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TEC21 2008|20
Umsteigen
TEC21 2008|20
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Umsteigepunkte

Bei Bahnhöfen oder Haltestellen zählt der erste Eindruck. Fühlen sich Benutzerinnen und Benutzer unwohl oder unsicher, werden sie diesen Umsteigepunkt künftig meiden. Doch wie müssen Umsteigepunkte gestaltet werden, um dies zu verhindern?

13. Mai 2008 - Han van de Wetering
Bisher war wenig über die Bedürfnisse der Reisenden und der Pendler bekannt. Im Rahmen einer Forschungsarbeit der Vereinigung Schweizerischer Verkehrsingenieure (SVI) entstand ein aus vier Bauteilen bestehendes, räumliches Modell, um die Benutzerwünsche in die Planung von Umsteigepunkten einzubeziehen.

Die Anforderungen an Umsteigepunkte im öffentlichen Verkehr sind vielfältig. Sie dienen dem Einsteigen, Aussteigen und Umsteigen. Gleichzeitig sind sie Orte komplexer betrieblicher Abläufe. Umsteigepunkte haben eine wichtige Funktion in einer Stadt: als Treffpunkt, Einkaufsort und Orientierungspunkt. Für den Handel sind sie aufgrund ihrer stark frequentierten Lage interessant. Dennoch war über die Faktoren, die einen Umsteigepunkt attraktiv machen, bislang wenig bekannt; insbesondere fehlte eine integrale Bewertung der Qualität von Umsteigepunkten aus Benutzersicht, die alle möglichen Kombinationen von Verkehrsmittelverknüpfungen und Aktivitäten einbezieht. Auch die Frage, wie Benutzerbedürfnisse in die Neuentwicklung von Umsteigepunkten integriert werden können, ist noch weitgehend unbeantwortet. Diese Themen standen im Zentrum des Forschungsprojektes «Ausgestaltung von multimodalen Umsteigepunkten»1 der SVI.

Multimodaler Umsteigepunkt

Multimodale Umsteigepunkte sind Orte, an denen verschiedene Verkehrsträger miteinander verknüpft werden. In der genannten Forschungsarbeit wurde der Begriff noch spezifiziert als Bahnhaltepunkte, die mit mindestens einem anderen öffentlichen Verkehrsmittel verknüpft sind, oder als Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs mit mindestens vier verknüpften Tram- oder Buslinien. Multimodale Umsteigepunkte beinhalten die Publikumsanlagen der öffentlichen wie auch der privaten Verkehrsmittel, die Verbindungen zwischen ihnen, die Zugänge zum Umsteigepunkt für die einzelnen Verkehrsmittel sowie Teile des umliegenden Bahnhofsquartiers. Da Umsteigepunkte in ihrer Funktion und Grösse sehr unterschiedlich sind, wurden vier Typen unterschieden: Umsteigepunkte nationaler, regionaler und lokaler Bedeutung sowie solche des städtischen öffentlichen Verkehrs.

Kundenzufriedenheitsforschung

Um die Sicht der Benutzenden zu verstehen, wurden an 14 Umsteigepunkten in der ganzen Schweiz umfangreiche Umfragen durchgeführt und über 3200 Fragebogen ausgewertet. Methodischer Hintergrund war die Kundenzufriedenheitsforschung. Die Bedeutung eines Merkmals für die Gesamtbeurteilung des Umsteigepunkts wurde nicht direkt über die Befragung von Wichtigkeiten erhoben, sondern indirekt über eine Qualitätseinschätzung der einzelnen Elemente (vgl. Kasten «Fiktiver Dialog»). Diese Qualitätseinschätzungen wurden durch statistische Analysen in einen Zusammenhang mit der Gesamtqualität des Umsteigepunkts gebracht. Der Hierarchiebaum (Bild 1) zeigt die wichtigsten Zusammenhänge. Als zweites Ergebnis der Auswertung zeigt die Existenzanalyse, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen eines Elements und der Beurteilung der Qualität des Umsteigepunktes gibt.

