Zeitschrift

TEC21 2011|19-20
Ortsverbunden
TEC21 2011|19-20
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Tresor aus Nagelfluh

2007 gewannen die Luzerner Architekten Lütolf und Scheuner den Wettbewerb für den Neubau der Raiffeisenbank in Küssnacht am Rigi. Ihr Entwurf «Nagelfluh» überzeugte städtebaulich, mit guter Raumorganisation und einem lokalpatriotischen Kniff: Der Projektname weist auf das vorherrschende Gestein der benachbarten Rigi hin und stellt so den Bezug zum Standort her. Die in der Materialisierung der Nagelfluh nachempfundenen, vorfabrizierten Fassadenschwerter sind scharfkantig, glatt – fast geschmeidig – und beeindruckend präzise ausgeführt.

Die Raiffeisenbank ist die drittgrösste Bank der Schweiz. Zur Firmenphilosophie gehören neben der genossenschaftlichen Struktur insbesondere die Kundennähe und die lokale Verankerung, die auch durch die Pflege der Baukultur verwirklicht wird (vgl. Dossier Raiffeisenbank, Beilage zu TEC21 47/2006). 2006 fusionierten die Raiffeisenbanken am Rigi und Arth-Goldau zur Raiffeisenbank am Rigi mit Hauptsitz in Küssnacht. Um dem zusätzlichen Raumbedarf gerecht zu werden, lobte das Unternehmen im Frühling 2007 einen Studienauftrag mit Präqualifikation unter zehn eingeladenen Architekturbüros aus, den die Luzerner Architekten Lütolf und Scheuner für sich entschieden. Ihr Entwurf überzeugte mit der präzisen Reaktion auf die städtebauliche Ausgangslage und mit der intelligenten Umsetzung des Raumprogramms. Ausschlaggebend war aber der örtliche Bezug: Das Motiv für die Materialisierung der Fassade lieferte die Nagelfluh – ein junges Konglomerat aus Sedimentgestein mit gerundeten, farblich unterschiedlichen Gesteinskomponenten, das für die benachbarte Rigi typisch ist (Abb. 12).

Transparent und sicher

Das Grundstück, auf dem die im August 2010 eröffnete Filiale steht, liegt an der Bahnhofstrasse im Zentrum von Küssnacht (Abb. 1). Die Nutzung des Quartiers ist durchmischt, auch für den Neubau war ein Wohnflächenanteil von einem Viertel der Gesamtfläche vorgeschrieben. Die umgebende Bebauung stammt aus den 1960er- bis 1980er-Jahren und zeichnet sich durch eine gewisse Beliebigkeit sowie eine Vielfalt an Formen und Farben aus. Mit seiner nahezu quadratischen Form und der zurückhaltenden Materialisierung bildet der viergeschossige Neubau einen Ruhepol im heterogenen Stadtbild.

Leicht von der Strasse zurückversetzt, befindet sich das Gebäude in einer Linie mit den benachbarten Bauten, die Südwestfassade reagiert mit einer Schräge auf die leichte Krümmung im Strassenverlauf. Eine gedeckte Vorzone führt in den Eingangsbereich im Erdgeschoss. Aufgestellte Kunststeinschwerter mit rechteckigem Querschnitt hüllen das Gebäude bis zum Dach ein. Von der Seite betrachtet, erscheinen sie als Fläche und thematisieren damit ein Kernthema einer Bank: Das Spannungsfeld zwischen Öffnen und Schliessen, zwischen Transparenz und Sicherheit. Unterschiede im Rhythmus der Schwerter betonen die einzelnen Geschosse und die verschiedenen Nutzungen: An der Südwestfassade stehen die Schwerter im Erdgeschoss, wo die Kunden die Bank betreten, im Abstand von 2.54 m; sonst variiert ihr Achsabstand zwischen 0.64 m und 1.27 m (Abb. 1).

