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TEC21 2008|07
Schiffbau
TEC21 2008|07
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zeitzeugen

Die maschinengetriebene Schifffahrt in der Schweiz begann Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung lässt sich an vielen Zeitzeugen ablesen. Der Autor erzählt ihre Geschichte von 1823 bis heute.

11. Februar 2008 - Jürg Meister
Als Geburtsstunde der Dampfschifffahrt gilt – abgesehen von experimentellen Vorläufern und in Vereinfachung von gewissen historischen Detailversionen – das Jahr 1807. Damals wurde der noch krude, aber fahrtüchtige Raddampfer «Clermont» von Robert Fulton auf dem Hudson erfolgreich in Betrieb genommen. Dieses neue Verkehrsmittel hat sich in der Folge in den Vereinigten Staaten, vor dem Bau der Eisenbahnen, schnell weiterentwickelt. In Europa hat insbesondere das industriell weit fortgeschrittene Grossbritannien die neue Technologie übernommen und weiter perfektioniert. Bis zum ersten Dampfschiff in der Schweiz sollte es aber noch bis ins Jahr 1823 dauern.

Die Pioniere auf dem Genfer-, Neuenburger- und dem Bodensee

Der amerikanische Konsul in Frankreich, Robert Church, wunderte sich anlässlich eines Besuchs in Genf, dass auf dem Genfersee noch nichts von der Fulton’schen Errungenschaft zu sehen war. Er liess deshalb auf eigene Kosten bei der Firma Mauriac Père et Fils in Bordeaux ein hölzernes Schiff von rund 23 m Länge erbauen und bestellte in Liverpool eine passende Maschine. Das Schiff, der legendär gewordene Dampfer «Guillaume Tell» (der Name war wohl das Schweizerischste am ganzen Schiff), wurde am 18. Juni 1823 erfolgreich in Betrieb gesetzt (Bild 1). Der Durchbruch war geschafft. Diesem Pionierdampfer folgten in kurzen Abständen weitere, zunächst immer noch hölzerne Schiffe, die von Mal zu Mal etwas grösser, stärker und schneller waren. Die klassische Rivalität zwischen Genf und der Waadt trug das Ihre zur raschen Entwicklung der Dampfschifffahrt auf dem Genfersee bei, folgte doch einem Schiff des einen Heimathafens meistens unmittelbar ein anderes aus dem benachbarten Kanton. Nur wenig später hielt ein erstes hölzernes Dampfschiff mit dem Namen «Union» auf dem Neuenburgersee Einzug, und etwa gleichzeitig eroberte das neue Verkehrsmittel den Bodensee – dies allerdings hauptsächlich von der deutschen Seite her.

Eine erste einheimische Schiffbaufirma

Diese Pionierschiffe waren durchaus brauchbar und auf dem Genfer- und dem Bodensee mit Güter- und Personentransporten auch kommerziell erfolgreich, hatten aber infolge ihrer Holzbauweise immanente Nachteile, insbesondere eine kurze Lebensdauer. Sie wurden auf den beiden Grenzseen vorerst durch ebenso kurzlebige Nachfolger ersetzt. Eisernen Schiffen traute man zuerst nicht, und so dauerte es bis 1834, bis auf dem Neuenburgersee auf Initiative von Philippe Suchard das erste, von Cavé in Paris erbaute eiserne Schiff mit einer Maschine von der gleichen Firma in See stach. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Das erste, jetzt selbstverständlich eiserne Schiff auf dem Zürichsee wurde 1834/35 noch aus England geliefert (vgl. Kasten). Die feierliche Eröffnungsfahrt der «Minerva» fand am 19. Juli statt. Das zweite Zürichsee-Schiff wurde als Ganzes inkl. Kessel und Maschine von der Maschinenfabrik Caspar Escher (später Escher Wyss & Cie) in Zürich erbaut und im Spätsommer 1837 fertiggestellt. Unmittelbar danach gelangte das zweite Schiff von Caspar Escher als erstes Dampfschiff auf den Vierwaldstättersee, die erste «Stadt Luzern». In der Zwischenzeit wurde im Spätsommer 1836 die Schifffahrt auf dem Thunersee mit einem eisernen Schiff namens «Bellevue», noch von Cavé in Paris geliefert, eröffnet. Diesen nun entstehenden «Schiffbau-Boom» ordnet das Verkehrshaus der Schweiz der «mechanisierten Eroberung der Alpen» zu. Bis 1847 konkurrenzierte noch keine Bahnlinie die Schifffahrt auf den Schweizer Seen. Die entstehenden Schienenstränge wurden auch im nachfolgenden Jahrzehnt noch nicht an den Seen entlang geführt, sondern führten nur zu ihnen hin und wurden damit zu Zubringern zur Schifffahrt (typischerweise in Luzern, Thun, Yverdon). Damals gab es nur sogenannte Glattdeckschiffe (Bild 2), Eindecker ohne Salonaufbauten, ledi glich mit dunklen Kajüten in der Schiffschale. Als Zeuge jener Zeit wird gegenwärtig im Verkehrshaus in Luzern das Dampfschiff «Rigi» in einem historisch plausiblen Zustand aufbereitet.

