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ARCH+ 184
Architektur im Klimawandel
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Bauschaffen - auch im Sinn der Nachhaltigkeit

22. November 2007 - Werner Sobek
1798 veröffentlichte Malthus in „Population: The First Essay“ die Vermutung eines exponentiellen Bevölkerungswachstums mit verheerenden Folgen für die Menschheit, 174 Jahre später legte der Club of Rome seinen ersten allseits bekannten Bericht, die „Grenzen des Wachstums“ vor. Heute, 2007, im Zeitalter des Global Warming und der Bevölkerungsexplosion, nimmt der Anteil der tonnenschweren und bei Unfällen insbesondere mit Kindern hochgefährlichen SUVs in nicht nachvollziehbarem Umfang zu. Bereiten sich die Stadt- und Metropolbewohner also nach jahrzehntelanger Verweigerung jedweder Kenntnisnahme der heraufdämmernden Probleme nun auf sumpfiges Terrain, auf unsicheren Boden vor?

Die Antwort des weltweiten architektonischen Schaffens auf den Bericht des Club of Rome war der Postmodernismus, gefolgt vom Dekonstruktivismus, Superdutch, Blob und anderen Stilrichtungen bzw. Phänomenen wie der „Berliner Architektur“, die sich allesamt dadurch auszeichneten, dass sie einerseits die heraufziehenden ökologischen Probleme schlichtweg ignorierten, andererseits die Frage nach ihrem eigenen „Warum?“ nie intellektuell befriedigend beantworten konnten. Gleichzeitig identifizierte man die Ansätze eines ökologischen, mit der Natur und den Naturkreisläufen im Einklang stehenden Bauens eher mit den vom Hochland der Esoterik lediglich besuchsweise herabgestiegenen Berufskollegen. Alles andere wurde versäumt – bis auf die Erarbeitung und Durchsetzung weltweit führender Energieeinsparstandards. Letztere wiederum, im Wesentlichen von Ingenieuren, Umweltfachleuten und den zuständigen Behörden erarbeitet, haben allerdings die Erscheinungsform der gebauten Umwelt, der Architektur nicht verändert. Lediglich die Isolierschichten wurden höherwertig dimensioniert, die Fenster erhielten einen markant besseren Wärmedämmwert und das Gesamtgebäude wurde dichter – Zwangsbelüftung wurde erforderlich, um die Bewohner vor ihren eigenen Exhalationen zu schützen.

Es bedurfte einer drastischen – durch die weltweiten Medien glücklicherweise entsprechend bedeutend platzierten – Reihe von Warnungen durch Berichte der UNO in den Jahren 2006/2007, um eine breite Bewusstwerdung herbeizuführen. Die aus den USA kommende Erkenntnis, dass sich die entstandenen und die heraufziehenden Umweltprobleme PR-technisch, industriell und finanziell in ungeahntem Maß bewirtschaften lassen, beschleunigte den Bewusstseinswandel in positiver Weise – wenn auch die ebenfalls aus den USA kommende Frage, ob der erforderliche Totalumbau der Systeme und die damit verbundenen Investitionen, welche kurz- und mittelfristig drastische Einsparungen an anderer Stelle erforderlich machen werden, wirtschaftlich überhaupt sinnvoll und gesellschaftlich erstrebenswert seien, manchmal Zweifel an der Tiefe der Wahrnehmung der eigentlichen Probleme aufkommen lassen.
Die aktuell vorliegende Problematik kann in drei Punkten zusammengefasst werden:

1. Die globale Erwärmung mit allen ihren Begleiterscheinungen ist eine Tatsache, die sich durch menschliches Handeln lediglich noch in ihrer Größenordnung beeinflussen lässt.

2. Das weltweite Bevölkerungswachstum ist nicht gebremst, obwohl die Notwendigkeit hierfür lange bekannt ist. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Religiöse Überzeugungen stehen hier neben der schlichten Funktionssicherung sozialer Sicherungssysteme und damit der Stabilisierung ganzer Gesellschaften.

3. Ein großer Teil der Weltbevölkerung verfügt nicht über das in der sogenannten „westlichen“ Welt vorherrschende Wohlstandsniveau. Ein erheblicher Anteil der Menschheit leidet tagtäglich Hunger. Die Verbesserung der Lebensumstände in vielen dieser Länder führt zu zusätzlichem Energie- und Materialverbrauch in ungeahntem Ausmaß. Drastische Preissteigerungen, aber auch erste Verteilungskriege, sind die Folgen.

