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TEC21 2010|31-32
Sichtbar gemacht
TEC21 2010|31-32
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Simulationen für die Wüstenstadt

Bis 2020 soll Masdar City als Stadt der Zukunft in Abu Dhabi gebaut werden. Um das Projekt weitab der europäischen Klimaverhältnisse bearbeiten zu können, simulierte die Firma Transsolar, wie sich u.a. Temperatur und Feuchtigkeit in Wüstenstädten mit geschickter Stadtmodellierung in den Griff bekommen lassen.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten mit ihren riesigen Erdöl- und Erdgasvorkommen und einer Pro-Kopf-Emission von über 30 t CO2 /Jahr[1] entsteht Masdar City: eine Stadt, die nur so viel Energie verbrauchen soll, wie sie selber mit Hilfe von Sonne, Geothermie und Wind erzeugen kann. Die «Ökostadt» Masdar – arabisch «Quelle» – entsteht für 22 Milliarden USDollar in Abu Dhabi und soll bis zum Jahr 2020 auf einer Fläche von 7 km2 Wohn- und Arbeitsort für 50 000 Einwohnerinnen und Einwohner werden. Geplant ist eine Bruttogeschossfläche von über 4 Mio. m2. Weitere 40 000 Menschen aus dem Einzugsgebiet sollen in Masdar Arbeit finden. Mit der 2006 gegründeten Abu Dhabi Future Energy Company (ADFEC)[2] steht eine zentrale, finanzstarke und durchsetzungsfähige Institution als massgebliche Initiatorin der städtebaulichen Entwicklung hinter dem Projekt, die letztlich alle gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen vorgibt und für deren Umsetzung sorgt. Der Standort hat praktisch keine «industriellen Altlasten»; industriepolitische Rücksichten auf etablierte Technologien müssen nicht genommen werden. Mit weit mehr als 2000 kWh/m²/Jahr besitzt der Standort ein grosses solares Potenzial für eine regenerative und nachhaltige Energiegewinnung. Nach den Vorgaben der Bauherrschaft soll der WWFNachhaltigkeitsstandard regelmässig überprüfter Bestandteil der Planungen, der Bauphase und des Monitorings der Stadt sein (vgl. Kasten). Ausgerechnet an einem Standort, an dem in den Sommermonaten mit Maximaltemperaturen von knapp 50 °C und mit absoluten Luftfeuchtigkeiten von über 25 g/kg zu rechnen ist, wollen die Planenden den Energiebedarf der Gebäude auf ein Minimum reduzieren und den Komfort ausserhalb der Gebäude so weit verbessern, dass der Mensch freiwillig auf sein klimatisiertes Automobil verzichtet? Die Anforderungen der ADFEC an die Planung der Zukunftsstadt waren hoch, und das Designteam um Norman Foster musste realistische Antworten auf viele offene Fragen finden.

Neben der Architektur waren im Team u. a. die Disziplinen Verkehrsplanung, Infrastrukturplanung, Energiesystemplanung und Klima-Engineering vertreten – unter anderem durch das Stuttgarter Unternehmen Transsolar, das viele Simulationen für die neu zu planende Stadt durchführte. Im Vergleich zu heutigen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten üblichen Verbrauchsstandards sollte der Gesamtenergiebedarf von Masdar City um 80 % reduziert werden. Passive Strategien an den Gebäuden sind beispielsweise Fassadenoptimierungen bei Verglasung, Wärmedämmung, Tageslichtoptimierung, Luftdichtigkeit und adaptivem Sonnenschutz. Andererseits müssen alle haustechnischen Systeme und Infrastruktursysteme optimiert werden. Der restliche Energiebedarf der Stadt muss regenerativ und CO2-frei bereitgestellt werden.[3] Intelligente Verteilungsnetze, steuernde Energietarife und Speichertechnologien sollen dafür sorgen, dass der Energiebedarf der Stadt und die jeweilige Verfügbarkeit der erneuerbaren Energieressourcen sich weitgehend decken. Das gesamte innerstädtische Transport- und Verkehrssystem wurde in den Untergrund verlegt. Der «Personal Rapid Transport» – etwa 3000 computergesteuerte, schienengeführte Elektrofahrzeuge für jeweils vier bis acht Personen – wird Haltestellen im Abstand von 100 bis 200 m ansteuern. Mit dem Umland soll Masdar über den sogenannten «Light Rail Transport», eine Art Nahverkehrszug, verbunden werden. Auf Individualverkehr mit Verbrennungsmotortechnologie verzichtet Masdar City ganz, was die innerstädtische Luftqualität verbessert und eine dichte Bebauung ermöglicht. Das wiederum garantiert kurze Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Freizeit. In Anlehnung an die historische arabische Bauweise sind etwa 50 % der Fläche eines Blockes mit maximal vierstöckigen Gebäuden überbaut. Strassen und Gassen nehmen dagegen nur 15 % der Fläche ein. Die restlichen 35 % sind für Innenhöfe reserviert, über die die Gebäude natürlich belichtet, belüftet und erschlossen werden. Über geschlossene Wasserkreisläufe soll Regen-, Grau- und Schwarzwasser genutzt oder wiederverwendet werden. Klärgase, die bei der Aufbereitung von Abwasser entstehen, werden energetisch genutzt, und Salze, die bei der Meerwasseraufbereitung anfallen, sind industriell zu verwerten. Ausserdem tragen Material- und Abfallkreisläufe wie Kompostieren, Wiederverwerten von Wertstoffen, Recycling und die energetische Restmüllnutzung dazu bei, das Müllaufkommen zu reduzieren (Abb. 6).