Gemeinsame Erschliessung, getrennte Funktionen

Auf das Entrée der Bank mit Bancomat folgt die grosse Kundenhalle. An der Nordostseite des Baus sind Einzelbüros, Besprechungs- und Nebenräume angeordnet, in den beiden Obergeschossen gibt es weitere Büros und ein grosses Besprechungszimmer. Die Erschliessung der Räumlichkeiten erfolgt vom Untergeschoss bis zum 2. Obergeschoss über eine einläufige Treppe. Ein zweigeschossiger Einschnitt in der Nordwestfassade – er gliedert den Kubus zusätzlich (Abb. 1, Abb.13) – bildet einen geschützten Aussenraum für die Mitarbeitenden der Bank. Um diesen Aussenraum herum sind im Dachgeschoss die Räume der Wohnung angeordnet, mit den Zimmern an der Nordostseite des Baus und einem grossen Wohnraum gegen Süden. Die 3.5-Zimmer-Wohnung wird über den gemeinsam mit der Bank genutzten Lift und über ein unauffällig an der Nordostseite des Baus platziertes Treppenhaus erschlossen. Ein an der südöstlichen Ecke des Kubus eingebetteter Patio erweitert den Innenraum – selbst die Vorhangschienen sind in diesen Bereich weitergezogen – um ein Viertel der Wohnfläche. Zwischen den beiden funktionalen Einheiten Bank und Wohnung gibt es keinen Sichtkontakt.

Sorgfältig verhüllt

Die Innenräume der Bank zeichnen sich durch eine Eleganz aus, die wesentlich vom sorgfältigen Einsatz der Materialien erzeugt wird. Die Wände sind komplett mit Nussbaumfurnier belegt, Türen und Einbauschränke verschwinden in der zusammenhängenden Holzoberfläche (Abb.15). Der über 100-jährige Baum, der das Furnier lieferte, stammte aus dem luzernischen Napfgebiet und musste wegen eines Sturms gefällt werden, das Holz wurde versteigert. Das aus dem Stamm produzierte Furnier reichte für eine Fläche von mehr als 1000 m², das überschüssige Material wurde für allfällige Reparaturen und Renovationen eingelagert. Der geschliffene Terrazzoboden enthält den gleichen Schwyzer Kies wie die Fassadenelemente.

Dadurch scheint der optische Übergang von Fassade zu Fussboden, von innen nach aussen, nahtlos (Abb. 11). Aus der Farbpalette der Gesteinskörnung im Terrazzo stammen auch die farblichen Akzente der ansonsten schwarzen Möbel: Die Lederober flächen der Servicemöbel im Erdgeschoss sind ochsenblutrot, die Verdunkelungsvorhänge im Sitzungszimmer dunkelgrün gehalten. Der Hintergrund ist mit weissen Vorhängen vor den Glasfassaden und ebenso gestrichenen Decken schlicht gestaltet, gebäudetechnische Elemente sollten möglichst reduziert oder ganz eliminiert werden. Neben den obligatorischen Rauchmeldern finden sich an den Decken daher lediglich die Beleuchtungskörper, die die Architekten speziell für diesen Bau entwickelt haben. Sie gewährleisten eine ausreichende Beleuchtung, ohne zu blenden, – hinter den minim abgehängten Sichtblenden befinden sich zudem die Zugänge für Zu- und Abluft.

Auch die gesamte tragende Konstruktion des Gebäudes in Massivbauweise ist unsichtbar: Die schlaff armierten Betonwände, die Flachdecken und innen liegenden, schlanken Stahlstützen an den Deckenrändern sind eingekleidet und in das architektonische Raster eingegliedert. Die Stahlstützen beispielsweise – gedrungene, mit einem Brandschutzanstrich versehene Vollstahlprofile – sind in Aluminiumbleche eingefasst. Ob ein solches Aluminiumblech hohl ist oder ein tragendes Element beinhaltet, ist nur noch auf Plänen zu erkennen (Abb. 11). Das Verkleiden des Tragwerks mag verwundern, ästhetisch macht es durchaus Sinn: Die regelmässig angeordneten, identischen «Stützen», die wiederum die Abmessungen und den Rhythmus der äusseren Fassadenschwerter übernehmen, schaffen eine visuelle Ruhe im Inneren.

