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TEC21 2010|33-34
Auf Herz und Nieren
TEC21 2010|33-34
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Störungsfrei prüfen

Mit zerstörungsfreien Prüfverfahren können aufwendige zerstörende Untersuchungen an Bauwerken vermieden werden, was die Akzeptanz von Bauwerksuntersuchungen erhöht. Dies ist wichtig in Anbetracht der Tatsache, dass viele Bestandsbauten immer noch ohne jede sachkundige Zustandsuntersuchung «modernisiert» werden.[1] Auch bei künftig häufiger durchzuführenden regelmässigen Bauwerksüberprüfungen[2] können zerstörungsfreie Untersuchungen zur Anwendung kommen.

13. August 2010 - Peter Bindseil
Dieser Artikel stellt mehrere Prüfverfahren vor. Dabei wird besonders auf Untersuchungen Bezug genommen, die im Rahmen eines Forschungsvorhabens zum Thema Aspekte der Standsicherheit beim Bauen im Bestand an einer ehemaligen Kaserne (Abb. 3) in Pirmasens (D) aus dem Jahre 1938 durchgeführt wurden[3]. Das Gebäude ist etwa 70 m lang, 15 m breit und enthält ein Kellergeschoss, drei Obergeschosse und ein Dachgeschoss. Es wurde im Jahr 1977 geringfügig renoviert und anschliessend von amerikanischen Streitkräften genutzt.

Seit einigen Jahren steht das Gebäude nun leer. Die Wände bestehen aus Mauerwerk, wobei in Längsrichtung parallel zu den Aussenwänden zwei Innenwände als Begrenzung zum zentralen Flur angeordnet sind. Die Untersuchungen betrafen insbesondere die Stahlbetonrippendecken. Neben zerstörenden Prüfungen bis hin zu Traglastversuchen wurden auch zerstörungsarme und zerstörungsfreie Untersuchungsverfahren angewendet, um deren Eignung zur Erkundung der Baustrukturen zu erproben. Die untersuchten Decken bestehen aus Hohlziegeln mit quadratischem Grundriss, die mit durchgehenden Längslöchern in Richtung der Deckenspannrichtung verlegt sind. Zwischen den Ziegeln verbleiben sehr schmale Stege von nur 4 cm Breite, in denen Bewehrungsstäbe mit 20 mm bzw. 22 mm Durchmesser liegen (Abb. 1 und 2). Dies hatte schon bei der Errichtung zu grossen Problemen beim Einbau des Betons geführt. Infolge Entmischung wurden ausgedehnte Bereiche der Stege nur unvollständig ausbetoniert, weshalb die Bewehrung auf grossen Längen frei liegt (Abb. 4).

Prüfverfahren

Die folgenden Abschnitte beschreiben jeweils die Verfahren, mit welchen an der Kaserne die bestehende Bausubstanz analysiert wurde: – Bewehrungssuche: Bewehrungssuchgeräte dienten dem Aufsuchen oberflächennaher Bewehrung und der Ermittlung der für die Korrosion und den Brandschutz wichtigen Betondeckung. Sie beruhen auf elektromagnetischen Verfahren (in der Regel Wirbelstrommessungen). Abb. 7 und 8 zeigen exemplarische Messergebnisse. Im Fall der Rippendecke, bei der die Struktur der Decke massgeblich durch die Lage der Rippen und der darin verlegten Bewehrung bestimmt wird, gab die zerstörungsfreie Untersuchung der Bewehrung zusätzlich auch Auskunft über die Deckenstruktur. Die Messungen zeigen neben der Lage der Bewehrung auch deren Richtung und damit bereichsweise geänderte Spannrichtungen der Rippen an.

– Boreskop (Bauendoskop): Für die punktuelle Erkundung unbekannter Deckenaufbauten wird vorteilhaft ein Boreskop eingesetzt (Abb. 6). Es gestattet die Inspektion von Hohlräumen bei minimalem Eingriff ins Bauteil (Bohrungen ? Ø 12 mm). Für die periodische Inspektion von Fassadenverankerungen sind Boreskope besonders geeignet.

– Radar: Die Untersuchung der Rippendecken hat bestätigt, dass bei Altbauten immer wieder Unregelmässigkeiten in der Baustruktur auftreten. Lokale Untersuchungen allein reichen nicht aus, vielmehr sollten grossflächige Bereiche mit geeigneten zerstörungsfreien Verfahren auf Übereinstimmung mit bzw. Abweichungen von den lokal ermittelten Strukturen überprüft werden. Die Messung selbst ist relativ einfach durchführbar. Die Interpretation der Messbilder braucht allerdings viel Erfahrung. Bei Strukturänderungen (Lage und Richtung von Hohlräumen, Dickenänderungen der Decken und Ähnliches) können mit Vorteil Radaruntersuchungen (Abb. 15) eingesetzt werden. Auf diese Weise wurde rechtzeitig in einem für Traglastversuche vorgesehenen Deckenbereich ein äusserlich nicht erkennbarer Unterzug gefunden. Als Folge dieser Entdeckung mussten zwei Prüffelder in andere Deckenbereiche verschoben werden.

– Schallemission: In Bestandsbauten werden oft Belastungsversuche durchgeführt. Dabei treten im Beton Risse auf, deren Detektierung mit Schallemissionsmessungen (Abb. 9) die sonstigen Standardmessungen sinnvoll ergänzt. Die Messung von Schallemissionen gehört zu den sogenannten passiven Messverfahren: Das Bauteil selbst erzeugt das Signal. Dieses wird erfasst und hinsichtlich Entstehungsort und anderer Eigenschaften wie Intensität ausgewertet.