Generische Funktionsmodelle

Masdar City muss im Betrieb CO2-neutral sein. Doch wo soll die konkrete Planung ansetzen? In welcher städtebaulichen Phase müssen die Gebäude konkret entwickelt werden, damit die neu entstehende Stadt und ihre Zellen funktionieren? Wie sehen die zeitabhängigen Energiebedarfskurven der Stadt in ihren unterschiedlichen Bauphasen aus? Wie und durch welche Energiesysteme kann die Energienachfrage möglichst zeitnah gedeckt werden? Wie ist der Aufenthaltskomfort ausserhalb und innerhalb der Gebäude zu definieren, zu quantifizieren und zu optimieren?

Mit Beginn des Masterplans definierte das Designteam erste generische Funktionsmodelle, die noch keinen architektonischen Ansprüchen zu genügen hatten. Mit generischen Funktionsmodellen für die Strassen und Plätze wurden die optimalen Strassenlängen und -breiten und deren Anordnung untersucht. Mit generischen Funktionsmodellen von Gebäudeblöcken (mit allen massgeblichen Nutzungen wie Büro / Verwaltung, Labor, Wohnen / Hotel, Bildung, Krankenhaus, Produktion, Restaurant / Einzelhandel und sakrale Bauten / Unterhaltung / Museen / Sportstätten) wurden die Energiebedarfskurven aller Gebäudearten abgebildet und die iterative Designentwicklung der Gebäude ermöglicht.

Thermisch-dynamische Simulationen

Für die Auslegung der erneuerbaren Energiesysteme, der Infrastruktur und der Speichersysteme müssen die zeitabhängigen Lastkurven aller relevanter Verbrauchsströme der Stadt in den einzelnen Entwicklungsphasen bekannt sein. Eine wesentliche Unbekannte sind die Bedarfskurven der unterschiedlichen Gebäudearten. Allein der Energiebedarf der Gebäude macht bereits ohne die industriellen Produktionsstätten über 40 % des Gesamtenergiebedarfs der Stadt aus. Mithilfe des thermisch-dynamischen Simulationstools «TRNSYS» wurden für jedes Gebäudemodell, das eine der acht unterschiedlichen Gebäudenutzungsarten repräsentiert, nutzungsspezifische Gebäudelastkurven generiert. Der Gesamtenergiebedarf der Stadt setzt sich aus den Gebäudelasten und den Bedarfskurven der städtischen Infrastruktur zusammen. Alle wesentlichen Verbraucher waren in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen – etwa die innerstädtische Medienverteilung, die Abfallbehandlung, die Strassenbeleuchtung, Verkehr und Transport, die Meerwasserentsalzung, die Abwasserbehandlung, Telekommunikation und IT sowie Verteilungsverluste.

Gekoppelte Simulationsstudien auf Verbraucherseite und auf Erzeugerseite, beides unter Berücksichtigung der auf die Jahresstunden aufgelösten Klimadaten für Sonneneinstrahlung, Luftfeuchtigkeit, Aussentemperatur und Windgeschwindigkeit, führen zu detaillierten Kennziffern. Diese Studien ermöglichten schon in einer frühen Planungsphase ein belastbares Design des Energieverbrauchers «Gesamtstadt» und der darauf abzustimmenden Energieerzeugersysteme (Abb. 6). Im Verlauf der Simulationsstudien war durch Anpassung und Optimierung der Gebäude und der technischen Systeme festzulegen, welche Strategien zum Ziel der Bedarfsreduktion um 80 % führen. Mit diesen Informationen liessen sich die für die weitere Detailplanung relevanten Ausführungsrichtlinien aller Passivstrategien an den Gebäuden und aller Effizienzstrategien an den technischen Anlagen ableiten.

