Veranstaltung

Care + Repair
Veranstaltung
21. Juni 2017 bis 31. Juli 2017
Nordbahn-Halle beim Wasserturm
Leystraße, Ecke Taborstraße, Nordbahnhof
A-1020 Wien


Veranstalter:in: Architekturzentrum Wien
Eröffnung: Dienstag, 20. Juni 2017, 20:00 Uhr

Reden, retten, reparieren

Auf dem ehemaligen Nordbahnhofareal in Wien sollen Stadtplanung und Stadtentwicklung neu gedacht werden. Die Ausstellung „Care + Repair“ macht konkrete Vorschläge, wie das gehen könnte.

29. Juli 2017 - Wojciech Czaja
Die Wechselkröte ist ein nicht sonderlich hübscher Lurch in militanter Tarnoptik. Doch Bufo viridis hat ein Ass im Schenkel. Das zehn Zentimeter große Tier, eine von rund 700 geschützten, in Wien beheimateten Arten, ist ein regelrechter Baustopper. Schon einmal sorgte es auf den ehemaligen Nordbahnhofgründen, nachdem es sich auf dem sandigen und erdigen Areal bequem gemacht hatte, für eine monatelange Bauverzögerung. Das freute zwar die Naturschützer, mitnichten aber die Baggerfahrer und Bauträgerkonsortien, die hier bis 2025 rund 4500 Wohnungen errichtet wollen.

Wenn das Architekturzentrum Wien (AzW) nun seinen Heimatstandort im Muqua verlässt und in die Leopoldstadt ausrückt, um in der Nordbahnhalle die interaktive Ausstellung Care+Repair zu präsentieren, dann kann das durchaus auch als Rettungsaktion für Quaxi und Konsorten verstanden werden. Sechs Wochen dauert die Aktion, an der sich lokale und internationale Künstler und Architekten beteiligen und in die auch so mancher Bewohner des benachbarten Robert-Uhlir-Hofs miteinbezogen wurde.

„Die produktive Stadt braucht auch etwas Reproduktives“, sagt Angelika Fitz, Direktorin des AzW. Gemeinsam mit der Wiener Kunsttheoretikerin Elke Krasny kuratierte sie die stetig wachsende Ausstellung, die sie selbst als „Arbeitslabor“ bezeichnet und die nun im Rahmen der Vienna Biennale 2017 und des dreijährigen Forschungsprojekts „Mischung: Nordbahnhof“ zu sehen ist. „In den Politik- und Sozialwissenschaften beschäftigt man sich schon seit langer Zeit mit der Pflege, Reinigung und Reparatur des Bestandes. Im Urbanismus jedoch ist diese Idee noch ziemlich neu.“

Oder, wie Co-Kuratorin Krasny meint: „Üblicherweise baut man die Stadt der Zukunft, indem man zunächst all das zerstört, was schon da ist. Wie schon in der Moderne machen wir Tabula rasa, ohne soziale, kulturelle, materielle, ökologische oder wie auch immer geartete Ressourcen zu berücksichtigen.“

Care+Repair, so der Anspruch, macht sich auf die Suche nach jenem unbezahlbaren Schatz namens Geschichte und Identität, der in der Regel von Baggern und Bulldozern zu Tode planiert wird, sobald der Natur wieder einmal ein Stückchen Land abgerungen wird. Architekten, Stadtplaner, Künstler, Kulturtheoretiker, Biologen, Ornithologen, Schriftsteller und Forscher zogen gemeinsam durch die Büsche, spazierten über Gleise und stillgelegte Kohlerutschen und ließen sich in Tunnels, Unterführungen und aufgelassenen Bahnwärterhäuschen nieder, um das Areal des ehemaligen Nordbahnhofs zu erforschen und sich mit seinen dokumentierten und auch undokumentierten Potenzialen vertraut zu machen.

Zissis Kotionis und Phoebe Giannisi aus Volos (Griechenland) studierten die Sprache der Vögel und führten einen ornithologischen Dialog zwischen Federvieh und Aristophanes auf. Cristian Stefanescu reaktivierte eine der Gleisunterführungen und veranstaltete in der sogenannten Zukunfts-Kwizin einen Galabrunch für Anrainer, Migranten und Kulturschaffende. Meike Schalk aus Stockholm konzentrierte sich auf das Thema Gemeinschaftsräume und fragte sich gemeinsam mit den Bewohnern des Robert-Uhlir-Hofs, warum diese so selten angenommen werden. Und Rosario Talevi von der Urban School Ruhr (USR) suchte vor Ort nach bereits bestehenden baulichen Manifestationen von Stadtraum, Infrastruktur und Bühne.

