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db deutsche bauzeitung 09|2011
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db deutsche bauzeitung 09|2011

Spuren im Schnee

Modegeschäft in Wien

Das neue Corporate Design eines Kitzbüheler Modelabels für Trachten, Ski- und Sportswear »versteckt« die Ladenfront hinter einer großen, weißen Wabenstruktur aus Mineralwerkstoff. Die Auffälligkeit im Stadtbild sowie die haptische Qualität des Materials führen fast zwangsläufig zum Näherkommen und Berühren – und zum Eintreten. Auch das Innere des Geschäfts ist fast vollständig mit Mineralwerkstoff ausgekleidet. Die Architekten bewiesen dabei nicht nur Mut, sondern auch Detailliebe und konstruktive Disziplin.

31. August 2011 - Wojciech Czaja
Die Wiener Ladenzeilen zu ebener Erde sind eine Stadt für sich. Während oben fein behauene Gründerzeitfassaden, barock anmutende Erker und gelegentlich sogar Versatzstücke aus der Belle Epoque in den Straßenraum ragen, regiert unten die beinharte Politik des Konsums. Man geht vorbei an riesigen Glasfassaden, an aufgespannten Kostümen ohne Preisschild, an Großfamilien von Schaufensterpuppen, die adrett gekleidet in Reih und Glied stehen und um Kunden buhlen.

Doch dann die Modeboutique »Sportalm«: Wie eine futuristische Bienenwabe steht plötzlich eine massive, löchrige Scheibe vor dem denkmalgeschützten Haus in der Brandstätte 8-10, nur wenige Schritte vom Stephansplatz entfernt. Während einige Teile blickdicht sind, lassen insgesamt 148 sechseckige Aussparungen einen gefilterten Blick auf die bunten Sportanoraks und österreichischen Dirndl des Kitzbüheler Modeunternehmens zu. Das geheimnisvolle Portal aus der Zukunftswerkstatt macht neugierig und lädt ein näherzutreten.

»Genau das ist der Punkt«, sagt der Wiener Architekt Johannes Baar-Baarenfels. »Die gesamte Erdgeschosszone in der Wiener Innenstadt ist bereits weit aufgerissen. Mit einer einfachen Glasfassade fällt man hier unmöglich auf. Man erzielt keine Aufmerksamkeit, und die Leute laufen im Konsumrausch permanent an einem vorbei. Im Verstecken liegt der Reiz. Daher habe ich mich für diesen Bruch entschieden.«

Es ist ein Bruch mit der Tradition des Wiener Window-Shoppings, gewiss aber kein Bruch mit der eigenen Architektur. Denn Baar-Baarenfels reizt die Architektur seit dem ersten Tag seines Schaffens bis an die Grenzen ihrer materiellen und konstruktiven Machbarkeit aus. Viele Bauherren sind schockiert. Viele begeistert.

Die Fassade des durch und durch weißen Geschäfts besteht aus dem Mineralwerkstoff Corian. Insgesamt wurden vier Schichten miteinander verleimt und anschließend mittels einer CNC-Fräse in diese unverwechselbare Form geschnitten. Die wabenförmige Struktur ist jedoch keineswegs nur eine Frage der Optik. In den schmalen vertikalen und diagonalen Stegen versteckt sich ein rautenförmiges Flächentragwerk aus 6 mm dicken, gekanteten Edelstahlblechen. Die 8,40 x 5,00 m große Fassadenplatte, die ihrer Ausmaße wegen eines Nachts mit einem Sondertransport auf die Baustelle geliefert werden musste, ist damit selbsttragend. Auf zusätzliche Konstruktion konnte verzichtet werden.

Einziges Problem sind die Querkräfte. »Die Honeycomb-Struktur ist zwar selbsttragend, aber noch nicht stabil genug gegen horizontale Einflüsse«, erklärt Baar-Baarenfels. »Im Fall von starken Winden und Erdbeben würde sich die Fassade wie ein plötzlich beanspruchter Tennisschläger durchwölben, und die Glasscheiben würden brutal zerbersten.« Das Statikbüro werkraum wien errechnete eine horizontale Durchbiegung von 270 % gegenüber dem maximal zulässigen Grenzwert. Eine kalkulatorische Katastrophe. Erst durch die geschlossenen Felder, die scheinbar zufällig über die Fläche verteilt sind, konnte die nötige Steifigkeit erzielt werden.

Die sporadische Anordnung der amorph anmutenden Flächen ist dem Architekten nur recht: »Sieht willkürlich aus, ist es aber nicht. Eine wunderbare Genese.« In einer dieser blickdichten Füllungen prangt der Schriftzug des Geschäfts: »Sportalm Kitzbühel«. Die futuristische Schrifttype, seit langer Zeit Teil der Corporate Identity, passt perfekt zur Architektur. Durch die Ausfräsung der Buchstaben ist die Corian-Platte an dieser Stelle deutlich dünner. Untertags fällt der Geschäftsname durch die leichte Schattenwirkung auf, abends, wenn die Hinterleuchtung eingeschaltet ist, durchdringt ein diffuses Glimmen das Material.