– Barkhausenrauschmessungen (BHR): Hierbei handelt es sich um induktive Messungen eines rauschartigen Signals. Dieses entsteht bei Einwirkung eines Magnetfeldes auf einen ferromagnetischen Werkstoff. Das Signal ändert sich u. a. mit der elastischen Spannung im Werkstoff. So können im Bauteil vorhandene mechanische Spannungen in Oberflächennähe gemessen werden.[4] Die Messungen wurden an der frei liegenden Bewehrung eines Deckenstreifens vor und während der Versuchsbelastung durchgeführt.[5] Die Untersuchun gen wurden neben einem Dehnungsmessstreifen (DMS) vorgenommen. Abb. 12 zeigt einen Vergleich der Ergebnisse nach Abzug der Vordehnung: Die Übereinstimmung ist relativ gut. Das Verfahren soll weiter entwickelt werden.

– Schwingungsanalysen: An der Leibniz Universität Hannover läuft ein Forschungsvorhaben zur Erkundung von Geschossdecken mittels Schwingungsuntersuchungen. Im Rahmen dieses Vorhabens wurden drei Rippendecken der Kaserne mit unterschiedlicher Struktur und Vorbelastung untersucht.[7,8] Beim Aufbringen einer Impulsbelastung durch einen aufprallenden Sandsack konnte die ers te und die zweite Eigenfrequenz ermittelt werden. Abb. 16 gibt die Lage der Impulsbelas tung und der Geschwindigkeitsaufnehmer für die Ermittlung der ersten Eigenfrequenz an. Abb. 10 und 11 zeigen die Antworten in Deckenmitte. Die Auswertung der Antworten aller drei Decken streifen bezüglich der ersten Eigenfrequenz ist in Abb. 17 zusammengestellt. Die Zahlenwerte sind deutlich unterschiedlich und gestatten Rückschlüsse auf die mechanischen Eigenschaften der Decken. Die Ermittlung der Eigenfrequenzen mittels Sandsackbelastung ist eine relativ einfache Methode, die die vergleichende Untersuchung zahlreicher Deckenfelder in kurzer Zeit ermöglicht. Auch dies kann dazu beitragen, Bauteilöffnungen auf ein Minimum zu beschränken.

– Potenzialdifferenzmessungen: Diese Messungen dienen der zerstörungsfreien Ermittlung von äusserlich noch nicht erkennbarer Korrosion des Betonstahls unter der Betonoberfläche. Dabei wird ausgenutzt, dass bei aktiver Korrosion Elektronen- und Ionenwanderungen im Stahl und im feuchten Beton stattfi nden. Es entstehen Potenzialdifferenzen zwischen der Betonoberfläche und dem Stahl. Diese Differenzen sind im Bereich von Korrosion negativ und betragsmässig auffällig gross. Sie können mit geeigneten Elektroden (Abb. 13) gemessen und flächig dargestellt werden (Abb. 14). Die Bewertung der Messergebnisse kann nach der Norm SIA 2006 vorgenommen werden. Die Messung wird z. B. bei Aussenbauteilen wie Fassaden mit ausreichend feuchtem Beton eingesetzt.

Anwendung erwünscht

Beim Bauen im Bestand wird die möglichst schonende, also weitgehend zerstörungsfreie Untersuchung zur Zustandserkundung und zur Schadensfeststellung immer wichtiger. Hierbei kommen je nach Komplexität des Bauwerks von den einfachen Standardverfahren bis hin zu anspruchsvollen Messtechniken alle Verfahren in Frage, die geeignet sind, die Akzeptanz von Zustandsuntersuchungen vor Beginn einer Umbauplanung und die Akzeptanz von künftigen Wiederholungsprüfungen zu erhöhen.3 Dieser Beitrag soll dazu ermutigen, auch solche zerstörungsfreien Prüfverfahren, die in der normalen Baupraxis noch weitgehend unbekannt sind oder als teuer und aufwendig angesehen werden, vermehrt anzuwenden. Die Kombination unterschiedlicher Prüfverfahren kann dazu beitragen, die Erkenntnisse über ein Bauwerk weiter zu vertiefen und abzusichern.


Anmerkungen:
[01] P. Bindseil: Zustandsuntersuchungen, Bauschäden und Instandsetzen beim Bauen im Bestand. Vortragsreihe Weiterbildung für Tragwerksplaner, TU Kaiserslautern 11.03.09 und TU Darmstadt 18.03.09
[02] VDI-Richtlinie 6200: Standsicherheit von Bauwerken, regelmässige Überprüfung, Febr. 2010
[03] P. Bindseil: Zerstörungsfreie Prüfungen beim Bauen im Bestand am Beispiel einer alten Deckenkonstruktion. Vortrag zur DGZfP-Fachtagung an der Bundesanstalt für Materialprüfung, Berlin 2010
[04] J. Ackermann: Kurzbericht, Spannungsmessungen an freiliegenden Bewehrungsstäben. 11.02.09 (Barkhausenrauschmessungen), ag engineering, Darmstadt
[05] M. Krüger: Untersuchungsbericht: Begleitende Messungen während zweier Belastungsversuche. Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart 13.01.2009
[06] B. Ebsen, C. Flohrer: Projekt EXTRABEST. Untersuchung der Deckenkonstruktion, Pirmasens, Hochtief Materials, 2009
[07] P. Bindseil, J. Schnell: Sachstandsbericht zum F E Vorhaben «Probleme der Standsicherheit beim Bauen im Bestand». FH und TU Kaiserslautern, Nov. 2009
[08] A. K. Zerbst: Bericht über die dynamischen Messungen von Stahlbetonrippendecken in einem Kasernengebäude in Pirmasens, 02.–03.03.2009; Institut für Statik und Dynamik ISD, Leibniz Universität Hannover

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