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TEC21 2009|21
Opus Caementitium
TEC21 2009|21
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Beton mit tiefer Alkalität

Die geplanten geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle sollen dereinst mit Spritzbeton verschlossen werden. Die hohe Alkalität des Betons kann dabei für gewisse Teile auch nachteilig sein und angesichts der langen Zeithorizonte zu Instabilitäten führen. Im Fels labor Grimsel der Nagra wird deshalb ein Spritzbeton mit geringer Alkalität und ausreichender Festigkeit als Verschlussmaterial entwickelt.

Das Sicherheitskonzept zur geologischen Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz beruht auf mehrfachen passiven Sicherheitsbarrieren. Die äusserste bei der Beurteilung der Sicherheit in Betracht gezogene Barriere ist das Gestein, in welches das Tiefenlager platziert werden soll (Wirtgestein). Im Tiefenlager übernehmen technische Barrieren wie Endlagerbehälter, die Verfüllung der Lagerstollen sowie ihre Versiegelung weitere wichtige Funktionen im Sicherheitskonzept. In internationalen Entwicklungsprogrammen wird die gegenwärtige Technologie zur Handhabung der Abfälle und zum Einbau der technischen Barrieren sowie für den Verschluss der Anlage verfeinert und optimiert. Der nachfolgend beschriebene Demonstrationsversuch im Felslabor Grimsel im Rahmen des EU-Forschungsprojekts ESDRED1 hat die Entwicklung eines technischen Barrierensystems unter Verwendung von Spritzbeton mit optimierten chemischen Eigenschaften zum Ziel.

Im Felslabor Grimsel

Ein Felslabor tief im Berg bietet mit seinen unterschiedlichen geologischen Verhältnissen ideale Rahmenbedingungen zur Untersuchung der Wirkungsweise geologischer und technischer Barrieren. Das Felslabor Grimsel (FLG) liegt 1730 m über Meer in granitischen Gesteinen des Aarmassivs (Abb. 1). Es wird über den Zugangsstollen zur Zentrale Grimsel II der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) erreicht (Abb. 2). Das Labor ist rund einen Kilometer lang und wurde 1983 mit einer Tunnelbohrmaschine und im Sprengvortrieb aufgefahren. Im Anschluss wurden die geologischen, hydrogeologischen und geochemischen Verhältnisse gründlich untersucht.

Ein generisches Felslabor wie das an der Grimsel dient ausschliesslich Forschungszwecken. Mit der gut ausgebauten Infrastruktur und Betreuung durch Fachpersonal stehen die technischen Voraussetzungen für wissenschaftliche Experimente bereit. In der Vergangenheit wurden wichtige Grundlagen zur Konzeption geologischer Tiefenlager erarbeitet. Aktuelle Experimente fokussieren stärker auf die technologische Umsetzung und die Überprüfung der Machbarkeit. Die Lagerung von radioaktiven Abfällen in einem generischen Felslabor ist ausgeschlossen.

Ein Stollenverschluss aus Niedrig-pH-Spritzbeton

Das europäische Forschungsprojekt ESDRED umfasst unterschiedliche Versuche mit dem Ziel, die technologische Entwicklung zum Bau, Betrieb und Verschluss eines Tiefenlagers international zu koordinieren. Für hochaktive Abfälle gilt eine Lagerungsdauer von einer Million Jahren. Der Versuch «Stollenverschluss» im Felslabor Grimsel dient als Demonstration für ein temporäres oder ein endgültiges Abschlussbauwerk in horizontalen Lagerstollen für hoch aktive Abfälle. Die Endlagerbehälter mit der sie umgebenden Verfüllung aus Bentonit (ein hauptsächlich aus Tonmineralien bestehendes Gestein, das eine hohe Wasseraufnahmeund Quellfähigkeit aufweist) werden damit vom Zugangsstollen isoliert. Ein Verschlussbauwerk aus Spritzbeton übernimmt die Aufgabe des mechanischen Widerlagers.