Die Expansion der Schifffahrt

Bahn und Schiff begannen sich ab etwa 1855 zu ergänzen, was der Mobilität in der Schweiz bisher ungeahnte Dimensionen verlieh. Um 1870, am Vorabend des deutsch-französischen Konfl ikts, kumulierten sich die Entwicklungen: Die ersten Halbsalondampfer (mit halb ins Achterdeck eingelassenen Erstklass-Salons) wurden in Dienst gestellt (Bild 3), und die Firma Gebrüder Sulzer in Winterthur begann auf dem Gebiet des Schiffbaus tätig zu werden. Fortan lieferten sich Escher Wyss & Cie und Sulzer über Jahrzehnte einen intensiven, aber fruchtbaren Wettbewerb, der internationale Dimensionen annahmNach dem Rückschlag durch den deutsch-französischen Krieg begann der Tourismus in der Schweiz deutlich aufzublühen. Bergbahnen wurden gebaut, beispielsweise die Vitznau-Rigi-Bahn, und die Schifffahrt stand voll im Dienste dieser Entwicklungen. Gleichzeitig ging mit dem fortschreitenden Bau von Eisenbahnlinien jedoch der «Muss-Verkehr» (Nicht-Freizeit-Verkehr) zurück.

Die Belle Epoque

Ab der Jahrhundertwende erlebte der Fremdenverkehr in Europa und in der Schweiz einen starken Aufwärtstrend. Die Schifffahrt war einer der Träger der damit verbundenen Mobilitätsdienstleistungen. Den stark steigenden Frequenzen begegneten die Gesellschaften mit vielen Neubauten, in der Regel Salonbooten, wie wir sie heute als Zeitzeugen auf verschiedenen Seen noch bewundern können (Bild 4). Alle Schiffe jener Periode wurden entweder in Zürich bei Escher, Wyss & Cie oder in Winterthur bei den Gebrüdern Sulzer gebaut. Die meisten dieser prächtigen Einheiten wiesen luxuriöse, individuell gestaltete, oft historisierende Erstklass-Salons auf, die Kessel- und Maschinenanlagen jedoch genügten dem neuesten Stand der Technik: Bei den auch optisch ansprechend gestalteten und gut einsehbaren Anlagen handelte es sich in jener Epoche durchwegs um 2-Zylinder-Heissdampf-Verbundanlagen, die damals modernste Form der Dampfmaschine (Bild 7).

