Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 05|2011
Respekt und Perspektive
db deutsche bauzeitung 05|2011

Sensibel, ohne Samthandschuhe

Finanzamt in Zwickau

Bei der Umnutzung des Gebäudeensembles der ehemaligen Ingenieurschule in Zwickau zum Sitz des Finanzamts kam nahezu das gesamte Spektrum von Maßnahmen zum Einsatz, das beim Bauen im Bestand möglich ist – vom Teilabriss über Restaurierung und Umbau bis hin zur Erweiterung. Das Zusammenspiel dieser Eingriffe in die Substanz, von dezent bis entschlossen, überzeugt.

4. Mai 2011 - Arnold Bartetzky
Vor der Umnutzung zeigten sich die nördlich des Stadtkerns gelegenen, seit dem Auszug der Westsächsischen Hochschule im Jahr 2004 leer stehenden Bauten, als ein heterogenes Ensemble, in dem Glanz und Elend dicht beieinanderlagen. Das 1902/03 von Paul Dreßler errichtete, in kaiserzeitlicher Pracht schwelgende Hauptgebäude an der Lessingstraße war in weiten Teilen gut erhalten, aber durch plumpe An- und Aufbauten der DDR-Zeit entstellt. Eine sensible Restaurierung verlangte auch der nördlich andockende Ostflügel von 1927, der trotz zaghafter Anklänge an eine moderate Moderne ebenfalls noch in der Tradition des Späthistorismus' steht. An ihn schlossen sich zwei recht karge Erweiterungsbauten der 50er Jahre an, die den Ostflügel zusammen mit einem hofseitigen, flachen Anbau nach Norden verlängerten. Auch wenn sie nicht gerade von hohen baukünstlerischen Ambitionen zeugten, waren sie allein schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und Ressourcenschonung zumindest im Kern erhaltenswert. Hinzu kam einiges an »Architekturmüll«, etwa die über das Gelände verstreuten Baracken.

Ungeachtet dieses z. T. abschreckenden Erscheinungsbilds erkannte die Oberfinanzdirektion Chemnitz in dem Areal einen geeigneten Standort für die Zusammenlegung der früheren Finanzämter Zwickau Stadt und Zwickau Land. Ein Neubau außerhalb der Innenstadt wäre sicher billiger gewesen; für das verlassene Hochschulgelände sprachen aber dessen zentrale Lage und gute Verkehrsanbindung. Eine wichtige Rolle spielte auch der Wunsch nach einer langfristigen Nutzungsperspektive für die von Verfall und früher oder später auch von Abriss bedrohten Bauten. Die Standortwahl ist damit ein Beispiel für baukulturelles Verantwortungsbewusstsein eines öffentlichen Bauherrn.

Den Auftrag für Sanierung, Umbau und Erweiterung des Ensembles erhielt im Ergebnis eines VOF-Verfahrens das Leipziger Büro Knoche Architekten, das sich mit Neumann Architekten aus Plauen zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschloss. Auf Bauherrenseite wurde das Ende 2010 nach fast fünfjähriger Planungs- und Bauzeit abgeschlossene Großprojekt durch den Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien und Baumanagement betreut.

Weiterbauen am Denkmal

Die beiden denkmalgeschützten Altbauten behandelten die Architekten mit großem Respekt und Hingabe an das Detail, aber auch mit Mut zum Weiterbauen. Sie befreiten sie von den verunstaltenden Anbauten, restaurierten, was sich restaurieren ließ, wagten hie und da aber auch, mit Zustimmung der Denkmalpflege, behutsame Eingriffe. Die durch eine Kuppel in der Mittelachse und stark vortretende Eckrisalite akzentuierte, dem Süden zugewandte Schaufassade des palastartigen Hauptgebäudes zeigt sich wieder so hoheitsvoll wie in wilhelminischer Zeit. Um den in der Mitte situierten Haupteingang samt dahinter aufsteigender Prachttreppe nicht durch raumverschlingende Rampen seiner einladenden Gestik zu berauben, verzichteten die Architekten an dieser Stelle auf Behindertengerechtigkeit. Stattdessen schufen sie einen barrierefreien Nebeneingang durch Aufweitung einer bestehenden Türöffnung und Einbau eines Aufzugs auf der Westseite des Gebäudes.