Der Einsatz von konventionellem Spritzbeton aus Portlandzement für solche Bauwerke kann die Bentonitverfüllung und das Wirtgestein chemisch beeinfl ussen. Die Flüssigkeit im Porensystem zementhaltiger Materialien ist im Wesentlichen eine gesättigte Kalziumhydroxidlösung (Ca(OH)2) mit einem pH-Wert von ca. 12.6. Gelangt diese stark alkalische Lösung in den angrenzenden Bentonit oder das angrenzende Wirtgestein (pH-Fahne), kann sie durch chemische Wechselwirkung deren Langzeitstabilität und Stofftransporteigenschaften be einträchtigen. Der Einsatz von Portlandit-armem (Niedrig-pH-)Spritzbeton reduziert diese chemischen Wechselwirkungen. Angestrebt wird dabei ein um etwa ein bis zwei Einheiten niedrigerer pH-Wert.

Die Entwicklung von Niedrig-pH-Spritzbeton für Anwendungen in geologischen Tiefenlagern ist einer der Schwerpunkte des interdisziplinär ausgerichteten ESDRED-Projekts. Dieser Beton soll mit «normalem» Spritzbeton möglichst vergleichbare mechanische und verfahrenstechnische Eigenschaften aufweisen. Verschiedene Labor- und Feldversuche in Spanien, Schweden und der Schweiz, die unter dem ESDRED-Projekt koordiniert werden, haben dazu die Nachweise erbracht. Ziel ist, die Machbarkeit eines Stollenverschlusses aus Niedrig-pH-Spritzbeton im Massstab 1:1 zu demonstrieren.

Herstelklung, Applikation und Prüfung

Zur Vermeidung von Hoch-pH-Wässern (pH-Fahne) im Nahfeld wurde in verschiedenen Versuchen ein Spritzbeton entwickelt, bei dem der Gehalt an löslichem Portlandit begrenzt wird. Dies wird erreicht, indem der Gehalt an Portlandzement reduziert und mit puzzolanisch reagierendem Silicafume ergänzt wird, sodass sich das Bindemittel aus 60 % Portlandzement und 40 % Silicafume zusammensetzt (siehe Kasten S.17). Trotz dem niedrigen Zementgehalt von 165 kg / m3 und dem relativ hohen Anteil an Silikaten konnten die üblichen Anforderungen an die Früh- und Endfestigkeit sowie an die Verarbeitbarkeit erreicht werden. Vorgesehen war die Applikation im Nassspritzverfahren mit Förderdistanzen von etwa 70 m. Der Spritzbetonverschluss war in vier Schichten von jeweils 1 m Dicke aufzutragen.

Zur Optimierung der Spritzbetonrezeptur und zum Nachweis der Funktionalität aller Elemente bis zur Spritzbetonapplikation wurde ein umfassender Vorversuch im Versuchsstollen Hagerbach in Flums durchgeführt. Die Applikation erfolgte in einem geschalten runden Tunnelabschnitt mit einem Durchmesser von 3.5 m (Abb. 4). In diesem simulierten Labortunnel musste der Beton auf der gesamten Höhe in praktisch einem Arbeitsgang mit einer Dicke von 1 m aufgebaut werden. Er wurde in mehreren, zwiebelartigen Lagen über den gesamten Querschnitt aufgebracht, um durchgehende Risse infolge des Abbindens zu vermeiden. Die hohe Klebrigkeit des Spritzbetons reduzierte den anfallenden Rückprall, sodass sich bezüglich Rückprallhandling keine Probleme stellten. Die Verfl üssigerdosierung wurde optimiert, um eine gut pumpbare Mischung mit einem trotzdem relativ niedrigen Ausbreitmass von ca. 450 mm herzustellen.

Beim eigentlichen Versuch im Felslabor Grimsel konnten die Erkenntnisse aus dem Vorversuch erfolgreich übertragen werden. Abb. 5 zeigt die Applikation des Spritzbetons während des Baus des Spritzbetonverschlusses. Die Eigenschaften des Spritzbetons wurden mittels Frischbetonkontrollen und Festigkeitsbestimmungen an Bohrkernen überprüft.

