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db deutsche bauzeitung 01|2012
Wohnkonzepte
db deutsche bauzeitung 01|2012

Mitgedacht

Wohnbebauung »Blok 128« in Amsterdam-IJburg (NL)

Auf dem Steigereiland, einer Insel des neuen Archipel-Stadtteils IJburg in Amsterdam, steht ein auffällig weißer Wohnblock an der Hauptstraße. Hinter seiner kühlen Fliesenfassade verbirgt sich eine typisch niederländische Verbindung von sozialen Ansprüchen und kommerziellen Interessen; bei der Gestaltung der 71 sozialen Mietwohnungen durften die Bewohner mitreden.

17. Januar 2012 - Anneke Bokern
Die Niederlande waren stets als Land des seriellen Wohnungsbaus bekannt. Groß angelegte staatliche Wohnungsbauprogramme, ein standardisierter Bauprozess und die nahezu ausschließliche Vergabe von Bauland an Wohnungsbaugesellschaften und Projektentwickler, nicht aber an private Bauherren, haben die legendären Neubauviertel auf den Poldern hervorgebracht, in denen jedes Reihenhaus dem anderen gleicht. Lange waren die Niederländer damit zufrieden und protestierten weder gegen ewig gleiche Wohnungstypen noch gegen fehlenden Wiedererkennungswert. Erst im letzten Jahrzehnt ist der Wunsch nach mehr Individualität im Wohnungsbau laut geworden. Den Auftakt bildete die »Scheepstimmermanstraat« im östlichen Hafengebiet von Amsterdam, wo Privatleute Ende der 90er Jahre erstmals Baugrund erwerben und ein Reihenhaus nach Wunsch errichten konnten. Das Beispiel hat Schule gemacht, und v. a. im höheren Preissegment gibt es nun immer mehr private Bauherren und Baugruppen. Im Bereich der sozialen Mietwohnungen ist man gerade dabei, Erfahrungen mit Bewohnerpartizipation sammeln.

Trend zur Individualisierung

Auf dem Steigereiland, der westlichsten Insel des künstlichen Archipels IJburg, finden sich zahlreiche Beispiele für den Trend zur Individualisierung. Als städtebauliches Experimentierfeld ausgewiesen, ist die Insel durchsetzt mit individuellen Reihenhäusern, frei stehenden und sogar schwimmenden Wohnhäusern (s. db 10/2010, S. 18-25) privater Bauherren sowie Baugruppenprojekten aller Größenordnungen. Vor diesem Hintergrund scheint es wenig verwunderlich, dass auch der bislang einzige soziale Wohnblock auf dem Steigereiland auf einem Individualisierungsexperiment basiert. Block 128 beherbergt 71 soziale Mietwohnungen, die aus einem Partizipationsprozess hervorgegangen sind.

Er ist der südlichste von drei U-förmigen Wohnblöcken an der Haupterschließungsachse von IJburg und umarmt, wie seine Nachbarbauten, einen, allerdings nur zweiseitig umschlossenen Innenhof, in dem einige Wohnhäuser privater Bauherren stehen. Im Osten grenzt er an die Hauptstraße, im Norden an den vorgelagerten Pausenhof einer Grundschule und im Süden an das Ufer des IJmeers. Dort befindet sich nur ein seltsam kurzer Seitenflügel, der wie amputiert wirkt, denn auf der anschließenden Brache sollten ursprünglich als Teil des Projekts zehn Eigentumsreihenhäuser am Wasser entstehen, die jedoch vorerst einmal der Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen sind.

Das Bild des Gebäudes wird von seiner ungewöhnlich hellen Fassade und den Balkonen mit hellgrünen Milchglasbrüstungen bestimmt. Aus der Nähe wird deutlich, dass die Fassaden mit glasierten Keramikfliesen in gebrochenem Weiß und mit hellgrauen Sprenkeln bekleidet sind. Alle quadratischen Fenster sind feststehend und haben weiße Fensterrahmen, während die öffenbaren Fenster an dunkelbraunen Rahmen zu erkennen sind. Für etwas Variation sorgen außerdem die Laubengänge auf der Hofseite des nördlichen Gebäuderiegels, wie zufällig verteilte Erker und zwei unterschiedliche Balkonformate. Exponiertheit sind die Niederländer gewohnt – ob ihre ausländischen Mitbewohner allerdings die in dichtem Abstand vor die Fassade gehängten Balkone zum Aufenthalt nutzen werden, wird sich angesichts einer doch recht steifen Brise erst noch zeigen müssen.

Eine Kuriosität findet sich auf der Nordostecke des Blocks: Dort sind große dreieckige Balkone aus dem Gebäudevolumen ausgeschnitten, weil neben dem Bau eine Hochspannungsleitung verläuft, unter der in einem 100 m breiten Sicherheitsstreifen kein Wohnraum, wohl aber Außenraum liegen darf.

Partizipation und Stadterneuerung

Insgesamt macht der Block aufgrund seiner Materialisierung einen recht kühlen Eindruck, und von den unvermeidlichen Parkplätzen im Hof wird einem auch nicht gerade warm ums Herz. Doch dafür ist er klar strukturiert und wirkt im Innern dank der großen Fenster, von denen einige auch die Treppenhäuser mit reichlich Licht versorgen, erstaunlich hell und großzügig. Die Bewohner sind ohnehin glücklich über ihre neuen Wohnungen, denn sie sind größtenteils aus schlecht gedämmten, hellhörigen, heruntergekommenen Nachkriegsbauten in einem Stadterneuerungsgebiet hier herübergezogen.