Die alten, morschen Kastenfenster aus Holz wurden durch neue ersetzt, die an der Außenhülle die Kleinteiligkeit und feine Profilierung ihrer Vorgänger wieder aufnehmen, dank moderner und robuster Innenseiten aber auch für Schallschutz, Einbruchssicherheit und Energieersparnis sorgen. Über den zwei Hauptgeschossen wurde das DDR-zeitliche, brachial aufgesetzte Dachgeschoss durch ein neues ersetzt, das sich mit seiner Schieferverkleidung in die historische Dachlandschaft einfügt, zugleich aber, etwa durch das hofseitige Fensterband, als Zutat der Gegenwart zu erkennen gibt.

Eine sterilisierende Überrestaurierung, wie sie so vielen Altbauten ihren Charme austreibt, blieb dem Hauptgebäude ebenso wie dem Ostflügel erspart. Dank bewusster Zurückhaltung bei der Reinigung des Sandsteins behielten v. a. die einen Großteil der Front einnehmenden wuchtigen Bossenquader Patina und Gebrauchsspuren. Ebensoviel Mühe und Umsicht die Architekten bei der Erhaltung von Substanz und Denkmalwirkung des Bestands verwandten, so sehr entschieden sie sich meist gegen rekonstruktives Ergänzen. Wo der Bestand zerstört war, suchten sie ihn nicht nachzuahmen, sondern ersetzten ihn durch unübersehbar zeitgenössische Formen. Ein Beispiel dafür ist die Neugestaltung des durch einen Umbau in der DDR-Zeit lädierten Hofeingangs des Hauptgebäudes, in deren Minimalismus die strenge Handschrift von Knoche Architekten zu erkennen ist. Aber auch ihre Fähigkeit zum Dialog mit dem Bestand: Der neue Rillenputz bietet eine subtile Variation der neben dem Eingang erhaltenen, feinfühlig restaurierten Wellen- und Kellenwurfputze.

Mit derart weitreichender Konservierung wie die beiden Altbauten konnten die nicht denkmalgeschützten Erweiterungsbauten aus der DDR-Zeit nicht rechnen. Doch auch hier bauten die Architekten nicht gegen, sondern mit dem Bestand. Der Kopfbau an der Kolpingstraße und der Verbindungsbau erhielten eine Außendämmung mit mineralischem Putz. Die in Hellgrau und Weiß gehaltenen Fassaden erscheinen nun noch schlichter, die Konturen der kantigen Baukörper noch schärfer als zuvor. An Stelle des abgerissenen hofseitigen Anbaus wurde dem Verbindungsriegel ein viergeschossiger Neubau vorgesetzt. Mit dem äußerst strengen Duktus seiner weißen Putzfassade, die nur durch die leicht unregelmäßige Anordnung der schmalen, hochrechteckigen Fenster belebt wird, steht er im Kontrast zum benachbarten Ostflügel von 1927, zollt diesem aber zugleich Respekt durch Einhaltung der Trauflinie und leichtes Zurücktreten aus der Bauflucht. In der Zusammenschau des gesamten, Alt und Neu kombinierenden Ensembles zeigt sich ein breites Kompetenzspektrum des vorwiegend für öffentliche Auftraggeber arbeitenden Büros Knoche, das in den letzten Jahren sowohl mit einfühlsamen Sanierungen und Umbauten im Bestand als auch mit prägnanten Neubauten hervorgetreten ist.

