Veranstaltung

Reserve der Form
Ausstellung
27. August 2004 bis 10. Oktober 2004
Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien

Veranstalter:in: Künstlerhaus Wien
Eröffnung: Donnerstag, 26. August 2004, 19:00 Uhr

Eine Tabakscheune als Hotel

„Reserve der Form“ ist eine weitere programmatische Ausstellung im Künstlerhaus, die sich mit bildender Kunst an der Schnittstelle zu Alltagskultur, Design und Architektur beschäftigt. Ein Gespräch mit den Kuratoren Angelika Fitz und Klaus Stattmann.

25. August 2004 - Christa Benzer
Wien - Unterscheidungen schaffen Bedeutungen. Was aber passiert, wenn Dinge nicht mehr das sind, was sie vorgeben zu sein? Wenn es in ihrer Erscheinung eine verborgene Reserve gibt, die sich erst nach genauerer Auseinandersetzung mit ihr eröffnet? Mit diesen Fragen, denen ein jahrelanges Forschungsprojekt vorausgeht, beschäftigen sich die Kulturwissenschaftlerin Angelika Fitz und der Architekt Klaus Stattmann in der Schau Reserve der Form im Künstlerhaus.

Ausgehend von systemtheoretischen Ansätzen, in denen beobachtet wurde, dass Systeme erst dann intelligent werden, wenn man sie stört, haben sie Projekte recherchiert, die die Erwartungshaltungen der Betrachter nachhaltig irritieren und so neue Sinnzusammenhänge kreieren. Das Formale, das ihrer Ansicht nach erst in der komplexen und oft widersprüchlichen Kombination von Konventionen entsteht, soll dazu beitragen, dass festgefahrene Anschauungen in Bewegung versetzt werden.

Zu sehen sind über 80 internationale Positionen von Jean Nouvel über Valie Export bis WochenKlausur, die in ihren Ansätzen die symbolische Ebene überschreiten und über das individuelle ästhetische Erleben hinaus politische Effekte zeitigen: „Jedes einzelne Statement in der Architektur bewirkt mehr oder weniger automatisch zahlreiche Parallelaktionen in ästhetischen, ökonomischen und rechtlichen Zusammenhängen“, konstatiert Angelika Fitz.

Dass die „Tendenz zur Überschreitung“ in der Ausstellung fortgesetzt wird, zeigt sich bereits in der Einteilung der Projekte, die weder nach gattungsspezifischen noch stilistischen oder funktionalen Kriterien geordnet sind. Vielmehr sollen die unterschiedlichen Reserven ausgelotet werden, die in diesem Feld zur Verfügung stehen: „Reserven des Baugrunds“, „Reserven kultureller Typologien“, „Dachreserven“ et cetera. Künstlerische Positionen, die Vorschriften parodieren und Lücken in der Bauordnung gefunden haben, stehen paradigmatisch für ihren Ansatz.

Beispielhaft verweisen sie auf die Weinbar Limarutti des österreichischen Architekten Norbert Müller: „Indem er den Bar-Tresen mit einer Kurbelmechanik ausgestattet hat, kann die Theke in den öffentlichen Raum hinaus verlängert werden, ohne dafür eine baurechtliche Genehmigung zu benötigen.“

Für Angelika Fitz ist auch der Titel der Ausstellung ein wichtiges politisches Statement: „Im architektonischen Feld steht die Wirtschaftlichkeit immer im Vordergrund, für andere Qualitäten - städtebauliche, soziale, räumliche - werden kaum mehr Ressourcen freigemacht oder eingefordert.“ In Zeiten, in denen alle von Mangel und Sparsamkeit reden, ist es ihrer Ansicht nach aber wichtig, auch auf die Reserven zu verweisen.

Die künstlerischen Positionen von Valie Export oder WochenKlausur sollen assoziative Handlungsfelder eröffnen: „Wenn man als Architekt städtebaulich etwas bewegen will, braucht man viel länger als im System Kunst“, so der Architekt Klaus Stattmann.

Die Arbeit von Franziska Maderthaner - ein klassisches Vexierbild - steht in einer Reihe von Wahrnehmungstäuschungen, die die Ausstellung versammelt: „Man schaut hin, man sieht etwas, schaut nochmal hin und sieht plötzlich etwas anderes.“ Ähnlich funktioniert das Landhaus von Jean Nouvel: „Von der Ferne sieht man eine Tabakscheune, man kommt näher und ist mit etwas vollkommen anderem konfrontiert: einem Hotel.“

Produktive Irritationen

Trotz des utopischen Gehalts der meisten Entwürfe war deren Realisierbarkeit ein entscheidendes Kriterium: „Zu sehen sind Projekte, die in ihrem Planungsstadium relativ weit gediehen sind, wo es wirklich schon darum geht, sich mit Bauordnungen, Bauherren oder dem Bürgermeister auseinander zu setzten.“ In Bezug auf das produktive Potenzial dieser Irritationen verweist Klaus Sattmann auf die Tatsache, dass man Handlungen nicht notwendigerweise konfliktfrei evozieren muss: „Die Betrachter können durchaus auch herausgefordert werden.“

Was sie innerhalb der Szene und dem lokalen Diskurs erreichen wollen: „Es ist an der Zeit wieder über das immense Potenzial der Komplexität von Architektur nachzudenken, das jenseits von Ästhetik oder individuellen Vorlieben und damit verbundenen Scheingefechten angesiedelt ist.“

Zum Kommentar von Kunsthallendirektor Gerald Matt, der jüngst das Künstlerhaus vehement in Frage gestellt hat, meinen die Kuratoren unisono: „Wir haben das Künstlerhaus sehr bewusst ausgewählt, weil hier in den letzten Jahren wichtige Ausstellungen gemacht wurden - und weil das Künstlerhaus ein einzigartiger Ort für interdisziplinäre Projekte in Wien ist, die zwischen Kunst, Architektur, Design und Alltagskultur angesiedelt sind.“

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