Zeitschrift

TEC21 2012|12
Nachhaltige Quartiere
TEC21 2012|12
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Wärmeversorgung: Potenziale der Quartiere

Die Stadt Zürich hat ein Wärmeversorgungskonzept für das Jahr 2050 erarbeitet. Es stellt für jedes Quartier die Entwicklung des Energiebedarfs der Gebäude dem Angebot an erneuerbaren Energien gegenüber und zeigt, dass die 2000-Watt-Ziele im Gebäudebereich mit forcierten Gebäudeerneuerungen und weitestmöglicher Nutzung erneuerbarer Energien erreichbar sind.

16. März 2012 - Bruno Bébié, Martin Jakob
In der Stadt Zürich werden derzeit pro Kopf rund 5000 W Primärenergie verbraucht und Treibhausgasemissionen von rund 5.5 t verursacht. Rechnet man die – allerdings nur grob quantifizierbare – graue Energie in den Gütern und Dienstleistungen dazu, liegen die beiden Werte noch deutlich höher. Die seit 2008 in der Gemeindeordnung der Stadt Zürich verankerten Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft (vgl. Kasten) sehen vor, den Primärenergieverbrauch langfristig auf 2000 W pro Kopf und den Treibhausgas-Ausstoss bereits bis 2050 auf 1 t CO2 pro Kopf zu reduzieren.

Im Rahmen verschiedener Projekte wurden mittlerweile die Grundlagen für Strategien und Massnahmen zur Umsetzung dieser Ziele erarbeitet. Dazu gehört ein 2000-Watt-kompatibles Wärmeversorgungskonzept für das Jahr 2050.1 Darin wurde im Auftrag der Stadt Zürich unter Einbezug der betroffenen Dienstabteilungen und der städtischen Energieanbieter (Fernwärme Zürich, Elektrizitätswerk der Stadt Zürich [EWZ], Erdgas Zürich AG) räumlich differenziert ermittelt, welche Potenziale für die Wärmeversorgung der Stadt Zürich nutzbar gemacht werden können, und zwar auf der Nachfrage- wie auf der Angebotsseite. Das Konzept zeigt also, in welchen Gebieten der Stadt welche Energieeffizienzmassnahmen, Energieträger und Energiesysteme priorisiert werden sollen. Im Vordergrund standen dabei die gebäudegebundene Wärme- und Stromversorgung – ohne Elektromobilität. Aufseiten des Energieangebots lag der Fokus auf den lokalen Potenzialen für die Wärmeversorgung, weil Wärme im Vergleich zu Strom schlechter transportierbar ist.

Berücksichtigte Einflussfaktoren und Szenarien

Das Projekt berücksichtigt drei Haupteinflussfaktoren: die lokale Verfügbarkeit erneuerbarer Energien, die durch städtebauliche Vorgaben beeinflusste bauliche und räumliche Entwicklung (Energiebezugfläche [EBF] pro ha) sowie die durch Erneuerungsmassnahmen beeinflusste Energieeffizienz (kWh/m2 EBF).

Betrachtet werden dabei verschiedene Szenarien, die sich in ihren Annahmen zu Erneuerungsrate und -tiefe des Gebäudeparks, zur Verbreitung von Wärmeversorgungsverbünden sowie zur Nutzung des Angebots von lokal vorhandenen erneuerbaren Energien unterscheiden (Abb. 1). Das Referenzszenario geht von einer moderaten Entwicklung im Bereich Energieeffizienz und erneuerbare Energien aus, die bis ins Jahr 2010 beschlossene Massnahmen mit berücksichtigt. Das Effizienzszenario, von dem es verschiedene Varianten gibt, setzt hingegen eine deutliche Steigerung in diesen Bereichen voraus. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten des Effizienzszenarios sind eher gering, sodass in der Folge nur noch die Variante a dargestellt wird. In allen Varianten spielen die fossilen Energieträger am Ende der Betrachtungsperiode im Jahr 2050 nur noch eine unterstützende Rolle.

Berücksichtigt wird auch die künftige Dynamik von Bevölkerung und Beschäftigten in der Stadt Zürich, wobei diesbezüglich alle Szenarien gleich behandelt werden.

Unterschiedliche Entwicklung je nach Stadtgebiet

Ein zentrales Element des Projekts ist die räumliche Differenzierung der untersuchten Einflussfaktoren, da sich die Energienachfrage lokal unterschiedlich entwickeln wird und das Angebot an erneuerbaren Wärmequellen sowie die bestehende energetische Infrastruktur je nach Stadtgebiet variieren. Die Entwicklung der Energienachfrage wird von der unterschiedlichen Zunahme der Gebäudeflächen bestimmt, die wiederum von der Ausschöpfung der verschiedenen Ausnutzungsreserven bzw. Verdichtungspotenziale abhängt. Die Entwicklung der Energieeffizienz der Gebäude wird zudem durch die Gebäudealter bestimmt, die unterschiedliche Erneuerungszeitpunkte und Effizienzgewinne zur Folge haben. Städtebauliche, architektonische und denkmalpflegerische Aspekte beeinflussen in den verschiedenen Zonen ebenfalls die Effizienzentwicklung sowie die Rück- und Neubautätigkeit.

