Zeitschrift

TEC21 2010|27-28
Musik und Architektur
TEC21 2010|27-28
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schallwellenbrecher

Die berühmteste Verbindung zwischen Musik und Architektur im 20. Jahrhundert schufen Iannis Xenakis und Le Corbusier 1958 mit dem Philips- Pavillon an der Weltausstellung in Brüssel. Er ist ein Bezugspunkt für Wolf D. Prix beim Projekt von COOP HIMMELB(L)AU für den Pavillon für die Münchner Opernfestspiele. Doch während der Philips-Pavillon eine Verräumlichung der im Innern aufgeführten Musik, des Poème Electronique von Edgar Varèse, darstellte, fungiert der «Pavillon 21 MINI Opera Space» als gegenkoppelnder Soundscape der aussenräumlichen Geräuschkulisse.

2003 war die letzte, im Zweiten Weltkrieg entstandene Baulücke Münchens mit der Neubebauung des Marstallplatzes im Herzen der Altstadt geschlossen worden. Die Berliner Architekten Gewers, Kühn und Kühn (GGK Architekten) bauten den Maximilianhof, den Bürkleinbau und das Probengebäude der Bayerischen Staatsoper. Dessen Fassade wurde vom Künstler Olafur Eliasson «bespielt». Er hängte der Wand eine Hülle aus Glas vor, die zum Prospekt des Platzes wird. Oben und unten in verschiedenen Winkeln montiert, reflektieren die schimmernden Farbeffektgläser des oberen Bereichs den Himmel über dem Platz, der untere dagegen «bildet» die Menschen und das Geschehen auf dem Marstallplatz «ab». Der Platz wird so zu Auditorium und Bühne, die Fassade zu einem Echtzeit-Raum eines «Theaterstücks», das sich auf dem Platz abspielt. So empfinden sich die Passanten auf dem Platz auch gleichermassen in einem Innen- wie in einem Aussenraum. Das macht sich COOP HIMMELB(L)AU zunutze beziehungsweise verstärkt den Effekt und ergänzt die optische um eine akustische «Täuschung» bzw. Irritation: die auditive Wahrnehmung des Platzes als Innenraum. Zwischen Olafur Eliassons Fassade, dem Marstall und dem Max-Planck-Institut hat das Wiener Architekturbüro den «Pavillon 21 MINI Opera Space» platziert. Er beherbergt im Rahmen der Opernfestspiele noch bis am 31. Juli 2010 experimentelle musikalische Gastspiele.[1]

Partituren wie Grundrisse

In der Genese des Büros COOP HIMMELB(L)AU spielt Musik eine zentrale Rolle. Und auch den Impuls des Entwurfsprozesses ortet der Architekturhistoriker Jeffrey Kipnis, der die Bauten formal in Blasen, Flügel, Wracks und Nebelbänke klassifiziert, in der Musik.[2] Wolf D. Prix selber bezeichnet Musik als Teil seines Denkens: «Wenn ich mir von Cage die Notationen anschaue, lese ich da Grundrisse.»

Dennoch ist der «Pavillon 21 MINI Opera Space» das erste im engeren Sinn «musikalische» Projekt, das die Wiener Architekten je realisiert haben – wenn man von der Inszenierung des «Weltbaumeisters» 1993 zum Festival Steirischer Herbst in Graz absieht. Eine Verbindung zwischen beiden Projekten gibt es: «Damals waren auch Notenbilder in verschiedenen Sequenzen der Ausgangspunkt des Entwurfs». Beim Pavillon sind es je eine Sequenz aus Jimi Hendrix’ «Purple Haze» und Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «Don Giovanni».

„Fliegender“ Leichtbau kontra gravitätische Akustik

Doch vor der Kür war die Pflicht zu bewältigen, die darin bestand, den inneren Widerspruch der Bauaufgabe aufzulösen. Gefordert war nämlich ein temporärer, zerlegbarer und transportabler Pavillon für Musikdarbietungen, denen rund 300 Personen beiwohnen können – ein «fliegender» Leichtbaukörper also, was «in absolutem Kontrast zu den Anforderungen an die Akustik steht» (Prix): Dem über einer Unterkonstruktion aus Stahlprofilen mit Aluminiumpaneelen verkleideten Bau fehlt die für eine gute Akustik unabdingbare Masse (vgl. Kasten «Spikes» S. 20). Wolf D. Prix wandte sich daher zunächst dem Aussenraum zu bzw. entschloss sich, die akustische Qualität im Innern zu optimieren, indem er Einfluss auf diejenige des Aussenraums nahm. «Wir mussten ein Volumen schaffen, das die akustischen Eigenschaften im Innenraum erhöht, indem wir das Gebäude vom Aussenraum abschirmen. Wir haben also eine Form generiert, die gleichzeitig zerlegbar und relativ schnell auf- und abbaubar ist und deren Oberfläche den Schall entweder reflektiert oder schluckt.» Als Ideal schwebte Prix ein akustisches schwarzes Loch vor, von dem der Lärm des Motorengeräuschs eines Autos geschluckt würde: «Die Vorstellung war, dass das Geräusch, sobald der Wagen den Pavillon passiert, gleichsam verstummt.»

