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TEC21 2011|15
Normiert und präzisiert
TEC21 2011|15
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Investition in Sicherheit

Gefühlte und objektive Sicherheit liegen oft weit auseinander. Auch im Bauwesen sollte die objektive Sicherheit so hoch wie vernünftigerweise möglich sein. Risiken sind dabei auf ein gesellschaftlich akzeptiertes Mass zu beschränken, unsinnig riskante Sparübungen hingegen zu vermeiden.

8. April 2011 - Roland Bärtschi
Menschen streben meist möglichst viel Sicherheit an. Dabei wird jedoch nicht unbedingt die wissenschaftlich fundierte, objektive Sicherheit, sondern die emotional gewichtete Sicherheit beachtet. So haben viele Menschen im Flugzeug Angst, fühlen sich aber hinter dem Steuer sicher. Objektiv gesehen müsste es umgekehrt sein. Subjektive und objektive Sicherheit können also sehr stark voneinander abweichen. Unsere Bauwerke beispielsweise sind sehr sicher, aber nicht absolut sicher. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Mit steigendem Aufwand können Risiken zwar reduziert, aber nie ganz eliminiert werden. Wie hoch das Sicherheitsbedürfnis in einer Gesellschaft ist, hängt stark von den kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Zwar ist ein Menschenleben in unserer Kultur unermesslich viel Wert, aber es stehen nicht unbegrenzte Mittel bereit, um Menschenleben zu schützen. Die heutigen Normen bieten einfache Regeln, die das von Bauwerken ausgehende Risiko auf ein gesellschaftlich akzeptables Mass beschränken sollen. Dabei sind aber grosse Unterschiede in den verschiedenen Aspekten von Bauwerken festzustellen. So werden Risiken, die von Elektroinstallationen ausgehen, ganz anders bewertet als Risiken infolge von Brand oder statische Risiken.

Bei den klassischen Tragwerksnormen werden die Einwirkungen mit Lastfaktoren versehen und die Tragwiderstände mit Widerstandsbeiwerten abgemindert. Mit erhöhten Lasten und reduzierten Widerständen wird dann der Nachweis geführt, der eindeutig zeigt, dass «es hält» oder eben nicht. In vielen Fällen, insbesondere bei der Erhaltung von Bauwerken, ist diese Methode aber kaum brauchbar. Hier empfiehlt es sich, die vorhandene Sicherheit mit der durch die Normen geforderten zu vergleichen und daraus abzuschätzen, wie dringend eine Massnahme ist. Der SIA hat mit dem Merkblatt SIA 2018 eine solche Risikoabschätzung für die Erdbebensicherheit bestehender Bauwerke dokumentiert. Hierzu wurde auf Grundlage von Artikel 58 des Obligationenrechts die Verhältnismässigkeit von Massnahmen zur Verbesserung der Erdbebensicherheit beurteilt. Als Kriterium wurde die auch beim Bau der Zürcher S-Bahn angewandte Regel verwendet, wonach eine Massnahme ergriffen werden soll, falls pro 10 Mio. Franken Investition statistisch gesehen mindestens ein Menschenleben gerettet werden kann. Heute bieten spezialisierte Ingenieurbüros auch für weitere Themenbereiche ein «Risk Based Design» an, bei dem probabilistische statt klassischer Nachweise geführt werden.

Unsichere Bauwerke?

Bei statischen Bewertungen von bestehenden Bauwerken zeigt sich oft, dass ein beträchtlicher Anteil nicht die Normsicherheiten aufweist. So erfüllen z. B. nur etwa 1⁄3 der untersuchten Einstellhallen die heutigen Normen. Einzelne weisen weniger als 50 % des von den heutigen Normen geforderten Tragwiderstands auf. Bei der Ermittlung der Erdbebensicherheit von Gebäuden sind gar Erfüllungsgrade von unter 10 % nicht selten. Das durchschnittliche Wohnhaus liegt im Bereich zwischen 30 und 50 % des Erfüllungsgrades.1 Bei Neubauten werden wirtschaftliche Aspekte stark in Betracht gezogen. Nebst der sinnvollen Suche nach günstigen Lösungen sind leider auch «Optimierungsmassnahmen» häufig, die die Sicherheit stark vermindern können. Wenn sich Ingenieure zu einer um einige Franken günstigeren Durchstanzlösung drängen lassen, kann der Bauherrschaft durch die reduzierte Robustheit ein erheblich höheres Risiko entstehen. Bei der Erhaltung solcher Bauwerke wird dann deutlich, dass durch Zusatzinvestitionen von wenigen hundert Franken beim Neubau spätere Sanierungskosten von mehreren hunderttausend Franken hätten vermieden werden können. Solche kurzsichtigen Fehlentscheide müssen in Zukunft weitsichtigeren Lebenszyklusbetrachtungen weichen.

Sicherheitsorientiertes Portfoliomanagement

Institutionelle Bauherren sehen sich angesichts veränderter Randbedingungen und begrenzter Unterhaltsbudgets grossen Herausforderungen im Portfoliomanagement gegenüber. Gängig sind etwa periodische Arbeiten an Gebäudehülle und Haustechnik oder Abdichtungsarbeiten und Korrosionsbehandlungen. Als Folge von neueren Erkenntnissen, die erst teilweise in die aktuellen Tragwerksnormen eingeflossen sind, müssen auch statische Gesichtspunkte vermehrt berücksichtigt werden. Daher suchen institutionelle Eigentümer nach Möglichkeiten, bereits in einem früheren Untersuchungsstadium unnötige Investitionen zu vermeiden und die verfügbaren Mittel gezielt auf besonders risikobehaftete Objekte im Portfolio zu lenken. Aufgeschlossene Eigentümer führen bereits heute Triagelisten, auf denen die Objekte nach statischem Risikopotenzial sortiert sind. Solche Listen können mit Aufwendungen von wenigen hundert Franken pro Objekt erstellt werden und helfen bei der sicherheitsorientierten Investitionsplanung.

Die jüngsten Ereignisse in Neuseeland und Japan weisen darauf hin, dass sich Art und Ausmass gesellschaftlich akzeptierter Risiken und die zur Gewährleistung der geforderten Sicherheit nötigen Vorkehrungen verändern können. Wissenschafter und Ingenieure sind gefragt, aufgrund von rationalen Sicherheitsüberlegungen zur Sicherheit beizutragen. Eigentümer und letztlich die Gesellschaft tragen die von Bauwerken ausgehenden Risiken. Diese Verantwortung sollte sich vermehrt auch in der guten Ausbildung und sorgfältigen Auswahl geeigneter Planer und in sicherheitsorientiertem Portfoliomanagement niederschlagen. Nur mit gemeinsamen, vorbehaltlosen Anstrengungen können Risiken soweit möglich reduziert werden.
Roland Bärtschi, Dr. sc. techn., dipl. Bauing. ETH/SIA/USIC, Urech Bärtschi Maurer Consulting AG, Ehrendingen

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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