Hier ist auch der Grund dafür zu suchen, dass Partizipationsmodelle im Sozialen Wohnungsbau in den Niederlanden derzeit immer häufiger von sich reden machen. Im Südosten und im Westen Amsterdams sind große Stadterneuerungsprojekte im Gange, in deren Rahmen Nachkriegsbauten mit sozialen Mietwohnungen generalsaniert oder abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden, um mehr Variation ins Wohnungsangebot zu bringen und finanzkräftigere Bewohner in die Problemviertel zu locken. Wohin aber soll man die bisherigen Mieter umsiedeln, und wie bewegt man sie überhaupt zum Auszug? Im konkreten Fall handelte es sich um einen Komplex mit 312 Sozialwohnungen aus den 50er Jahren im Stadtteil Geuzenveld, die generalsaniert und z. T. zusammengelegt werden sollen. Nach der Renovierung wird die Hälfte der Einheiten als Eigentumswohnungen auf den Markt gebracht, und nur ein Drittel wird noch als Sozialwohnung vermietet. Folglich mussten möglichst viele bisherige Mieter weg. Als Anreiz bot man ihnen die Möglichkeit, den Entwurf ihres neuen Wohnblocks und ihrer Wohnungen zu beeinflussen.

Waschküche statt Whirlpool

Das Einbeziehen der Mieter begann bereits beim Auswahlverfahren. 15 Mieter bildeten eine Kommission, die zwischen zwei Architekturbüros wählen durfte und sich für DP6 aus Delft entschied. Zwar hatte DP6 dank eines früheren Projekts mit Wohnungen für türkische Senioren in Haarlem bereits Erfahrung mit Bewohnerpartizipation, da aber ein Großteil der Kommisionsmitglieder einen Einwanderungshintergrund hat, zog man vorsichtshalber ein Büro für interkulturelles Management hinzu, das Hilfestellung bei Kommunikationsproblemen bieten sollte. Danach wurde die Mieterkommission auf 34 Parteien erweitert, und es folgte ein erster Workshop, bei dem eruiert wurde, welche Mängel die alten Wohnungen aus Sicht der Bewohner hatten und was sie sich von ihrer neuen Wohnung wünschten. Zum Erstaunen der Architekten forderten die Mieter keine Whirlpools oder Dachterrassen, sondern äußerten realistische Wünsche, wie etwa einen separaten Raum für die Waschmaschine.

Auffällig war, dass Niederländer gerne eine offene und Ausländer lieber eine geschlossene Küche haben wollten. Die Fassade wünschte man sich hell und mit viel Glas, und im Hof wollte die Kommission lieber einen Garten mit Grillstelle als einen Spielplatz haben.

Auf Basis dieser Wünsche entwickelten die Architekten 45 Wohnungstypen. Die vorgegebenen Wohnungsgrößen von 70, 80 und 100 m² koppelten sie jeweils an ein Achsmaß und legten die Position der Leitungsschächte fest, damit die anschließende Stapelung im Block – dessen Gestalt im Masterplan festgelegt war – möglich wurde. Letztlich hatten die Bewohner Einfluss auf die Fassadengestaltung, die Einteilung ihrer Wohnungen und auf die Größe des Außenraums. Beim Abstellraum konnten sie entscheiden, ob er (wie in den Niederlanden üblich) komplett in der Wohnung oder zur Hälfte im EG des Blocks liegen sollte. Es gab jedoch auch Bewohnerwünsche, die nicht umgesetzt werden konnten, da die Wohnungen sonst nicht mehr den baurechtlichen Bestimmungen entsprochen hätten: Innerhalb der minimal dimensionierten Sozialwohnungen ist es z. B. kaum möglich, mit Zimmergrößen zu spielen.

Nach dem Vorentwurf durfte jede beteiligte Partei sich einen Wohnungstyp aussuchen und seine Lage im Gebäude bestimmen. Laut den Architekten ging das reibungslos über die Bühne; bei Streitigkeiten hätte der am längsten in Amsterdam gemeldete Bewohner die erste Wahl gehabt. Auch den Landschaftsarchitekten für die Gestaltung des Innenhofs durfte der Bewohnerausschuss zu guter Letzt noch auswählen.

Mehrere Fliegen mit einer Klappe

Dass solch ein Prozess das Gebäude deutlich teurer macht als einen gewöhnlichen Sozialen Wohnungsbau, versteht sich von selbst. Aber im Idealfall schlägt der Auftraggeber damit dennoch mehrere Fliegen mit einer Klappe: Denn einerseits verlassen die Mieter bereitwilliger ihre alten Wohnungen und andererseits entwickeln sie mehr Verantwortungsbewusstsein für ihre neue Wohnumgebung und gehen pfleglicher damit um. Dazu gehört auch, dass durch den Partizipationsprozess im Vorhinein ein Gemeinschaftsgefühl aufkommen kann, das bei anderen Neubauprojekten oft Jahre auf sich warten lässt. Auf lange Sicht ist sicher auch von Vorteil, dass durch die Partizipation eine große Bandbreite an unterschiedlichen Wohnungstypen entsteht, denn gerade in den Stadterneuerungsgebieten von Amsterdam-West ist der monotone Wohnungsvorrat eine Ursache für soziale Probleme.

Ganz zufrieden ist die Wohnungsbaugesellschaft in diesem Fall aber dennoch nicht, da nur 34 von 312 Parteien am Prozess teilhaben wollten. Der Rest ließ sich nicht dazu bewegen, von Amsterdam-West auf das Neuland am anderen Ende der Stadt umzusiedeln.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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