Den Umsteigepunkt als Ganzes wahrnehmen

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Benutzende den Umsteigepunkt als Ganzes wahrnehmen. Im Vergleich mit Fachpersonen differenzieren sie deutlich weniger. Die Beurteilung eines Umsteigepunkts lässt sich demnach nicht wesentlich über einzelne Elemente wie ein schönes Wartehäuschen oder einen benutzerfreundlichen Billettautomaten beeinflussen. Weiter fällt auf, dass sich die Hierarchiebäume der verschiedenen Benutzergruppen nur geringfügig unterscheiden. Behinderte oder Autofahrer beurteilen den Umsteigepunkt nicht wesentlich anders oder vermissen keine anderen Einrichtungen als der Durchschnitt der Benutzenden. Der Fokus bei der Entwicklung oder Umgestaltung soll sich darum auf die integrale Optimierung eines Umsteigepunkts richten. Eine konzeptuelle Gesamtbetrachtung, insbesondere bei grösseren Umsteigepunkten, ist unerlässlich.

Qualitätsmerkmale

Deutlich ist, dass bei allen Umsteigepunkttypen die Qualitätsmerkmale Ambiance, Gestaltung und Beleuchtung die wichtigste Rolle spielen. Diese Elemente sollen eine Balance zwischen Übersichtlichkeit und Klarheit und einem guten Aufenthaltswert schaffen. Die Qualität des Umsteigens selber – der eigentliche Hauptzweck eines Umsteigepunkts – ist zwar ebenfalls wichtig, rangiert in der Wichtigkeitshierarchie aber erst an zweiter Stelle. Ein zentraler Faktor hierbei sind die Wege. Sie sollten direkt, hindernisfrei und kurz sein. Zudem sind möglichst viele, gut auffindbare Zugänge zum Umsteigepunkt und Wegweiser zur Orientierung erwünscht. Weiter gehören gemäss den Befragungen bediente Schalter, Personal, Trinkwasserbrunnen und Einkaufsmöglichkeiten zu jedem Umsteigepunkt. Das als gut empfundene Sicherheitsniveau soll beibehalten werden.

Gewisse Erkenntnisse aus der Studie beziehen sich jeweils auf einen bestimmten Umsteigepunkttyp. So hat sich herausgestellt, dass bei grossen Umsteigepunkten, wie zum Beispiel dem Hauptbahnhof Zürich, Einkaufsmöglichkeiten zwar erwünscht, aber eher zu zahlreich sind und so die Transferfunktion beeinträchtigen. Eine andere Anordnung und Organisation von Umsteigepunkt und Einkaufszentrum wäre hier empfehlenswert.

Bei Umsteigepunkten von regionaler Bedeutung, wie zum Beispiel den Bahnhöfen Zug oder Montreux, ist die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung von Aufenthaltsmerkmalen zu richten. Vor allem Einrichtungen, die das Warten auf die nächste Verbindung angenehmer machen, sind von Bedeutung, etwa die Verlängerung von Perrondächern, Wartehäuschen mit Sitzgelegenheiten auf den Perrons, Wetterschutz bei umliegenden Haltestellen und ein gutes Angebot an Einkaufsmöglichkeiten. Daneben sind bediente Schalter mit kompetentem Personal wichtig.

Die Umsteigepunkte von lokaler Bedeutung (S-Bahn-Stationen, ländliche Umsteigepunkte) sind kleiner und übersichtlicher, deshalb kann mit einer gezielten Verbesserung einzelner Merkmale bereits eine merkbare Wirkung erreicht werden. Auch hier ist der Fokus auf die Verbesserung von Aufenthaltsfaktoren zu richten. Einsparungen beim Personal führen aus Sicht der Benutzenden zu einem starken Qualitätsverlust.

Die städtischen Umsteigepunkte sollen in erster Linie als Verkehrsdrehscheiben konzipiert werden. Wichtig ist jedoch auch hier eine angenehme Atmosphäre beim Warten. Die Einführung von bedienten Schaltern würde in den Augen der Benutzenden am meisten zur Verbesserung der Qualität beitragen. Um einen guten ersten Eindruck zu erwecken und um die Orientierung und Auffindbarkeit in der Stadt zu unterstützen, müsste der Gestaltung der städtischen Bus- und Tramknoten mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Benutzerwünsche in Bauteilen umsetzen

Benutzerwünsche werden häufig nur als Checklisten oder als ganz allgemeine Empfehlungen behandelt und sind für die Bahnhofsplanung kaum verwendbar. Um ein Instrument zur Umsetzung der Erkenntnisse zu erstellen, wurde in der Forschungsarbeit ein System von Bauteilen entwickelt. Sie ergeben zusammen den Prototyp eines Umsteigepunkts. Im Schlusskapitel des Forschungsberichts wird dieser Prototyp detailliert erläutert.