Die Akustiker von Arup ersannen zusammen mit COOP HIMMELB(L)AU gewissermassen ein negatives Soundscape, eine «Klanglandschaft der Dämpfung» (Prix), und fokussierten auf drei Angriffsflächen: Abschirmung des Platzes von der Strasse, Ausformulierung der Geometrie des Pavillons dergestalt, dass es zwischen seinen Fassaden und denjenigen der umgebenden Bauten nicht zu Widerhall kommt, und Vergrösserung der Oberfläche des Pavillons durch ihre Auflösung in keilförmige Elemente, die Schall absorbieren und reflektieren bzw. ablenken (vgl. Kasten «Spikes» S. 20).

Visualisierter Klang als akustische Gegenkoppling

Neben den Parametern der Lärmabschirmung, der Konstruktion als Leichtbau, den Kosten und der flexiblen Bespielung mit klassischer Bestuhlung, als Arenatheater und mit Bankettelayout war den Architekten auch an einer Form gelegen, die den Platz nicht nur akustisch beeinflussen, sondern auch optisch in einem andern Licht erscheinen lassen würde. Der Pavillon ist daher nicht nur akustisch eine Gegenkopplung, weil die Hülle den Lärm der Strasse «neutralisiert», sondern auch optisch, weil er gewissermassen einen visualisierten Klang zurückwirft.

Diesen haben COOP HIMMELB(L)AU in einem klassischen und einem modernen Musikstück gefunden – Lieblingsstücke von Wolf D. Prix: Wolfgang Amadeus Mozarts Oper «Don Giovanni» und Jimi Hendrix‘ «Purple Haze». Je eine Sequenz haben sie aus den beiden Werken extrahiert: Im Falle «Don Giovannis» ist es dessen Begegnung mit dem steinernen Gast, der Statue des Komtur, dessen Einladung zum Essen er quittiert mit «Non ho timor: Verrò!». Aus «Purple Haze» ist es die Liedzeile «Scuse me while I kiss the sky», die einst auch die Inspirationsquelle für die Namensgebung des Büros COOP HIMMELB(L)AU war.

Die ausgewählten Sequenzen wurden zunächst mittels digitaler Signalverarbeitung in einem Oszillogramm visualisiert. Daraus wurde ein kurzer Ausschnitt von drei Sekunden gewählt und mittels Diskreter Fourier-Transformation (DFT) analysiert. Die resultierende Spektrogramm- Darstellung wurde nun auf die Geometrie des computergenerierten 3D-Modells einer quaderförmigen Box kartografiert. Im nächsten Schritt wurde die spektrogrammatische Darstellung mit der Wellenform des Oszillogramms überlagert, um eine dreidimensionale Oberflächenstruktur aus pyramidenförmigen Spikes zu generieren. Die Höhen und Grundflächen dieser Keile leiten sich aus Lautstärke, Frequenz und Zeit ab.

Glätten, verzerren - tunen

Die von Spikes übersäte Oberfläche des Modells war nun gewissermassen in einen andern Aggregatszustand überführte Musik. Um dieses verkörperlichte Klangspektrum, die «Spikes», so zu manipulieren, dass sie den Soundscape modulieren, wurden sie «wie in einem Feedback zwischen Form, Inhalt, Kosten, Wünschen des Klienten und stadträumlichen Überlegungen» verzerrt, geglättet – getunt. So resultiert etwa die markanteste Verformung auf der Nordseite aus der akustischen Forderung, den Eingangsbereich dahinter überproportional stark abzuschirmen, und aus der funktionalen Bedingung, eine Lounge-Bar zu integrieren. «Das ist es, was ich so liebe; es schaut zufällig aus – aber es ist nicht chaotisch: Der Ansatz ist ein wilder, aber die Durcharbeitung ganz und gar nicht.» «Überformt» wird die akustische Dimension schliesslich noch mit einer elektromagnetischen.