Auch das Angebot an erneuerbarer Wärmeenergie ist stark lokal gebunden. Zudem ist bei der Wärme eine unmittelbare räumliche Nähe zwischen Angebot und Nachfrage wichtig. Durch eine räumlich differenzierte Untersuchung kann in den einzelnen Stadtgebieten die mutmassliche künftige lokale Wärmenachfrage mit den Schätzungen zum lokal verfügbaren Angebot an erneuerbarer Wärmeenergie verglichen werden. Um dieses optimal nutzen zu können, ist für die Abdeckung des Bedarfs nach Spitzenenergie ein gewisser, im Vergleich zur heutigen Wärmeversorgung aber massiv reduzierter Anteil fossiler Energien akzeptabel.

Entwicklung der Wärmenachfrage

Die Entwicklung des Energiebedarfs der Gebäude bis 2050 wurde mit dem Gebäudeparkmodell (GPM)4 abgeschätzt. Es basiert auf dem Gebäude- und Wohnungsregister (GWZ) der Stadt Zürich, in dem alle Gebäude auf dem Stadtgebiet in einem geografischen Informationssystem (GIS) erfasst sind. Je nach Gebäudekategorie, Bauperiode, Denkmalschutzvor- gaben und Bauzone wurden die Gebäude in verschiedene Erneuerungstypen mit spezifischen Annahmen zur Erneuerung von Gebäudehülle und Gebäudetechnik eingeteilt. Daraus ergaben sich räumlich differenzierte Erneuerungsmassnahmen und Effizienzgewinne. Der spezifische Energiebedarf wurde mit SIA 380/1 für eine überschaubare Anzahl typisierter Fälle berechnet und dann differenziert auf alle Gebäude hochgerechnet. Zudem wurden die Vorgaben aus dem Regionalen Entwicklungskonzept der Stadt Zürich (RES)2 zu den Potenzialen für bauliche Verdichtungen für jedes Stadtgebiet integriert.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Wärmenachfrage im Effizienzszenario bis 2050 je nach Gebiet zwischen 35 bis 42 % sinkt (Abb. 2), im Referenzszenario nur um 15 bis 27 %. Je nach Gebiet wird die Entwicklung mehr oder weniger stark von den beiden gegenläufigen Faktoren Flächenwachstum und Effizienzentwicklung beeinflusst. In Gebieten mit viel Neubau- und Ersatzneubaupotenzial steigt die Energiebezugsfläche, dafür ist der Energieeffizienzstandard deutlich besser als bei bestehenden Bauten. Umgekehrt bleibt in Gebieten wie dem Stadtkern die Fläche etwa konstant, aber auch Veränderungen an den Bauten sind eingeschränkt, sodass die Einsparungen geringer sind. Darüber hinaus wurden Sensitivitätsrechnungen durchgeführt. Diese ergaben beispielsweise, dass eine stärkere Ausschöpfung der verfügbaren Reserven oder das hypothetische Weglassen von architektonischen, denkmalpflegerischen oder städtebaulichen Einschränkungen die Ergebnisse nicht wesentlich verändern.

Angebot an erneuerbaren Wärmequellen

Die Abschätzung der Angebotspotenziale von erneuerbarer Wärme basiert auf geografisch verorteten Daten zu ihren physischen Potenzialen und den Möglichkeiten für deren tatsächliche Nutzung (Abb. 3). Im Fokus stehen folgende Wärmequellen: Umgebungsluft, untiefe Geothermie, Grundwasser bzw. Oberflächengewässer und Abwasser für Wärmepumpenanwendungen, Solarenergie, Kehricht als Input für die Fernwärme, Holz und andere Biomasse, Biogas sowie tiefe Geothermie als langfristige Option.

Aufgrund der räumlichen Verfügbarkeiten und Einschränkungen für jede dieser Quellen sowie der Einflussfaktoren der Nachfrageentwicklung wurden verschiedene Gebietstypen definiert. Im bestehenden Fernwärmegebiet beispielsweise wird weiterhin von einer Abwärmenutzung der Kehrichtverbrennungsanlage ausgegangen. In Zürich-Altstetten lässt sich die Abwasserreinigungsanlage (ARA) Werdhölzli wärmetechnisch nutzen, und in Seeund Limmatnähe bietet die Nutzung von Seewasser eine gute Basis für Wärmepumpennutzungen im Winter und effiziente Gebäudekühlung im Sommer. Auch der Grundwasserkörper zwischen der Zürcher Innenstadt und Zürich-Altstetten bietet gewisse energetische Potenziale. Voraussetzung für die Nutzung dieser Energiequellen sind neu zu erstellende Energieverbünde wie sie exemplarisch in kleinerem Ausmass in Zürich und auch in anderen Städten geplant sind oder bereits bestehen (z. B. in Genf, Basel, St. Gallen). In weiteren, vornehmlich dezentralen Quartieren wie z. B. Witikon, Zürichberg, Höngg, Affoltern oder Albisrieden haben Erdsonden-Wärmepumpen einen höheren Stellenwert. Es wurde jeweils angenommen, dass der Strombedarf für die Wärmepumpen zunehmend durch erneuerbare Elektrizität gedeckt wird.