Vom Salondampfschiff zum Motorschiff

Der Erste Weltkrieg beendete die beinahe euphorische Entwicklung abrupt. Die Zwanzigerjahre begannen mit grosser Ernüchterung – sichtbar im gesellschaftlichen, aber auch im stilistischen Bereich. Auf dem Genfersee wurden ein noch 1914 in Bau gegangenes Gross dampfschiff (SS «Simplon») und ein als Ersatz für ein ausgebranntes älteres Schiff konzipierter Dampfer (SS «Rhone») vom Stapel gelassen. In der übrigen Schweiz wurde nach dem Krieg nur noch ein Raddampfschiff neu in Dienst gestellt: die aus Preisgründen in Deutschland von den Gebrüdern Sachsenberg gebaute «Stadt Luzern» (Bild 5). Das bereits dritte Schiff dieses Namens war der Stilrichtung des Art déco und gewissen maritimen Elementen verpfl ichtet und wirkt heute noch imposant. In der Zwischenzeit fand die Dampfmaschine dank dem Dieselmotor einen wesentlich effi zienteren Nachfolger, und das Schaufelrad wurde durch den Schraubenantrieb zunehmend verdrängt. Escher Wyss nahm nach der langen Pause seit 1914 den Schiffbau 1930 wieder auf und profi lierte sich mit kleineren, ökonomischen Dieselbooten. Mit der MS «Etzel» führte Escher Wyss im Frühsommer 1934 erfolgreich den Verstellpropeller auf dem Zürichsee ein (vgl. nächsten Artikel). Mit der etwas grösseren MS «Thun» für die Bahn- (und Schiffahrts-)Gesellschaft BLS schiedete sich Escher, Wyss & Cie 1940 aus dem Schiffbau. Sulzer hatte bereits 1935 mit der MS «Arenenberg» für den Untersee/Rhein das letzte Exemplar abgeliefert. Die schlechte Auftragslage und die ausländlische Konkurrenz zwangen die Schiffbetriebe zu diesem Schritt. Am Bodensee gelang indessen auf der deutschen und der österreichischen Seite der Bau imposanter Dreideck-Motorschiffe (Werften in Deggendorf, Kressbronn und Korneuburg), die heute bereits als «Klassiker» oder gar «Oldtimer» eingestuft werden.

Die funktionalen Motorschiffe der Nachkriegszeit

Die Nachkriegskonjunktur brachte der Schweizer Schifffahrt zwar erfreuliche Frequenzen, aber der Betrieb war durch grösstenteils schwerfällige, überalterte und damit teure Flotten eingeschränkt. Aus diesem Grund – und wohl auch ein Stück weit einfach im damaligen Zeitgeist – wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren zahlreiche kohlengefeuerte Dampfschiffe ausgemustert und durch eher nüchterne, schlicht gehaltene Motorschiffe teilweise ausgesprochen stattlicher Grösse ersetzt (Bild 6). Hauptlieferant in jener Zeit war die Bodanwerft in Kressbronn am Bodensee, später auch die Schiffswerft Linz an der Donau. In der Schweiz hat einzig die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees ihre Flottenverjüngung durch hauseigenen Schiffbau ermöglicht. Sie war auch der Pionier bei der Verwendung von Aluminium anstelle von Stahl für die Aufbauten, was die Schiffe leichter, stabiler, unterhaltsfreundlicher und letztlich auch ökonomischer machte als die Importe (Bild 8). Fast alle diese Schiffe sind heute noch vorhanden und wirken in ihrer Nüchternheit schon fast neonostalgisch.

Nostalgie versus Moderne, «designte» Schiffe

Im Zuge eines deutlichen Wertewandels – die Schifffahrt wurde zunehmend als Erlebnis und immer weniger als wassergebundene Beförderung wahrgenommen – stieg auch die Wertschätzung für schöne, interessante, die Sinne ansprechende Schiffe. Dies führte nicht nur dazu, dass die noch vorhandenen Dampfschiffe aufwändigen Revisionen unterzogen und als qualifi zierte Nostalgieangebote vermarktet wurden, sondern auch zu bewusst offener gestalteten Neubauten wie der MS «Waldstätter» des Vierwaldstättersees oder der MS «Zug» (Bild 9). Mit rund 12 Mio. beförderten Personen generiert die Schifffahrt in der Schweiz eine Wertschöpfung von über 300 Mio. Franken. Es handelt sich somit keineswegs um eine «idyllische Nische» im Verkehrssystem, die nur traditionell-emotionale Werte und Erholung vermittelt, sondern um einen respektablen Wirtschaftszweig mit hoher touristischer und technischer Kompetenz.

[ Jürg Meister, Verkehrs- und Logistikberatung ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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