Die einzelnen Teile entsprechen je einer Gruppe von Benutzerwünschen und stellen mögliche bauliche Zusammenhänge oder Trennungen dar. Die Bauteile sind flexibel konzipiert, damit sie in jeder spezifischen Situation möglichst einfach angewendet werden können. Die Arbeit mit den einzelnen Bauteilen soll helfen, die komplexe Benutzersicht in konkrete Verbesserungen umzusetzenDen ersten Teil eines Umsteigepunkts bildet der Transferbereich, die sogenannte «schnelle Zone». Wichtig für die Benutzenden sind kurze und direkte Wege. Die verschiedenen Verkehrsmittel werden deshalb möglichst nah zueinander angeordnet. Weil die Verkehrsmittel in der Realität aber oft weiter auseinander liegen, zum Beispiel wegen der Grösse der Umsteigepunkte, wird für eine direkte und logische Fussgängerführung gesorgt. Unterbrüche durch Geschosswechsel (Unter- oder Überführungen) und Umwege werden möglichst vermieden. Teil der «schnellen Zone», und damit direkt mit dem Haupttransferweg verknüpft, sind die Reiseservices wie Billettverkauf und Informationen und reiseorientierte Einkaufsmöglichkeiten.

Der «Bahnhofplatz» ist das zweite Bauteil. Zum Bahnhofplatz gehören der öffentliche Raum in der Umgebung sowie die Zugänge und Zugangswege zum Umsteigepunkt. Dieses Bauteil wird bei Planungen oft vernachlässigt. Für die Benutzenden (insbesondere für den Fussverkehr) ist die verkehrliche und räumliche Vernetzung des Umsteigepunkts mit seiner Umgebung wichtig. Darum gibt es nicht nur einen Haupt-, sondern auch mehrere Nebenzugänge. Logische, direkte Fussgängerführungen, Wegweiser und visuelle Bezüge zu diesen Zugängen dienen der Orientierung. Durch ihre architektonische Gestaltung sind die Zugänge und Verkehrsmittel schon aus der Ferne zu erkennen. Im und um den Umsteigepunkt sind grosszügige Fussgängerflächen angelegt. Stark befahrene Strassen werden aus der direkten Umgebung verlegt, oder ihre Barrierewirkung wird reduziert.

Mit der «langsamen Zone» hat man sich bei der integralen Planung von Umsteigepunkten bis jetzt nur wenig befasst. Sie spielt für die Benutzenden aber eine zentrale Rolle: In dieser Zone überbrückt man Wartezeiten, hier trifft man sich, hält sich auf und findet eventuell nicht reiseorientierte Einkaufsmöglichkeiten, das sogenannte «Funshopping». Sie befindet sich etwas abseits des Haupttransferweges und stört darum das schnelle Umsteigen nicht, ist aber doch direkt sichtbar und erreichbar. Sie liegt zum Teil in der direkten Umgebung des Umsteigepunkts, zum Beispiel in angrenzenden Gebäuden. Damit der Umsteigepunkt auch am Abend frequentiert wird und sicherer wirkt, befinden sich in unmittelbarer Nähe Wohnungen und abends belebte Funktionen.

Beim letzten, für die Benutzenden wichtigsten Bauteil handelt es sich um «Komfort und Ambiance», die Gestaltung, die Beleuchtung, die Materialisierung und die Möblierung. Die grosse Herausforderung besteht darin, mit der Gestaltung sowohl Übersichtlichkeit und Klarheit als auch «Wohnlichkeit» zu vermitteln. So kann eine für die Benutzenden gute Ambiance geschaffen werden. Dazu wird der Umsteigepunkt gut unterhalten und sauber gehalten, die Anwesenheit von Personal sorgt für ein gutes Sicherheitsgefühl. Die Umsetzungsideen verursachen nicht unbedingt Mehrkosten, und es werden keine Elemente vorgeschlagen, die nicht bereits existieren. In erster Linie geht es darum, ein bewusstes Vorgehen bei der Planung, beim Bau und bei der Umgestaltung von Umsteigepunkten zu fördern.

Die Studie (Forschungsnummer FB 1197) kann beim VSS (info@vss.ch) bestellt werden.

[Han van de Wetering, Dipl. Ing. TU Städtebau / SIA, Van de Wetering Atelier für Städtebau, Zürich]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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