Einladend, aber auch gewöhnungsbedürftig

Zentraler Anlaufpunkt im Innern des Hauptgebäudes ist die vom Haupt- wie vom behindertengerechten Nebeneingang ebenso schnell erreichbare Informations- und Annahmestelle, in der sich der größte Teil des Publikumsverkehrs abspielt. Um dafür Raum zu schaffen, wurden auf beiden Seiten des hier verlaufenden Korridors die Mauern aufgebrochen. So entstand ein großzügiger Warte- und Beratungsbereich nach Art eines modernen Kundenzentrums, der der ungeliebten Behörde zu einem besseren Image verhelfen dürfte. Gleichzeitig haben die Architekten aber mit Geschick den alten, korridorartigen Raumeindruck gewahrt, indem sie die schlanken Stützen in den Mauerdurchbrüchen so eng stellten, dass sie beim Blick von einem zum anderen Raumende als nahezu geschlossene Fläche erscheinen. Ein Verlust für die Raumwirkung ist dagegen der vorgeschriebene Einbau von Brandschutztüren. Durch Leichtigkeit der Konstruktion und maximale Transparenz betrieben die Architekten hier aber geschickt Schadensbegrenzung.

Zur freundlichen Anmutung der Innenräume tragen die vorwiegend warmtonigen Farben bei, die teils von Originalbefunden abgeleitet sind, teils auf Vorlieben der Architekten beruhen. Strahlen die Wände des Hauptgebäudes in Honiggelb und Orange, so schließt die Farbpalette in den neueren Gebäuden auch Knallgrün und Pink ein. An einigen Stellen des Fußbodens blieb der alte Terrazzoboden erhalten, neu verlegt wurde ein schwarzer Gussasphalt-Terrazzo, der vielleicht nicht ganz so elegant, dafür aber angenehm weich zu begehen ist.

Im Hauptbau erfreuen vielerlei reizvolle, originale Details das Auge. Dazu gehören etwa die Treppen mit mächtigen Steinbalustraden und kunstvoll geschmiedeten, beim Umbau zum Teil ergänzten Geländern, die dem Interieur einen Hauch von Jugendstil verleihen, die Schwingtüren aus Holz mit ihren gekurvten Unterteilungen oder ein sozialistisch-realistisches Steinrelief, das Vertreter der in der Hochschule gelehrten technischen Berufe zeigt. Im ältesten Gebäude befinden sich auch die eigenwilligsten Räume wie die mit einer durchlichteten Tonne gewölbte Kantine in der ehemaligen Aula und das früher nicht begehbare Kuppelinnere, das nun durch eine neue Wendeltreppe zugänglich gemacht wurde. Die zur Entstehungszeit kühne, aber instabile Wölbung beider Räume mit dünnen Stahlbetonschalen wurde mit einer neuartigen Armierung aus Glasfasertextil verstärkt – eine denkmalgerechte Alternative zur entstellenden Stabilisierung mit Aufbeton.

In den jüngeren Gebäuden einschließlich des Neubaus finden sich, von der gelegentlich kühnen Farbgebung abgesehen, keine Extravaganzen. Die Ausstattung der Arbeitsräume ist aber in allen Teilen des Ensembles gleichwertig. Es überwiegen große Büros mit je acht Arbeitsplätzen und separaten Aktenablage- und Rückzugszonen. Schallschutzdecken, schallschluckende, textile Wandbeläge und trittschallgedämmte Fußböden verringern die Lärmbelastung, lichtstreuende Hängelampen, kombiniert mit schlanken Schreibtischleuchten, sorgen für eine angenehme, unaufdringliche Belichtung der Arbeitsplätze. Das »innovative Bürokonzept« der Oberfinanzdirektion »zur Förderung von Kommunikation und Teamarbeit« stößt mit seiner neuen Offenheit nicht nur auf Begeisterung: Die Mitarbeiter sehnen sich mehrheitlich nach den herkömmlichen Zweipersonenbüros zurück. Sollte sich das neue Arbeitsplatzkonzept auch nach Eintreten des Gewöhnungseffekts nicht bewähren, wäre dies mehr als ein Schönheitsfehler. Die Kunden aber sind und bleiben Gewinner des Projekts, das mit seiner Balance zwischen sensiblem Umgang mit Denkmalsubstanz und eigenständigem, aber dialogfähigem Neubau Maßstäbe für das Bauen im Bestand setzt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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