Anhand der soeben gemachten Feststellungen wird deutlich, dass eine Zunahme des weltweiten Energie- und Materialverbrauchs zumindest in den kommenden Jahren nicht zu verhindern ist. Vor dem Hintergrund der globalen Erwärmung erlangen die Fragen einer die ressourcenschonenden Energieerzeugung, einer effizienten Energieverwendung, die Einführung einer Kreislaufwirtschaft bei gleichzeitiger Minimierung aller zu Herstellung und Transport benötigten Energie einerseits sowie die Minimierung des Aufkommens an Abfallstoffen andererseits und schließlich die Reduktion aller Emissionen eine für die Menschheit existentielle Notwendigkeit. Das Bauschaffen könnte hierzu einen Beitrag von herausragender Bedeutung leisten, was sich durch die Betrachtung einiger weniger Zusammenhänge sofort erschließt:

1. In Deutschland wurde im Jahr 2003 ein Drittel des gesamten Primärenergieverbrauchs für die Beheizung von Gebäuden verwendet.[6]

2. Der Anteil der von den Haushalten in Deutschland verursachten CO2-Emissionen ging zwar zwischen 1990 und 2003 von 129 auf 122 Mio. t und somit um ca. 5 % zurück; da die Gesamtemissionen im gleichen Zeitraum aber von 1.015 auf 865 Mio. t zurückgingen, hat der Anteil der von den privaten Haushalten verursachten CO2-Emissionen am Gesamtausstoß im betrachteten Zeitraum – trotz aller Bemühungen – sogar noch von 13 % auf 14 % zugenommen.[8]

3. Das Abfallaufkommen, hier am Beispiel Baden-Württemberg aufgezeigt, betrug im Jahr 2005 rund 36 Mio. t. Die Baumassenabfälle hatten hieran einen Anteil von 26 Mio. t, entsprechend 72 %. (Vergleichszahlen 1996: 45 Mio. t / 37 Mio. t, entsprechend 82 %).[3]

Während im Bereich der Energieeinsparung bzw. der effizienten Energienutzung in den vergangenen Jahren insbesondere in Zentraleuropa wesentliche Entwicklungen eingeleitet werden konnten, bedürfen die mit einer Reduktion des Emissionsaufkommens im Bauschaffen insgesamt, d.h. einschließlich aller Vor- und Nachbereitungsprozesse, einhergehenden Fragen und Problemstellungen noch einer intensiven Befassung. Unter dem Begriff Emissionsaufkommen sollen dabei hier nicht nur die aus dem direkten Betreiben der Gebäude, im Wesentlichen also die aus Heiz- und Kühlprozessen entstehenden Emissionen, sondern auch und gerade die von den Baustoffen selbst freigesetzten Emissionen, wie z.B. Weichmacher, Feinstäube oder auch Duftstoffe, verstanden werden.

Hinsichtlich der Einführung einer Kreislaufwirtschaft für Baustoffe und Bauteile steht das Bauwesen noch weitestgehend am Anfang. Insbesondere fehlt eine durchgreifende Methodik bzw. Entwurfs- und Konstruktionslehre für recyclinggerechtes Konstruieren. Unter dem Hinweis, man baue nicht für kurze Zeiträume, sondern ein Bauwerk entstehe immer mit der Projektion einer über mehrere Dekaden währenden Standzeit, hat man sich bisher allzu gern darüber hinweggetäuscht, dass auch diese Dekaden zu Ende gehen. Was dann vom einstmals Gebauten übrig bleibt, sind zumeist Mehrkomponentenbauteile, deren Einzelwerkstoffe mit vertretbarem Aufwand kaum noch zu trennen sind. Wer die Außenwand eines ganz gewöhnlichen Wohngebäudes analysiert, stellt schnell fest, dass hier 10 bis 20 unterschiedliche Materialien, vom Mauerwerk mit seinen eingelegten Elektro-, Wasser- oder Gasleitungen nebst deren Zubehör über den Innenputz, die Tapete und ggf. deren Anstrich über die Außendämmung, Putzträger und Außenputz einschließlich dessen Anstrich, nahezu untrennbar miteinander verbunden sind. Die Untrennbarkeit war dabei immer Programm: Je besser die Baustoffe während der Nutzungsdauer des Gebäudes zusammenhielten, desto besser war üblicherweise deren Funktionserfüllung. Nach dem Abriss kehrt sich dieser Vorteil natürlich in sein Gegenteil um – es bleibt nichts anderes als die Deponierung des nicht mehr in seine Ausgangsbauteile Zerlegbaren. Interessanterweise bereiten gerade die mit Dämm- und Ausbaufunktionen versehenen Bauteile mengenmäßig große Probleme – sortenrein vorliegende Stahlbetonbauteile lassen sich heute nahezu perfekt wieder in die Bewehrung und ein als Betonzuschlag wiederverwendbares Granulat zerlegen. Ähnlich unkritisch sind die typischerweise sortenrein vorliegenden Bauteile aus Stahl, Aluminium, Holz oder Glas zu sehen.