Technische Ausführung und Bau

Abb. 3 illustriert schematisch den Versuchsaufbau am Ende des Laborstollens im Felslabor Grimsel. Hier wurde der 4 m lange Stollenverschluss aus Niedrig-pH-Spritzbeton erstellt. Er dient als mechanisches Widerlager gegen den sich langsam aufbauenden Quelldruck im anschliessenden Bentonitkörper. Diese rund 1 m mächtige Schicht aus Bentonit simuliert den Abschluss eines horizontalen Lagerstollens. Dazu wurden hoch kompaktierte Bentonitblöcke in sieben vertikalen Sektionen aufgeschichtet (Abb. 6).

Mehrere Jahrzehnte wären nötig, um diesen Bentonitkörper mit natürlichem Formationswasser zu sättigen. Deshalb wurden Bewässerungsmatten zwischen einzelne Bentonitsektionen eingezogen. Mittels Wasserinjektionen kann die Wassersättigung und somit das Quellen der Tonminerale im Bentonit gezielt beschleunigt werden.

Momentaner Status und Überwachung

Nach Abschluss der Bauarbeiten Anfang 2007 begann der Belastungstest mit den ersten Wasserinjektionen. Die Wassersättigung verläuft auch mit der künstlichen Bewässerung relativ langsam, und der Aufbau des Quelldrucks ist noch nicht abgeschlossen. Der erwartete Quelldruck bei vollständiger Sättigung liegt bei 4.5 MPa, wobei sich gegenwärtig etwa die Hälfte dieses Druckes aufgebaut hat.

Die kontinuierliche Überwachung der mechanischen und hydraulischen Druckentwicklung ist durch ein dichtes Netzwerk von verschiedenen Sensoren in Bentonitkörper, Verschluss und Wirtgestein gegeben. Würden die Datenkabel eines Überwachungsnetzes durch die technischen Barrieren geführt, könnten sie deren Funktion beeinträchtigen. Deshalb werden im ESDRED-Versuch auch kabellose und indirekte Überwachungsmethoden eingesetzt und getestet. Die kabellose Überwachung beruht auf einem redundanten Netzwerk von Messsensoren im Bentonitkörper. Die Datenübertragung erfolgt über ein moduliertes quasistatisches Magnetfeld, das feste Materie über einige 100 m durchdringen kann. Da sich die kabellose Übertragung von elektrischer Energie noch in Entwicklung befi ndet, wird der einzementierte Sender durch langlebige Batterien mit Strom versorgt.

In Zusammenarbeit mit der ETH Zürich werden geophysikalische Methoden für die indirekte Überwachung entwickelt. Dazu wurde ein Fächer aus sechs Überwachungsbohrungen abgeteuft (Abb. 3). Diese Bohrungen lassen die technische Barriere und die Auflockerungszone im Wirtgestein intakt. Mittels einer geeigneten Quelle und Empfängern wird das Gebiet zwischen den Überwachungsbohrungen mit seismischen Wellen durchstrahlt. Regelmässige Wiederholungsmessungen erlauben Rückschlüsse auf Änderungen des Wassergehalts und der Druckverhältnisse. Gegenwärtig wird an der computerunterstützten Analyse der aufgezeichneten Wellenfelder gearbeitet, damit Veränderungen der Druckverhältnisse quantitativ dargestellt werden können. Die seismische Tomografie ist ein bildgebendes Verfahren, ähnlich der medizinischen Computertomografie.

Die Überwachung eines künftigen geologischen Tiefenlagers in der Schweiz ist gesetzlich vorgeschrieben. Methoden, wie sie hier vorgestellt werden, könnten dereinst zur Überwachung des vorgesehenen Pilotlagers herangezogen werden.

[ Thomas Spillmann, Dr. sc. nat., Projektleiter Geowissenschaften, Nagra, Thomas Fries, dipl. Bauing. ETH/SIA, Ressortleiter Ingenieurwesen, Nagra, Volker Wetzig, dipl. Bergbauing. TU, VersuchsStollen Hagerbach AG, Andrea Stefan Koch, dipl. Bauing. FH, VersuchsStollen Hagerbach AG, José-Luis García-Siñeriz, Mining Engineer, Head of Engineering and Risks Department, AITEMIN, Ignacio Bárcena, Mining Engineer, Project Engineer, Engineering and Risks Department, AITEMIN ]

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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