Das Medientechnologie-Unternehmen CAT-X bespielt den Bau mit einer interaktiv konzipierten Lichtinstallation. Die Idee war, dass die Beleuchtung mit den Klängen im Innern «harmoniert», die Musik nach aussen diffundiert. Analog zur formalen Strategie des architektonischen Konzepts, die Oberfläche über die Transformation der Spektralinformation einer Klangsequenz zu generieren, werden die Lichtprojektionen über die Umwandlung der Audiosignale erzeugt – allerdings in Echtzeit. Die als verräumlichter Klang gebildete Form wird dynamisiert. Sie wird flüchtig – wie die Musik, die im Innern gespielt wird.

Akustik als Dimension der Kontextualisierung

Für die Konzeption eines Baus, der als eine Art negatives Feedback funktioniert, als Gegenkopplung, sieht Prix ein bislang unausgeschöpftes Potenzial: «Es würde möglich, Material zu sparen, wenn es gelänge, die Akustik bzw. den Lärmpegel durch die Form so zu beeinflussen, dass nicht mehr tonnenschweres Material verwendet werden müsste.»

Für die Beruhigung des öffentlichen Raums, dessen akustische Verschmutzung Raymond Murray Schafer zwar schon 1977 beklagte,[3] der aber kaum je kreativer als mit Lärmschutzwänden zu Leibe gerückt wird, könnte der Pavillon ein Impuls sein. Und ein Anstoss auch für zwei Dauerbrenner in der Architekturkritik: Die Verschmelzung von Innen- und Aussenraum wäre nicht mehr nur auf die visuelle Ebene beschränkt, sondern könnte auch akustisch ausgelotet werden. Denn die Neutralisierung des Lärms verleiht dem Platz Innenraumqualitäten.

Damit gekoppelt ist Prix’ Wink an die «Kontextfanatiker», deren allfälliger Kritik an dem zerzausten Pavillon er vorgreift: «Wenn man sich nicht auf die visuellen Qualitäten der Proportionen kapriziert, sondern die akustische Dimension – das Geräusch oder den Ton – ebenso in die Beurteilung der Kontextualisierung einbezieht, wie die Bewegung und das Licht, dann schaut die Architektur ganz anders aus.»

A propos «zerzaust»: Als Wolf D. Prix vor gut einem Jahr das Projekt für den temporären Pavillon mit den Worten aus Herman Melvilles «Moby Dick» präsentierte – «Ich wollte, der Wind hätte einen Körper»[4] –, liess dies an einen Cluster von windzerfetzten Segeln denken. Nun, da er gebaut ist, erweckt der «Pavillon 21 MINI Opera Space» optisch eher den Eindruck eines zersplitterten (Schall-)Wellenbrechers. Akustisch erregt er eine andere Assoziation: Vom Jazz-Saxophonisten Sonny Rollins geht die Legende, er habe seinen grossen Sound unter anderem dadurch entwickelt, dass er in den späten 1960er-Jahren auf der Williamsburg Bridge gegen den Verkehrslärm anblies.[5] COOP HIMMELB(L)AUS Pavillon ist (auch) ein Resonanzkörper, der gegen den Lärmpegel «anspielt».


Anmerkungen:
[01] Eröffnet wurde der «Pavillon 21 MINI Opera Space» am 24. Juni mit dem Afrika-Projekt «Remdoogo – Via Intoleranza II» von Regisseur Christoph Schlingensief, das er mit Künstlern aus dem Operndorf in Burkina Faso entwickelte. Die weiteren Veranstaltungen finden sich unter www.bayerische.staatsoper.de. Geplant ist, den Pavillon während vier Spielsaisons zu nutzen. Durch die modulare Bauweise kann er in Container verpackt und andernorts wieder aufgestellt werden. Eine konkrete Anfrage liegt von der Stadt Augsburg vor. Interesse signalisiert haben London und Paris. (www.bayerische.staatsoper.de)
[02] Jeffrey Kipnis, «II. Aufruhr auf der Ringstrasse»; in: Peter Noever (Hrsg.): COOP HIMMELB(L)AU: Beyond the Blue. Prestel, München, 2007, S. 42–50
[03] Raymond Murray Schafer: The Tuning of the World. Knopf, New York, 1977
[04] Wolf D. Prix Prix, Vortrag vom 29. Juni 2009 anlässlich der Eröffnung der Münchner Opernfestspiele: «Would now the wind but had a body [...]» in: Herman Melville: Moby Dick or The Whale, Kap. 135, 1851
[05] Dass die Hängebrücke über den East River einst sein «Probelokal» war, ist nicht nur eine Saga, wie Sonny Rollins in einem Interview mit Beat Blaser bestätigte, welches das Schweizer Radio DRS 2 am 17. April dieses Jahres ausstrahlte

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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