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hochparterre 06-07|2007
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 06-07|2007
zur Zeitschrift: hochparterre

Sesselfahrt für Chinesen

Müssen es immer Klischees sein? Für Weltausstellungen ja. Aber der Schweizer Pavillon für die Expo 2010 in Shanghai kann mehr: Seine kreisende Sesselbahn ist ein Sinnbild dafür, wie ökologisch und nachhaltig die Schweiz handeln will. Das Team von Buchner Bründler Architekten hat damit den offenen Wettbewerb von Präsenz Schweiz gewonnen.

21. Juni 2007 - Mirko Beetschen
Wir reden von der verstädterten Schweiz – aber für die Weltausstellungen greifen wir ins ‹Trückli› mit den Landesklischees. In Aichi, Japan (2005), war es ein Berg, in Shanghai 2010 wird es eine Sesselbahn sein. Doch hier wie da dient das Klischee nur als Transportmittel für die Botschaft der modernen Schweiz; so sollen die Chinesen auf den Sesseln die Beine baumeln lassend und per Kopfhörer allerhand Neues über uns erfahren. Dies gehört zum Konzept, mit dem das Team um Buchner Bründler Architekten, Basel, den zweistufigen Wettbewerb für den Schweizer Pavillon in Shanghai gewonnen hat. 104 Teams waren ins Rennen gestiegen, 12 davon konnten in der zweiten Runde ihre Entwürfe ausfeilen.
Die elfköpfige Jury leitete Uli Sigg, Chinakenner und ehemaliger Schweizer Botschafter in Peking, den Wettbewerb führte Präsenz Schweiz durch. Denn die Schweizer Teilnahme in Shanghai bildet eine von drei Aktivitäten, mit denen sich unser Land in der Volksrepublik China hervortun möchte. Eine weitere Plattform werden die Olympischen Sommerspiele Beijing 2008 sein. Ausserdem führt Präsenz Schweiz von 2007 bis 2011 ein vielseitiges, interdisziplinäres Rahmenprogramm zwischen den beiden Ländern mit privaten und öffentlichen Partnern durch.

An der Weltausstellung in Shanghai rechnet man mit der gigantischen Zahl von 70 Millionen Besuchern. Der aufstrebende, über 1,3 Milliarden Einwohner schwere Markt ist ohnehin ein lohnendes Ziel für Investoren und Tourismuswerber. Nicht verwunderlich also, dass die Jury die unser Land gern als fortschrittliches Land vorzeigen will – jedoch nicht auf Kosten der positiven Schweizer Klischees. Denn diese sind in China gemäss einer Studie gut verankert. So finden sich unter den zwölf Finalisten vor allem Projekte, die diesen Spagat meistern. Ein ausgehöhltes Matterhorn etwa als gigantische ‹Erschliessungsmaschine›, wie einer seiner Erfinder, der Architekt Christoph Kellenberger vom Zürcher Büro oos, den Entwurf zusammenfasst. In diesem ‹urbanen Berg› vereinigen sich trefflich Tradition und Erneuerung. Ähnlich expressive Projekte kommen daher als riesiger Gletscher, als abstrakte Felslandschaft oder sogar als abstrahiertes Dorf, das der Skyline der chinesischen Metropole ein helvetisches Pendant en miniature entgegensetzt.

Essbare Hülle

Auf dem Pavillon mit der Silbermedaille wächst ein ganzer Wald. Chinesen hätten hier in ein urchiges Stück Schweiz eintauchen können. Dies dürfen sie auch beim Siegerprojekt. Buchner Bründler Architekten laden die Besucher auf eine entspannende zehnminütige Fahrt auf dem Sessellift ein. Dieser führt über eine Wiese mit blühendem Löwenzahn und Schafgarbe auf dem Dach des Pavillons. «Eine Erholungsfahrt und ein bisschen Exotik für die Bewohner der Megametropole Shanghai», meint Andreas Bründler.