Präzis und scharfkantig

Den gleichen Ansatz verfolgt die Fassade. Hier schaffen einheitlich dimensionierte und materialisierte Elemente ein ausgewogenes Bild. Der Kräftefluss lässt sich in der Anordnung der Schwerter vermeintlich ablesen, tatsächlich tragen die Fassadenschwerter aber nur ausnahmsweise, wie teilweise im Erdgeschoss. Auch diese bautechnisch verschiedenen Elemente behandelten die Planenden nicht unterschiedlich: Die Nagelfluh ist Vorbild für die Materialisierung der Schwerter aus vorfabriziertem Beton – ob sie tragen oder nicht. Die Fassadenelemente, die einen Querschnitt von 35 × 16 cm und eine maximale Länge von 7.20 m aufweisen, bestehen aus hochfestem Stahlbeton. Dieser wird mit einem gebrauchsfertig vorgemischten Bindemittel auf Portlandzementbasis[1] und mit einer Gesteinskörnung von 0–16 mm hergestellt. Durch Zusätze von Fliessmittel, Entlüfter und Schwindreduktionsmittel werden die Verarbeitungseigenschaften optimiert und ein dichtes Betongefüge erzielt.

Der Wasser/Bindemittel-Wert liegt dabei unter 0.2. Durch die hohe Frühfestigkeit des Betons – der Beton für Küssnacht erreichte am 7. Tag eine Druckfestigkeit von 71.44 N/mm2 – konnten die Elemente bereits nach nur sechs Stunden ausgeschalt und nur einen Tag nach dem Betonieren betonwerksteinmässig bearbeitet werden; eine Zwischenlagerung der Ele- mente entfiel. Wegen seiner geringen Porosität konnten die gegossenen und mit vorfabrizierten Körben schlaff armierten Elemente ohne vorheriges Schlämmen direkt geschliffen werden.

Die Vorfabrikanten schliffen und polierten die Elementoberfläche mit einer eigens für dieses Projekt entwickelten Maschine mit fahrbarem Schleifkopf. Aus architektonischer Sicht war es dabei wichtig, dass die vielfarbigen Rundkiese des 16er-Korns aus der Innerschweiz nicht nur angeschliffen wurden, sondern dass diese auch in genügend grosser Form in Erscheinung traten – wie es bei Nagelfluh der Fall ist. Indem die Vorfabrikanten die Schalung für die Elemente auf jeder Seite etwa 3 bis 4 mm grösser erstellten als das definitive Sollmass und das Übermass anschliessend abschliffen, konnten sie diesen ästhetischen Anspruch erfüllen. Das problematische und bei diesem Beton ausgeprägtere Schwindmass konnte so ebenfalls aufgefangen werden. Entsprechend präzise mussten jedoch die Einlagen in die Schalung versetzt werden.

Der Self Compacting Concrete (SCC) ermöglichte in diesem Fall eine effiziente Vorfabrikation, wodurch sich sein Einsatz rechtfertigte beziehungsweise die Vorfabrikation erst rentabel wurde. Ausserdem lassen sich mit diesem Beton respektive mit seinen Materialeigenschaften unter anderem die scharfen Kanten und die glatte Oberfläche der Schwerter erklären – die Präzision und die Geschmeidigkeit beeindrucken auch aus der Nähe.

Angemessen selbstbewusst

Mit dem Neubau erhält die Raiffeisenbank einen repräsentativen Firmensitz, der sich baulich im heterogenen Umfeld behauptet, ohne den Strassenzug zu dominieren. Die aussergewöhnliche Präzision in Projektierung, Planung und Ausführung – vor allem in der Verwendung des Materials durch die verschiedenen Massstäbe hindurch – sorgt für die starke Präsenz, die der Bau an seinem Standort am Fuss der Rigi entwickelt.


Anmerkung:
[01] Flowstone der Firma Dyckerhoff. Dieses Produkt ist, neben Portlandzementklinker und Sulfatträgern (wie Gips), aus Hüttensand und Quarzmehl zusammengesetzt

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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