Die mit der Ankündigung einer Rücknahmeverpflichtung im Automobilbau eingetretenen Forschungen und Entwicklungen zum recyclinggerechten Konstruieren, zum methodisch wohlstrukturierten Zusammen-, aber eben auch wieder Auseinanderbauen können sicherlich Anregung und Beispiel für vergleichbare, im Bauwesen dringend benötigte Entwicklungen sein. Würde man die Grundlagen für eine vollkommene Rezyklierbarkeit der gebauten Umwelt schaffen, dann wäre das Erreichen der von allen Bauschaffenden in einer ersten Setzung zu formulierenden Ziele in greifbare Nähe gerückt. Diese Ziele werden von uns folgendermaßen formuliert:

1. Gebäude zu bauen, die für ihrem Betrieb in der Jahressumme keine Energie benötigen („Null Energieverbrauch / Zero Energy“)

2. Gebäude zu bauen, die keine schädlichen Emissionen abgeben („Null Emissionen / Zero Emission“)

3. Gebäude zu bauen, die vollkommen rezyklierbar sind („Null Rückstände / Zero Waste“)

Die Forderung nach einer dreifachen Null: „Zero Energy / Zero Emission / Zero Waste“ stehen auch für das sog. „Triple Zero Konzept“, das zurzeit von der Stadt und der Metropolregion Stuttgart in Form einer Reihe von beispielhaften Projekten aus den Bereichen Altbau, Neubau und Umbau aufgelegt wird. (Vgl. dazu auch die Forderung: “Null Abfall, null Emissionen, null ökologischer Fußabdruck”7)
Natürlich entstehen derzeit viele derartige Initiativen. Diese sind teilweise nicht miteinander koordiniert, teilweise konkurrieren sie gegeneinander. Der Sache als solcher wird dies jedoch mitnichten schaden, benötigt das Bauschaffen doch dringend eine Vielzahl von Impulsen und Erkenntnissen, mit Hilfe derer sich Konzepte für ein wirklich nachhaltiges Bauen entwickeln lassen. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Initiativen der Bundesregierung (beispielsweise durch die Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ und die Entwicklung eines „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“) oder die Initiativen einzelner Bundesländer genauso positiv bewertet werden wie die durch Initiative von Vertretern aus Wissenschaft, Planung, Baustoff- und Komponentenhersteller, Bauindustrie, Energiewirtschaft, Ban- ken und vielen anderen am Bauschaffen im engeren und weiteren Sinn Beteiligten, im Juni 2007 gegründete „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ (German Sustainable Building Council GeSBC). Diese gemeinnützige Gesellschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die gesetzlichen Vorgaben, die politischen Perspektiven und die wissenschafts- bzw. berufsethisch zu fordernden Ziele eines Nachhaltigen Bauens in ein entsprechendes Zertifizierungssystem im vorgenannten Sinn und Umfang umzusetzen.

Man konstatiert in Bezug auf die Durchsetzung des Nachhaltigkeitsaspekts in der gebauten Umwelt einen weltweiten Umdenkungsprozess. Politik, Wissenschaft und Industrie bereiten die Einführung des Nachhaltigkeitsaspekts in der gebauten Umwelt vor. Seine Umsetzung wird im Wesentlichen in den Händen von Architekten und Ingenieuren liegen, also den Händen derjenigen, die gestern wie heute noch über keine durchgreifenden Konzepte für Konzeption, Konstruktion und Gestaltung dieser „nachhaltigen“ Architektur (im weitestgehenden Sinn verstanden!) verfügen. Vor der Fülle der Probleme und Fragen sollte man jedoch keineswegs zurückschrecken, gehört es doch „zur Signatur der Humanitas, dass Menschen vor Probleme gestellt werden, die für Menschen zu schwer sind, ohne dass sie sich vornehmen könnten, sie ihrer Schwere wegen unangefasst zu lassen“[4]

Waren viele Ökohäuser und Ökoautos bisher auch deswegen ein kommerzieller Flop, weil sie allesamt von einer depressiven Entsagungsästhetik geprägt waren, so wird wohl die wichtigste Aufgabe, welche Produktdesigner, Architekten und Ingenieure in der nahen Zukunft zu lösen haben, die Folgende sein: Ökologie atemberaubend attraktiv und aufregend zu machen ….[5]
Literaturangaben

[1] W. Sobek, Nachhaltigkeit und das Bauen in der Zukunft. Deutsche Architekturzeitung DAZ, Juli 2002
[2] W. Sobek, Zum Entwerfen im Leichtbau. In: Bauingenieur 70 (1995)
[3] Homepage Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: www.statistik.baden-wuerttemberg.de
[4] Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus, Suhrkamp, Frankfurt 1999
[5] Niklas Maak, Der grüne Star. Hollywood fährt jetzt im Energiesparauto vor – fährt der Rest der Welt endlich hinterher? in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18.02.2007, S. 23
[6] Homepage der Fraunhofer-Gesellschaft: www.fraunhofer.de
[7] Michael Braungart, William McDonough, Einfach intelligent produzieren, bvt Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2005
[8] DIW Wochenbericht 9/2005. Siehe auch: Homepage des Umweltbundesamtes: www.bmu.de

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