Untersuchung der City-Ventilation und des Auss enkomforts In dieser Klimaregion bestimmt der Aussenkomfort massgeblich die Art des Fortbewegungsmittels. Eine deutliche Reduktion des Individualverkehrs setzt jedoch neben kurzen Wegen auch die Bereitschaft der Stadtbewohnerinnen voraus, zu Fuss zu gehen. Um dies zu erreichen, müssen innerstädtische Hitzeinseln vermieden und der vom arabischen Golf kommende heiss-feuchte Nordwestwind von den verschatteten, natürlich gekühlten Strassen und Plätzen der Stadt ferngehalten werden, ebenso die aus dem Süden kommenden Sandstürme. Die auf den Dächern absorbierte Hitze muss abgeführt werden, dafür soll der kühlere Nachtwind aus dem Landesinnern die Stadt abkühlen.

Umfangreiche Simulationsstudien unter Einsatz des Strömungssimulationstools «FLUENT», gekoppelt mit dem thermisch-dynamischen Simulationsprogramm «TRNSYS», erlaubten nach einer Quantifizierung des heutigen Istzustandes der «modernen» Städte am Golf den Aussenkomfort von Masdar zu verbessern. Basierend auf diesen Studien wurden die Orientierung der Hauptachsen der Stadt festgelegt, die maximalen Strassenbreiten und -längen bestimmt sowie die Verschattungsstrategien der Plätze und Innenhöfe optimiert. Flankiert wurden die Strömungsstudien von messtechnischen Untersuchungen. So war mithilfe eines Stadtmodells im Grenzschichtwindkanal trotz den massiven Stadtmauern und der hohen Bebauungsdichte eine ausreichende Stadtbelüftung durch Tracergas nachweisbar (Abb. 1–5).

Tageslicht über die Innenhöfe

In den Untersuchungen zum Aussenkomfort erwies sich ein möglichst grosses Verhältnis von Gebäudehöhe zu Strassenbreite als vorteilhaft, um eine maximale Verschattung der Aufenthaltsbereiche in den Strassen zu erhalten. Doch wie ist unter diesen Umständen eine Tageslichtversorgung von idealerweise 80–90 % der Tageszeit insbesondere der unteren Geschosse zu gewährleisten? Tageslicht ist in Verbindung mit hochselektiven Fassadengläsern immer noch die effizienteste und komfortabelste Art, Innenräume zu belichten. Eine hohe Tageslichtautonomie bedeutet deshalb im Idealfall auch eine reduzierte Kühllast im Gebäude. Zudem minimiert eine hohe Tageslichtautonomie den Betrieb von Kunstlicht. Mittels Tageslichtanalyse konnte schnell gezeigt werden, dass eine ausreichende natürliche Belichtung der unteren Geschosse bei diesen Strassenbreiten nicht möglich ist. Als Alternative bot sich die Möglichkeit, die Gebäude über die Innenhöfe natürlich zu belichten. Da jeder Innenhof einem Gebäude zugeordnet ist, wird eine adaptive Verschattung über motorische Sonnenschutzsysteme möglich. Wichtig ist eine Öffnung des Sonnenschutzes bei bedecktem Himmel und in den Nachtstunden, um eine radiative Auskühlung der Gebäude zu unterstützen. Als Zielwert wurde ein mittlerer Tageslichtquotient[4] von 2.7 % definiert, der auch im untersten Geschoss auf allen Hauptnutzflächen zu gewährleisten war. Aus den insgesamt 840 Simulationen leitete Transsolar wichtige Designparameter zum Innenhof und zum Fassadenaufbau ab, und die Ergebnisse konnten in einem weiteren Schritt auch in thermische Simulationen einfliessen.

Vision und Realität

Masdar-City soll in nur 15 Jahren fertig gebaut werden. Ein ehrgeiziger Fahrplan angesichts der technologischen, städtebaulichen und gesellschaftlichen Herausforderung. Im Kontext der weltweiten Wirtschaftskrise hörte und las man bezüglich Masdar von «Baustopp» und «kleineren Lösungen». Die Ideen sollen auf ihre finanzielle Machbarkeit überprüft werden. Das zeigt, dass auch in dieser Region die Geldquellen nicht mehr ungehindert sprudeln. Entwicklungen dieser Dimension benötigen auch hier einen realistischen Rahmen. Es braucht eben seine Zeit, die nötigen Erfahrungen zu sammeln für erste Antworten auf die Frage, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte.


Anmerkungen:
[01] Vergleich zur Schweiz aus dem Jahre 2005: 8.6 t CO2-Äquivalent pro Person
[02] www.masdar.ae
[03] Dieser Ansatz steht im Einklang mit der an der ETH Zürich entwickelten Strategie der 2000-Watt- Gesellschaft: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ETHZ – Energie, Umwelt und die 2000-Watt-Gesellschaft. Siehe auch SIA-Effizienzpfad Energie; Merkblatt 2040
[04] Der Tageslichtquotient beschreibt bei ideal bedecktem Himmel das Verhältnis aus Innenbeleuchtungsstärke zu Aussenbeleuchtungsstärke. Für den Standort Abu Dhabi ergibt sich bei einem Quotienten von 2.7 % eine Tageslichtautonomie von über 80 %

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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