Zeitschrift

TEC21 2010|18
Simulanten
TEC21 2010|18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Unsichtbare Strömungen

Ist im raumhoch verglasten Eckbüro eine Kühlung notwendig, und wie gross ist der Effekt der Nachtauskühlung? Wird sich der Geruch aus der Cafeteria im ganzen Atrium verteilen? Sind mit dem geplanten Lüftungssystem Klagen bezüglich Zugluft zu erwarten? Solche und viele weitere Fragen lassen sich bei komplexen Gebäuden nicht mithilfe von Normen oder Richtlinien beantworten. Sie erfordern individuelle bauklimatische Konzepte, optimiert mit geeigneten Simulationstechniken.

30. April 2010 - Stefan Barp
Für viele bauphysikalische Vorgänge an Gebäuden, wie z. B. die Bestimmung von Wärmeverlusten, gibt es einfache Formeln. Komplexe bauklimatische Probleme und Fragestellungen, bei welchen verschiedene physikalische Effekte wie Strömung, Wärmeleitung, Wärmespeicherung, Infrarot- und Solarstrahlung gekoppelt sind, lassen sich aber nur mittels geeigneter Simulationsmethoden zuverlässig untersuchen. Damit ist «echt» integrale Planung möglich, weil alle entscheidenden Faktoren berücksichtigt werden können. Die Simulation liefert nicht die Lösung, sondern ist ein Hilfsmittel zur Untersuchung und Optimierung möglicher Konzepte.

Der sinnvolle Konzeptentwurf ist Aufgabe des Fachplaners. Erfahrungen von bereits geplanten und gebauten Lösungen sind dabei wesentliche Voraussetzung, um sich nicht mit «falschen» Konzepten in einer Sackgasse zu verlieren.

Simulationsmethoden

Die heute wichtigsten Simulationsmethoden zur Lösung bauklimatischer Aufgabenstellungen sind die thermische Gebäudesimulation und die numerische Strömungssimulation (Computational Fluid Dynamics CFD). Bei der thermischen Gebäudesimulation wird ein Gebäude in eine oder mehrere Zonen pro Raum unterteilt, und für jede Zone werden die über ein Jahr resultierenden Temperaturen (Zonenmittelwerte) in Stundenschritten berechnet. Es werden alle für Gebäude und Fassadensysteme wesentlichen thermischen und dynamischen Vorgänge mit Parametern wie externen Lasten, Wetterdaten, Lüftung, Kühlung, Luftaustausch zwischen Zonen, internen Lasten, Speicherung in Bauteilen usw. berücksichtigt. Als Resultate können Temperaturverläufe, maximale und minimale Werte, Statistiken, erforderliche Heiz- und Kühllasten und Energie- und Massenströme ausgewertet werden.

Bei der numerischen Strömungssimulation mit CFD werden Geschwindigkeiten und Temperaturen in jedem Punkt berechnet. Im Vergleich zur thermischen Gebäudesimulation wird in der Regel die Strömung zu einem bestimmten Zeitpunkt oder über einen kurzen Zeitraum von maximal einer Stunde simuliert. Zusätzlich können auch Parameter wie Zigarettenrauch, CO2, Küchengeruch usw. mitgerechnet werden, um deren Ausbreitung resp. Massnahmen gegen die Ausbreitung zu untersuchen, oder auch Feuchte, um das lokale Kondensationsrisiko zu bestimmen. Die beiden Methoden unterscheiden sich also vor allem im Zeitfenster, in welchem die Vorgänge ablaufen resp. berechnet werden. Die thermische Gebäudesimulation kann ein ganzes Kalenderjahr abbilden und ist dementsprechend geeignet, um Material, Verglasung, Heiz- und Kühlenergiebedarf, Verlauf von Raumtemperaturen, Oberflächentemperaturen, Sonnenschutzanlagen, Wärmespeicherung und Nachtauskühlung zu bestimmen. Demgegenüber werden mit der numerischen Strömungssimulation kurzfristige Vorgänge berechnet, wie z. B. lokales Zugluftrisiko bei Lüftungsanlagen, raumhohen Verglasungen usw.

Am Anfang steht das Konzept

In jedem Bauprojekt sind kostspielige Umplanungen resp. nur mit Technik korrigierbare Fehlplanungen zu vermeiden. Dabei ist es zwingend, zu Beginn ein funktionierendes bauklimatisches Konzept zu entwerfen. Dieses kann gegebenenfalls mittels in dieser Phase noch günstiger Simulationen verifiziert werden. Dadurch sind bauklimatische Lösungen möglich, die optimal mit dem gewünschten Design übereinstimmen und ein Minimum an zusätzlicher Technik und Regelung erfordern. Um die Kosten der Simulationen selbst zu minimieren und dennoch plausible Aussagen zu erhalten, ist jahrelange Erfahrung und tägliche Anwendung der Tools erforderlich. Dies braucht der Ingenieur, um auf folgende Aufgabenstellungen richtig reagieren zu können:

– Wahl der geeigneten Simulationsmethode, weil sich je nach Objekt und Fragestellung andere Methoden und Tools eignen, um mit geringstem Aufwand die notwendigen Resultate in genügender Genauigkeit zu erhalten.