Ein Werk der Basler Architekten repräsentiert die Schweiz ja schon heute: Gemeinsam mit den Bieler Architekten MLZD und der Zürcher Künstlergruppe Relax renovierten sie einen zentralen Raumkomplex im New Yorker UNO-Hauptsitz (hpw 2/03) – ein Beitrittsgeschenk der Schweiz an die Vereinten Nationen im Jahr 2004. Für ihren jüngsten Coup werden die Basler allerdings nicht nur Liebe ernten. Ihr Pavillon sprengt punkto Form, Material und Ausstellungsgestaltung die Grenzen des Herkömmlichen. Diskussionen sind darum programmiert. Doch wie Johannes Matyassy, Geschäftsleiter Präsenz Schweiz, betont, soll das Wettbewerbsprojekt bis 2010 verfeinert werden. Es waren die «Originalität, Überraschung, Einfachheit und die vermittelbaren Emotionen», welche die Jury zu ihrer Wahl bewegten. Zudem gefiel die Verschränkung technischer und organischer Elemente, von Stadt und Natur. Der organisch geformte Pavillon stellt, von oben betrachtet, eine Landkarte dar, die entfernt an die Schweiz erinnert. Den Bau umgibt ein licht- und luftdurchlässiger Vorhang aus natürlichen und technologischen Materialien.

Die Hülle aus Bioresin – ein aus Soja gewonnenes Harz – ist ungiftig und kompostierbar. Die ‹essbare› Haut enthält zudem neuartige Solarzellen, die dank Farbstoffmolekülen aus Beerensaft selbst diffuses Licht in elektrische Energie umwandeln. Kurz: Die Nachhaltigkeit war den Architekten wichtigstes Thema. Den Lebenszyklus versinnbildlichen nicht nur recycelbare Materialien, sondern auch der Sessellift, indem er in einer Endlosschlaufe durch den Pavillon und über die Blumenwiese kreist – und dabei erst noch ein kühlendes Lüftchen bewirkt. Auch die Blumenwiese ist symbolbeladen: Die Wiese als typisches Stück Schweiz, das den Übergang von Stadt und Land darstellt und dabei, der Milchwirtschaft sei Dank, den Muntermacher der Natur liefert. Ein sicherlich lohnender Ansatz, da man im asiatischen Raum gerade im Begriff ist, die Milch zu entdecken – und Nestlé ein Hauptsponsor des Schweizer Auftritts in China ist. Das Kino im Innern klimatisiert ein Wasserfall, gefasst von einer durchsichtigen Membran; die Betonsitze – zweiter Hauptsponsor ist der Baustoffkonzern Holcim – werden vom Flusswasser gekühlt.

Ein Wurf?

«Better City, Better Life» heisst das Motto der Weltausstellung 2010. Dem wollen die Schweizer Architekten mit ihrem Hybrid aus Technik und Natur gerecht werden und einen Blick in die Zukunft wagen, wenn Lebensqualität aus dem Zusammenspiel von Natur und dem vom Menschen Gemachten entsteht. Der Entscheid für ein technisch vielschichtiges und intellektuell anspruchsvolles Projekt, das auf Nachhaltigkeit setzt, ist dem Beurteilungsgremium hoch anzurechnen. Denn auch gelungene Konzepte in gefälliger helvetisch-minimalistischer Manier waren vertreten. Jetzt bleibt zu hoffen, dass beim Ausarbeiten des Projekts nicht zu viele dreinreden. Die Ansätze für einen Wurf sind da, und wenn alles klappt, beweist die Schweiz in Shanghai, dass nicht nur Uhren, Schokolade und Pharmazeutika Schweizer Exportschlager sind, sondern seit geraumer Zeit auch die Architektur.

hochparterre.wettbewerbe 3/07 zeigt ausführlich die prämierten Wettbewerbsprojekte für die Expos in Zaragoza 2008 und Shanghai 2010.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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