2050 dominieren Wärmepumpen und Fernwärme

Vergleicht man nun die Nachfrageszenarien mit den geschätzten Potenzialen der lokal gebundenen Angebote, ergibt sich für 2050 für jede erneuerbare Energiequelle und im Total ein Nutzungsüberschuss oder -defizit pro Teilgebiet. Lokale Defizite werden mit lokal ungebundenen erneuerbaren Energien (v.a. Biogas und feste Biomasse) und geringfügig durch fossile Energieträger, vor allem zur Spitzendeckung, ausgeglichen.

Zu Beginn der Betrachtungsperiode im Jahr 2005 wurde die Wärmenachfrage (Raumheizung und Warmwasser) hauptsächlich durch Erdgas und Erdöl (85 %) und etwas Fernwärme gedeckt. Die beiden fossilen Energieträger werden bis 2050 in allen Szenarien zunehmend von anderen Energieträgern abgelöst (Abb. 5). 2050 wird die bis dann reduzierte Wärmenachfrage im Effizienzszenario nur noch zu rund 5 bis 10 % mit Öl und Erdgas gedeckt, während Wärmepumpen (Strom und Umweltwärme) sowie Fernwärme den höchsten Anteil aufweisen. Die Fernwärme steigt anteilsmässig um einen Drittel, wobei der Absatz absolut etwa konstant bleibt. Der Wärmepumpenanteil vervielfacht sich, allerdings ausgehend von einem tiefen Niveau. Zum Vergleich: im Referenzszenario verringern sich die Anteile der fossilen Brennstoffe ebenfalls, machen aber 2050 immer noch 65 % aus (Gas und Öl).

2000-Watt-ziele in Griffweite

Abbildung 6 zeigt die aus dem Effizienzszenario Variante a resultierende Entwicklung der Nachfrage für erneuerbare, nukleare und fossile Primärenergie sowie die Treibhausgasemissionen bis 2050. Die hier für die Gebäude der Stadt Zürich geschätzte Reduktion des Primärenergieverbrauchs ist mit rund 60 % deutlich grösser als die Schweizer 2000-Watt-Vorgabe für 2050 (–44 %). Dies gilt mit einer Reduktion von 86 % auch für die Treibhausgasemissionen (Schweizer Vorgabe: –77 %). Selbst die verschärfte Reduktionsanforderung der Gemeindeordnung der Stadt Zürich von 82 % liegt im Effizienzszenario in Griffweite. Die zu erwartende Nachfrageverschiebung hin zum Strom wirkt sich bezüglich Treibhausgasemissionen bei der unterstellten Strombeschaffung aus erneuerbaren Quellen5 nicht nachteilig aus.

Ob die Ziele im Gebäudebereich auch dann erreicht werden, wenn die eingangs erwähnten Systemgrenzen weiter gezogen werden, ist künftig noch genauer zu prüfen. Insbesondere stellt sich die Frage, ob Primärenergie und Treibhausgasemissionen in den Bereichen Mobilität (inkl. Infrastruktur) und Erstellung, namentlich bei den für die Zielerreichung erforderlichen baulichen Massnahmen, bis 2050 ebenfalls entsprechend reduziert werden können. Um diese und weitere Fragen in Richtung Umsetzung des Konzepts zu beantworten, sind verschiedene Vertiefungsprojekte bei noch offenen Punkten geplant. So beispielsweise im Bereich der Erdsondenpotenziale bei verdichteter Bauweise oder bei den effektiven Nutzungsmöglichkeiten des Seewassers, für welche im Moment die kantonalen Grundlagen überarbeitet werden. Das Konzept soll ausserdem die Grundlagen liefern für eine später allenfalls zu erstellende GIS-gestützte Informationsplattform zuhanden von Bauherrschaften, Planern und Anbietern von Energiedienstleistungen. Sie könnte die Akteure bei Gebäudeerneuerungen und Neubauten bei der Energieträgerwahl unterstützen und z. B. über verfügbare erneuerbare Energiequellen oder geplante Energieverbünde informieren. Auch die erforderlichen energiepolitischen Massnahmen zur Umsetzung des Konzepts sind in der Folge zu konkretisieren.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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