Veranstaltung

Reserve der Form
Ausstellung
27. August 2004 bis 10. Oktober 2004
Künstlerhaus, Karlsplatz 5, 1010 Wien

Künstlerhaus Wien
Eröffnung: Donnerstag, 26. August 2004, 19:00 Uhr

Formen ohne Reserven

Eine Ausstellung im Künstlerhaus geht auf intelligente Weise der uralten theoretischen Frage nach, wie die Form in die Architektur kommt.

8. September 2004 - Jan Tabor
Die Herkunft des ersten dekonstruktivistischen Hauses ist geklärt. Als Buster Keaton und die Schauspielerin Sybil Sealey 1920 heirateten, bekamen sie von einem Onkel als Hochzeitsgeschenk ein Fertigteilhaus zum Selberbauen. Keatons berühmte Tolpatschigkeit, die Hinterhältigkeit eines rachsüchtigen Nebenbuhlers, der die Kisten mit den eingepackten Hausteilen falsch nummeriert hat, sowie Katastrophen wie ein Hurrikan haben das banale amerikanische Vorstadthaus zu einem dekonstruktivistischen Meisterwerk geformt.

Zwanzig Minuten dauert der Film „One Week“, in dem Keaton den Dekonstruktivismus, diese für die Verfahrenheit des 20. Jahrhunderts so illustre Architekturauffassung, erfindet. Dabei erfährt man alles Wesentliche über die verquickte Kunst des Bauens. Der köstliche Stummfilm, der auf die beiden Seiten einer Leinwand über der Prachtstiege des Künstlerhauses projiziert wird, ist nicht nur der Anfang und das Ende der Ausstellung „Reserve der Form“, er ist zugleich die perfekte Zusammenfassung der Problematik, die man als die Suche nach der Antwort auf eine uralte theoretische Frage umschreiben kann: Wie kommt die Form in die Architektur

Schwierige Suche. Man braucht Stunden, um alles zu begreifen. Bereits die Einladung zur Eröffnung stöhnt unter der Gewichtigkeit der vielen berühmten Namen, rund achtzig insgesamt. Buster Keaton wird nicht genannt. Sonst allesamt Extremformer, die mit ihren Werken, Ideen, Einfällen und Entwürfen die ausgefallenen Gedanken der beiden Kuratoren über das Werden und das Verschwinden von Formen illustrieren - meist in Form von schwarzblau gedruckten, collagierten Abbildungen, die auch die gewichtigsten Namen in Rauch verwandeln.

Sehr bekannte, weniger bekannte und - nur vereinzelt - wirklich unbekannte Bauwerke werden von der Architekturtheoretikerin Angelika Fitz und dem Architekten Klaus Stattmann, selbst ein Extremformer, so miteinander verknüpft, nebeneinander gestellt und (wohl überlegt) durcheinander gebracht, dass auch die bekanntesten darunter als unbekannt erscheinen. Fitz und Stattmann schauen sich die Formen, die sie interessieren, mit jenem verträumten, allseits gerechten anthropologischen Blick an, mit dem Bernhard Rudovsky in den Fünfzigerjahren unter dem Begriff „Architektur ohne Architekten“ die Analysen und Wertschätzungen von anonymen Gestaltungen revolutionierte. Ein Blick, der Wunder sieht, wohin er fällt.

Rasch besehen, erscheint die Ausstellung harmlos, ratlos, haltlos durcheinander. Sie sieht wie eine Kunstausstellung von Kunstvermittlern aus. Dann fallen die poetischen Titel der einzelnen Kapitel auf. „Operative Schatten“. „Dachreserven“. „Positionswechsel“. „Zwischen Räumen“. Dann fängt man an zu lesen, zu schauen und die Rätsel der Formen aufzulösen. Viele Rätsel. Unmengen von Verknüpfungen. Extreme Formen. Formen mit viel feinem Humor. Wie die Ausstellung selbst. Dann erinnert man sich an Rudovsky. Déjà vu. Genial. So ordentlich hat schon lange niemand die Formfrage gestellt und spaßig geantwortet. Aus nichts wird nichts und aus etwas wird etwas, aber stets etwas anderes. In der Differenz ist die Reserve.

Die Ausstellung ist nicht nur spannend, humorvoll und intelligent. Sie ist auch gelassen, sie hat einen angenehmen räumlichen Rhythmus, und sie ist, was sie besonders symphatisch macht, autobiografisch. Deshalb wirkt sie so authentisch. Stattmann hat bei Prix studiert, daher seine Vorliebe für Formen und Fragen am Rande des Möglichen. Formen aus dem Ende und dem Anfang der Architekturgeschichte. Formen ohne Reserven.

[ Bis 14.10. im Künstlerhaus (1., Karlsplatz 5) ]

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