Zum Eingang hin wird die Struktur etwas dichter. Wie ein organisches Gebilde zieht sich das Netz zusammen, täuscht dem Betrachter eine Perspektive vor, die es nicht gibt, und leitet den Passanten in dieser angedeuteten Wölbung schließlich zielgenau zum vollverglasten Eingang, in dem sich – in Form einer trapezförmigen Skulptur – ein letztes Mal die Raute wiederfindet. Der Griff liegt gut in der Hand. Es ist ein Spiel mit Nähe und Distanz, mit Einladung und Abweisung, mit Offenheit und Geschlossenheit. Letztlich, das liegt ganz im Sinne des kapitalistischen Gedankens, siegt die Öffnung. Also, hinein ins Geschäft!

Verfestigtes Winterbild

Auch innen dominiert die Farbe Weiß. Zu Füßen liegt ein heller Polyurethan-Boden, an den Wänden wabert abermals Mineralwerkstoff durch den Raum, in diesem Fall jedoch wich das wetter- und frostbeständige Corian dem etwas günstigeren Materialvetter Staron. Als hätte jemand eine intakte weiße Leinwand mit horizontalen Schlitzen massakriert, klafft das aufgeschnittene Material in den Raum, schmiegt sich mal um Mauervorsprünge, klappt sich dann wieder zu einer eleganten, homogenen Ablage auf. Es ist, als stünde man in einem dreidimensionalen Gemälde des italienischen Avantgarde-Künstlers Lucio Fontana.

»Das Bild, das wir von Kitzbühel haben, besteht aus Winter, Hahnenkamm-Rennen und dramatischen Schneewechten an den Hängen«, sagt Baar-Baarenfels in seiner für ihn so typischen konzeptionellen Dramatik. »Die weiß aufgeklappten Borde, aus deren Hintergrund wie ein Stück Erde dunkles Makassa-Holz durchschimmert, könnte man als Interpretation einer solchen Schneewechte auffassen.« Allein, in der Sportalm-Boutique sind die Schneeplatten mit allerlei High-Tech ausgestattet. In den 50 mm dicken Borden ist nicht nur die Hängevorrichtung für die Kleiderhaken integriert, sondern auch eine lineare LED-Leuchte, die direkt auf die Kleidung strahlt und auf diese Weise die Verschattung durch die vorstehenden Ablagefächer wieder neutralisiert. Das ist Disziplin bis ins kleinste Detail.

Hergestellt wurden die Borde aus einzelnen 6 mm dicken Mineralwerkstoff-Platten, die mittels thermischer Einwirkung zu diesen zweiachsig gekrümmten, um 90 ° verdrehten Hyperboloid-Flächen verformt wurden. Teils im Werk, teils vor Ort wurden die einzelnen Elemente miteinander verklebt und anschließend zu einer fugenlosen, samtig anmutenden Fläche verschliffen. Die Länge der Verdrehung ist von Bord zu Bord unterschiedlich. Insgesamt mussten für diesen Vorgang 60 Negativformen produziert werden. Baar-Baarenfels: »Das klingt zwar unwirtschaftlich. Wenn man aber bedenkt, dass die Filiale in Wien ein Prototyp ist und entsprechend oft nachgebaut wird, dann lässt sich so eine Investition wieder in einem anderen Licht betrachten.«

Und tatsächlich: Die ersten Nachfolge-Projekte in Salzburg, München, Düsseldorf, Karlsbad (CZ) und Moskau sind bereits eröffnet. Vor dem minimalistischen Hintergrund der neuen Concept Stores kommt die textile Ware – die Sportalm-Designer greifen gerne zu kräftigen Farben und üppigen Ornamenten – perfekt zur Geltung. Lediglich an Spiegeln, in denen sich die Kundinnen betrachten können, mangelt es im EG. Zu diesem Zweck müssen sie sich ins UG begeben. Der tageslichtlose Raum, der wie eine etwas weniger ambitionierte Kopie des EGs wirkt, birgt weitere Verkaufsflächen sowie drei großzügig bemessene Umkleideräume. Aufgrund der hohen Feuchtigkeit in den Außenmauern des Hauses muss das UG mit einem entsprechend hohen Luftwechsel belüftet werden.

Und was sagen die Verkäuferinnen zu ihrem neuen Geschäft? »Rein optisch ist die Architektur ein Hammer«, meint die Filialleiterin Evelyne Lebensorger. »Das ist eine futuristische Architektursprache, die in einem ganz schön großen Kontrast zu unserer Mode steht. Und es ist wie immer im Leben: Manche Kundinnen sind begeistert, anderen wiederum ist die Gestaltung zu kalt und zu unpersönlich.«

Lediglich an der Funktionalität stößt sich die Verkäuferin: »Das Konzept ist starr und entsprechend unflexibel. Und die Details sind zwar schön, aber man braucht etwas Übung, um die Kleiderhaken im richtigen Winkel aufhängen und entnehmen zu können. Da hat uns der Architekt die Latte ganz schön hoch gehängt.«

Auch in ganz anderer Hinsicht hängt die Latte hoch: Früher befand sich die Sportalm-Filiale im Haus schräg vis-à-vis in der Brandstätte 7-9. Seit dem Umzug ins neue Haus im September 2009 sind die Umsätze um 80 % gestiegen. »Immer wieder wird die Architektur in der Gesellschaft vieler anderer Faktoren als Soft Fact bezeichnet«, sagt Johannes Baar-Baarenfels. »Doch die Boutique Sportalm ist der handfeste Beweis dafür, dass Architektur ein wirtschaftlicher Hard Fact ist. Die Investitionskosten in der Höhe von knapp 1 Mio. Euro haben sich bald wieder amortisiert.« Ein sportliches Projekt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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