Das vielleicht interessanteste, weil auch zum jetzigen Zeitpunkt greifbarste Projekt stammt vom Brüsseler Büro Rotor. Das interdisziplinäre Kollektiv zog mit Kalkfarbe eine weiße Linie durch die Landschaft und definierte so die künftige Grenze zwischen urbanem Wohnbiotop und unberührter Natur. Und es ist kein Zufall, dass das solcherart markierte Areal mit der sogenannten „Freien Mitte“ zusammenfällt, wie sie im aktuellen städtebaulichen Masterplan von Studio Vlay vorgesehen ist. Innerhalb dieser zwölf Hektar großen „Freien Mitte“, so der Plan, soll die Gstätten Gstätten bleiben dürfen. „Non-Design-Park“ nennt sich das im Fachjargon.

Zudem begab sich Rotor auf Recherche- und Forschungsexpedition durch den österreichischen Osten – zu Altholzhändlern, Pflastersteinfriedhöfen und nostalgisch veranlagten Baustoffsammlern, in deren Lagerhallen Schätze aus Abbruchhäusern der letzten hundert Jahre schlummern. Das Resultat dieser Suche ist eine mehrere tausend Quadratmeter große Sammlung an Parkettholz, Granitplatten und handkolorierten Zementfliesen von anno dazumal, die zu neuem Leben erweckt werden sollen.

„Unser Projektansatz beschäftigt sich sehr stark mit der urbanen Entropie“, sagt Renaud Haerlingen, Mastermind bei Rotor, „mit der Ungleichheit zwischen Alt und Neu, zwischen Groß und Klein, zwischen System und Singularität. Daher haben wir uns bewusst damit beschäftigt, wie wir wieder das Alte, das Kleinteilige, das Unverwechselbare ins Bauen zurückbringen können. Alte, bereits verwendete Baustoffe haben bereits Geschichte und Identität. Im reinen Neubau ist so eine Qualität kaum zu erzielen.“

Die Sammlung ist ein erster Schritt. Damit weiterzuarbeiten, meint Haerlingen, wäre ein absolutes Umdenken in der gesamten Architektur- und Baubranche. Eine Möglichkeit wäre, die Bauträgerwettbewerbe im Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof zu nutzen und die Reusing- und Recyclingansätze in der Ausschreibung zu verankern. Eine andere, weitaus realistischere Variante wird sein, Architekten und Bauträger an einen Tisch zu setzen und mit ihnen eine neue Baustoffkultur auszuhandeln.

„Das sind wunderschöne Ansätze, die unserer Planung sehr entgegenkommen“, meint Lina Streeruwitz auf Anfrage des Standard. Gemeinsam mit dem Stadtplaner Bernd Vlay erstellte sie 2012 den ungewöhnlichen Nordbahnhofmasterplan mit dem Nichts in der Mitte. „Dass wir dafür plädieren, zwölf Hektar Land so zu belassen, wie sie sind und mit alten Baustoffen zu arbeiten, hat nicht nur romantische Gründe. Das ist auch billiger und ressourcenschonender.“ Damit werde viel Budget frei, das man andernorts besser und sinnvoller nutzen könne.

„Es ist so naheliegend, und trotzdem bedarf es irrsinnig viel Anstrengung von allen Seiten, um alte, festgefahrene Gewohnheiten der Stadtentwicklung zu überdenken“, sagt Streeruwitz. „So viel Energie, nur, um das zu retten, was schon da ist. Ist das nicht eigenartig?“ So gesehen ist Care+Repair nicht zuletzt auch ein Reparaturappell an die Baubranche und Verwaltung.

Die Ausstellung „Care + Repair“ schließt morgen, Sonntag. Die Kuratorinnen laden um 19 Uhr zum Abschlussgespräch „Wie weiter?“. Nordbahnhalle beim Wasserturm, Leystraße Ecke Taborstraße.

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Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

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