka­ta­log: Pres­tel- Ver­lag, 160 Sei­ten / € 39,95 ]

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