– Festlegung, welche Details wie stark vereinfacht werden können, damit das Modell die erforderlichen Aussagen korrekt und dennoch mit minimalen Kosten liefert.

– Festlegen der thermischen Randbedingungen durch fundiertes Wissen zur Simulationstechnik und Numerik wie auch zur Bauphysik.

– Kontrolle der Resultate und Korrektur von Fehlern, d. h., die Resultate sind auf Plausibilität, numerische Korrektheit (Konvergenz, diverse Parameter usw.) zu prüfen.

– Festlegung der geeigneten Art der Auswertung (Wo wird was wie dargestellt?), damit alle relevanten Effekte erkannt werden. Dies erfordert insbesondere bei CFD-Simulationen von komplizierten Geometrien grosse Erfahrung, denn bei der riesigen Menge an berechneten Daten ist nicht immer ersichtlich, wo die kritischen Bereiche liegen. Der Ingenieur muss diese suchen.

Simulation spart Baukosten

Mit Komfortlüftungen ausgestattete Wohnungen mit kombinierter Koch-/Wohnzone (offene Wohnküchen) benötigen im Bereich der Küche zwingend einen Abluftdurchlass (Abb. 3). Dazu wird im Wohnbereich häufig ein separater Zuluftdurchlass geplant, was insbesondere bei Sanierungen einen grossen Aufwand verursachen kann. Auf diesen Zuluftdurchlass kann verzichtet werden, wie eine von AFC Air Flow Consulting im Auftrag des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft AWEL und des Amts für Hochbauten der Stadt Zürich durchgeführte Studie[1] zeigt. Es gibt keine kritische «Anhäufung» von CO2 im Fassadenbereich des Wohnzimmers bei normaler Belegung mit zwei Personen im Wohnbereich. Diese CFDAnalyse bewirkt weniger bauliche Massnahmen und spart Baukosten.

Simulation optimiert Gebäudetechnik

Bei Atrien und Hallen mit Glasdächern bestehen oft Fragen nach der Verhinderung von Überhitzung im Aufenthaltsbereich, nach der geeigneten Kombination von mechanischer und natürlicher Lüftung und nach der Auswirkung von Kaltluftabfall im Winter.

In einem geeigneten bauklimatischen Konzept sind folgende Grössen zu bestimmen:

– Glas, Sonnenschutz (physikalische Eigenschaften resp. konkretes Produkt) und Rahmen

– Grösse und Anordnung von Dachklappen und Nachströmöffnungen für natürliche Lüftung und Nachtauskühlung

– erforderliche zusätzliche Kühlleistung

– Luftvolumenstrom, Zulufttemperatur, Position Zu- und Abluft der mechanischen Lüftung Die Wahl der Position für die Abluft der mechanischen Lüftung ist dabei entscheidend. Dazu wurden im Beispiel (Abb. 5 und 6) CFD-Simulationen mit drei möglichen Anordnungen durchgeführt. Der deutliche Unterschied zwischen den verschiedenen Resultaten zeigt, dass es sich lohnt, die aufwendigere, dafür viel bessere Variante mit Abluft im Dach zu verfolgen. Würde dieser Entscheid erst in einer späten Planungs- oder in der Bauphase gefällt, wären damit hohe Kosten verbunden. Dieses Gesamtkonzept, d. h. die Kombination der oben genannten Parameter, ist mittels thermischer Gebäudesimulation in Kombination mit zonaler Strömungssimulation optimiert.

Simulation bleibt ein Werkzeug

Das Überprüfen und Optimieren mit Simulationen hinsichtlich hohen thermischen Komforts und tiefer Energie- und Betriebskosten führt zu bauklimatischen Lösungen, welche optimal mit dem gewünschten Design übereinstimmen und ein Minimum an zusätzlicher Technik und Regelung erfordern. Dennoch bleibt die Simulation ein Werkzeug, das so gut arbeitet, wie die Hand es führt. Erfahrung und Know-how von Ingenieuren und Fachplanern bleiben demnach unabdingbare Voraussetzungen für den Entwurf geeigneter Konzepte.


Anmerkung:
[01] Luftaustausch (Broschüre), Luftaustausch (Synthesebericht) Download: www.stadt-zuerich.ch/nachhaltiges-bauen > 2000-Watt-Gesellschaft > Technik

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: