Zeitschrift

TEC21 2012|13
Gemeinschaft im Alter
TEC21 2012|13
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Gegen die Einsamkeit

Die Zahl älterer Menschen und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung ­steigen – mit den Babyboomern, den geburtenstarken Jahrgängen nach dem Zweiten Weltkrieg, kommt eine Generation in die Nachberufsphase, die sich nicht nur durch ein hohes Einkommen und einen entsprechenden Lebensstandard auszeichnet, sondern in der Regel auch über eine bessere Gesundheit verfügt als noch die Generation ihrer Eltern. Diesen Menschen stellt sich die Frage nach dem künftigen Wohnmodell: Viele wünschen die Einbettung in eine Gemeinschaft, verbunden mit einem gewissen Komfort, der weiterhin ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. TEC21 hat drei aktuelle und unterschiedliche Modelle für selbständiges Wohnen im Alter verglichen.

«Wohnen im Alter» boomt. Unzählige Stiftungen und Genossenschaften bieten heute in der Schweiz ein umfangreiches Angebot für Lebensalter, die oft durch ein « » gekennzeichnet werden. Von «44 » bis «80 » bewerben Slogans unterschiedlichste Wohnkonzepte für ebenso verschiedenartige Menschen und Einkommensverhältnisse. Das Spektrum reicht von Siedlungen mit integriertem Dienstleistungsangebot über Wohnanlagen, die mittels ­kleinerer Grundrisse, schwellenloser Räume und variabel wählbarer Serviceleistungen an die Bedürfnisse der Menschen nach der Familienphase angepasst sind, bis hin zu individuellen Wohnkonzepten, die von den künftigen Bewohnerinnen und Bewohnern auch selbst umgesetzt werden. An den folgenden Beispielen lassen sich drei Kernthemen ablesen: ­Wie viel Komfort wird geboten? Wie ausgeprägt ist die Gemeinschaft? Und: Was kosten die jeweiligen Wohnformen?

Alterswohnen Dufourstrasse, Zürich

Der Standort im Seefeld-Quartier nahe am Zürichsee, inmitten von vier- bis fünfgeschossigen Wohnbauten aus der Gründerzeit, ist eine der schöneren Wohnlagen der Stadt Zürich. Man kann sich vorstellen, wie der achtgeschossige, T-förmige, monolithische Betonbau, den Karl Flatz 1967 entworfen hat, mit seinen nüchternen Fassaden im Quartier auffiel. Der Bau umfasste seinerzeit 83 Kleinwohnungen, vorwiegend Einzimmerwohnungen ohne Bad und Balkon, und spiegelt die damaligen Vorstellungen und Ansprüche von Alterswohnen. Auch gut 40 Jahre später fällt die Alterssiedlung auf: Die einst strenge Sichtbetonfassade ist hinter dem lebhaften Spiel ihrer neuen Hülle verschwunden. Vor die Fassade gehängte ­Balkone mit metallenen Brüstungen prägen mit ihren weissen Sonnenschutzsegeln und gelben Vorhängen das Bild (Abb. 4). Das neue Kleid ist Ergebnis einer grundlegenden Instandsetzung, die mit einem vollständigen Umbau der Wohnungen einherging.

Die Bauherrin, die Stiftung Alterswohnungen der Stadt Zürich (SAW), ist Vermieterin von ­momentan 32 Alterssiedlungen im Stadtgebiet.[1] Ihre Gründung 1950 war eine Antwort auf die sozialen und politischen Entwicklungen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Das rasche Wachstum der Städte führte zu Wohnungsnot vor allem in den unteren sozialen Schichten und bei den älteren Menschen. Die Stiftung bietet in Zürich lebenden Menschen über 60 Jahre vergleichsweise günstigen Wohnraum (vgl. Kasten S. 28), d.h. preiswerte Wohnungen innerhalb der Wohnbauförderung, sofern deren Jahreseinkommen gewisse Grenzen nicht übersteigt – 50600 Fr. für Einzelpersonen, 59700 Fr. für Zweipersonenhaus­halte. Ihre Mieterinnen und Mieter sollen so lange wie möglich selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben können und werden dabei durch ein umfangreiches Dienstleistungsangebot unterstützt.

Um die Alterssiedlung Dufourstrasse an zeitgemässe Bedürfnisse der Bewohner und Bewohnerinnen anzupassen und gleichzeitig dem Auftrag der Stiftung, für Menschen mit niedrigem Einkommen zu bauen, gerecht zu werden, entschied man sich für eine Instandsetzung. Dafür wurde 2007 ein Planerwahlverfahren durchgeführt, in dem die Zürcher Architekten Schneider Studer Primas mit ihrem Konzept für die Neuorganisation der Wohnungen sowie einer sorgfältigen, aber reduzierten Materialisierung innen wie aussen überzeugen konnten. Dabei kam dem Projekt zugute, dass die Bauträgerin Wert auf einen eigenständigen Charakter ihrer Bauten legte. So war es trotz dem begrenzten Budget möglich, die grosszügigen, versetzt angeordneten Balkone zu realisieren. Sie erlauben den Bewohnerinnen und Bewohnern den Kontakt zu den Nachbarn über die Stockwerke hinweg. Während die bewegte ­Fassade die Instandsetzung nach aussen sichtbar macht, entstanden im Inneren durch die Zusammenlegung der alten Wohneinheiten 51 Eineinhalb- bis Dreizimmerwohnungen mit unterschiedlichen Grundrissen, eigenem Bad und Balkon. Die Wohnflächen reichen von 46 m² (eineinhalb Zimmer) bis 70 m² (drei Zimmer). Alle Wohnungen sind über das zentrale Treppenhaus und zum Teil über die dort anschliessenden Laubengänge erschlossen.

Die Besonderheit des Gebäudes, die durch den T-förmigen Grundriss gegebene gute ­Belichtung aller Wohnungen, haben die Architekten für die Neuorganisation der Grundrisse genutzt. Bäder und Küchen sind neu eingebaut, grosszügige Verglasungen öffnen die Wohnungen nach aussen. Auf Flurzonen wurde weitestgehend verzichtet. Das Entrée bildet die Küchen mit einem Essbereich, ein Einbauschrank bietet zusätzliche Stauflächen. Die Bäder sind geräumig und mit schwellenfreien Duschen ausgestattet, die Armaturen sind alters­gerecht angebracht, auf «Behindertenarmaturen» hat man bewusst verzichtet. Neben dem grosszügigen Foyer im Erdgeschoss liegt ein Gemeinschaftsraum mit Küche, der den Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung steht – etwa für Geburtstagsfeiern – und auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt wird. Auf der Eingangsebene liegen zudem das Spitex-Büro und die Sammelstelle des Wäscheservice. Die Dachterrasse im 7. Obergeschoss steht dagegen ausschliesslich den Mieterinnen und Mietern zur Verfügung. Hier befindet sich auch das Wohlfühlbad, ein grosszügiges Badezimmer mit Seeblick-Badewanne. Die bereits vor der Instandsetzung im Erdgeschoss untergebrachte Kinderkrippe ist um die Fläche der ehemaligen Hauswartswohnung vergrössert worden. Sie verfügt über einen eigenen Eingang und Garten – organisierte Interaktion zwischen den Generationen ist nicht vorgesehen. Das Wohnen mit Serviceleistungen bietet Unterstützung und Komfort, geht jedoch über ein nachbarschaftliches Verhältnis der Bewohner untereinander nicht hinaus. Es erlaubt den Mieterinnen und Mietern ganz im Sinn der Stiftung so lange wie möglich das selbständige Wohnen.

Gemeinschaftswohnen «Am Hof Köniz»

2006 lobte die Gemeinde Köniz einen Projekt- und Investorenwettbewerb für ein Grundstück im Dorfzentrum der Gemeinde Köniz aus. In Gehweite zu Bahnhof und Einkaufszentrum und mit Aussicht auf das Könizer Schloss gelegen, sollten auf dem Areal «Alte ­Migros» Wohnungen, insbesondere für Menschen in der ­zweiten Lebenshälfte, entstehen. Den Zuschlag erhielt die Arbeitsgemeinschaft aus Durrer Linggi Architekten, Zürich, und BEM Architekten, Baden, in Zusammenarbeit mit der Walliseller Genossenschaft Zukunftswohnen (vgl. Kasten S. 30). Die 2008 gegründete Genossenschaft entwickelt mit Interessengruppen, Gemeinden und Investoren Wohnangebote für Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Der Fokus liegt dabei auf selbständigem, gemeinschaftlich organisiertem Wohnen – im Gegensatz zum Alleinwohnen oder zum betreuten Wohnen. Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern werden die Regeln des Zusammenlebens entwickelt, die Genossenschaft übernimmt zudem administrative Aufgaben wie die Vermietung der Flächen oder die Koordination mit dem Hauswart. Die Mieter und Mieterinnen sollen sich – auf freiwilliger Basis – in Arbeitsgruppen für die Gemeinschaft engagieren, geschätzt wird ein Beitrag von zwei bis vier Wochenstunden. Betreiberin der Anlage in Köniz ist die eigens gegründete Genossenschaft «Am Hof Köniz», die Genossenschaft «Zukunftswohnen» ist darin ebenfalls vertreten.[3]

Von April 2010 bis Oktober 2011 realisierten die Architekten gemeinsam mit der Bau­unternehmung Losinger Marazzi, die inzwischen auf Druck der Investorin, der Gebäudeversicherung Bern, als ausführende Totalunternehmung zum Projekt gestossen war, einen viergeschossigen Zeilen- und einen fünfgeschossigen Punktbau, die zwischen den Gleisen der viermal stündlich verkehrenden Regionalbahn und der Durchgangsstrasse Richtung Niederwangen platziert sind. Ein Knick im Zeilenbau markiert die zentrale Erschliessung, im Erdgeschoss befindet sich an dieser Stelle der Gemeinschaftsraum der Siedlung. Südostseitig liegt der durch die Gleise und die Neubauten gebildete namensgebende Hof der Anlage, der rautenförmige Punktbau schirmt den Garten vom Strassenlärm ab. Die Erdgeschosse beider Bauten werden öffentlich genutzt, hier befinden sich u.a. ein Coiffeur, ein Kiosk, ein Optiker, ein Claro-Weltladen und eine Dépendance der Spitex.

Beide Bauten gleichen sich in der Fassade, im Wohnungsangebot hingegen unterscheiden sich die Volumen: Während im Zeilenbau in den drei Obergeschossen 33 Ein- bis Dreizimmerwohnungen (42.5–78.5 m²) mit einer Laubengangerschliessung untergebracht sind, befinden sich im fünfgeschossigen Punktbau 16 windmühlenartig um einen Erschliessungskern gruppierte Dreizimmerwohnungen mit einer Fläche von 80–86 m².

Die Wohnungen des Zeilenbaus sind jeweils von zwei Seiten belichtet, über die versetzte Anordnung der eingeschobenen Kerne aus Reduits und Nasszellen ergibt sich in den Haupt­räumen eine Zonierung, die eine Staffelung von den öffentlichen Bereichen am Laubengang (Küchen / Essbereiche) zu den privateren auf der Südostseite erlaubt. Diese Anordnung soll Begegnungen ermöglichen und so die Erschliessungszone aufwerten. Grosszügige, zum Hof orientierte Loggien bieten einen geschützten Aussenraum. Im Inneren weisen lediglich die schwellenlosen Nassräume auf die spezielle Nutzung hin: Statt eines Spiegelschranks über dem Lavabo wurden Schränke eingebaut, die auch für Rollstuhlfahrer benutzbar sind. Ein Badezimmer mit Badewanne (mit Einstieg) kann zusätzlich von allen Mieterinnen und Mietern genutzt werden. Daneben sind gewisse Leistungen wie die Gebäudereinigung und der Unterhalt der gebäudetechnischen Anlagen extern vergeben. Auf der sozialen Ebene begleitet die Verwaltung mit der Genossenschaft «Zukunftswohnen» die Bewohner und Bewohnerinnen mit einem Coaching. Arbeitsgruppen, etwa zur Betreuung einer Bibliothek oder des Gartens, sollen die Bindungen der Mieterinnen und Mieter untereinander stärken. Noch sucht die Genossenschaft «Am Hof» ihre Identität – was neben dem Neubezug vor allem durch das Wegfallen der im Wettbewerb noch vorgesehenen Gemeinschaftsflächen behindert wird. Der geplante Fitness- und Wellnessbereich musste auf Wunsch der Totalunternehmung weichen – stattdessen sind nun Aussenfitnessgeräte für den Garten in Planung. Der finanziellen Optimierung konnte lediglich ein für ­Bewohner und ­Bewohnerinnen mietbares Gästezimmer im 1. Obergeschoss und ein redimensionierter Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss entgehen. Inwieweit die Mieterinnen und Mieter tatsächlich am genossenschaftlichen Miteinander interessiert sind, bleibt zu diesem Zeitpunkt – sechs Monate nach Bezug – offen.

Gemeinschaftswohnen Winterthur-Seen

Der Neubau mit seiner Fassade aus blau gestrichenen, horizontalen Holzlamellen liegt ­etwas zurückversetzt an der Kanzleistrasse in einem Wohnquartier nahe der S-Bahn-Station von Winterthur-Seen. Die über die Gebäudeecken gebogenen Lamellen markieren in den ­Brüstungsbereichen als umlaufende Bänder die Geschosse, dazwischen sitzen die weissen Fensterrahmen der grosszügigen Öffnungen. Auf der Gartenseite ergibt sich ein ganz ­anderes Bild des Wohnbaus: Die Lamellen öffnen sich im Brüstungsbereich der über die Geschosse durchlaufenden Balkonzone – die raumhohe Befensterung ermöglicht auch bettlägerigen Personen den Blick ins Freie. Im Erdgeschoss liegt eine ausladende Holz­terrasse, die in den Garten führt. Die offenen Balkone und Terrassen wecken in Verbindung mit der blau gestrichenen Fassade Assoziationen an skandinavische Wohnbauten. Die ­Balkonzonen werden durch Rücksprünge des sich in die Tiefe staffelnden Grundrisses ­zoniert, ohne dass eine Trennung zwischen den einzelnen Wohnungen erforderlich wird. Diese Idee spiegelt das Wohnkonzept: Wer möchte, kann an der Gemeinschaft teilhaben – wer für sich sein möchte, kann sich zurückziehen.

Als private Initiative wurde 2007 der Hausverein Kanzlei-Seen gegründet, der sich auf der ­Suche nach einem geeignetem Objekt für ein Wohnkonzept, das den Gemeinschaftsgedanken betont, an die Winterthurer Genossenschaft GESEWO wandte. Die 1984 gegründete ­gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit des selbstbestimmten Wohnens in der Gemeinschaft.[4] Sie stellt für unterschiedliche Nutzer­gruppen Wohn- und Gewerberaum zur Verfügung. Die Bewohner und Bewohnerinnen ­organisieren sich in Hausvereinen selbst, und die Genossenschaft unterstützt diese bei der Verwaltung der Liegenschaften. Der Hausverein ist für die Auswahl neuer Mieterinnen und Mieter und den Gebäudeunterhalt verantwortlich und definiert auch die Notwendigkeit von Erneuerungs- und Renovationsarbeiten für die jeweilige Liegenschaft. In vom Hausverein ­organisierten Sitzungen werden die Hausregeln, das Budget, anstehende Unterhaltsarbeiten, die Nutzung der gemeinschaftlichen Anlagen besprochen. Je nach Bedarf kommen Vertreter der Genossenschaft hinzu.

Bei seinem Vorhaben kam dem damaligen Hausverein der Zufall zu Hilfe. Auch die Genossenschaft überlegte zu diesem Zeitpunkt, ein Projekt zu realisieren, das in Bezug auf das gemeinschaftliche Wohnen über die gängigen Konzepte hinausgeht. In Folge wurde für das aus zwei Parzellen zusammengelegte Grundstück an der Kanzleistrasse ein Studienauftrag ausgeschrieben. Die Zürcher Architekten Haerle Hubacher überzeugten mit ihrem Konzept eines Gemeinschaftswohnhauses (vgl. TEC21, 14/2008). Zentrale Idee, die sich in der Grundrissorganisation ablesen lässt, ist die Anordnung von kleineren privaten Wohneinheiten um grosszügige gemeinsam genutzte Räume (Abb. 18–19; vgl. auch TEC21, 7/2011).

Das im Dezember 2010 fertiggestellte Wohnhaus beherbergt 16 Wohneinheiten von 38 bis 67 m² auf vier Geschossen, dazu kommen gut 400 m² für gemeinsame Nutzungen, die im ganzen Haus durch den Bodenbelag aus rotem Linoleum gekennzeichnet sind. Den grössten Anteil davon nehmen die Flächen im Erdgeschoss ein. Über den Haupteingang gelangt man in einen offenen Flurbereich und blickt direkt auf den grossen, zur Terrasse ausgerichteten Gemeinschaftsraum. Der Raum wird genutzt – täglich, nicht nur bei Veranstaltungen, wie es bei grösseren Anlagen oft der Fall ist. Die Küche bietet genug Platz zum gemeinschaftlichen Kochen, zu dem sich die Bewohner regelmässig verabreden. Im Erdgeschoss liegt auch ein Zimmer mit eigenem Bad, das Freunde und Verwandte auf Besuch nutzen können. Im ersten und zweiten Obergeschoss ist die Gemeinschaftsfläche eine grosszügige Erschliessungszone mit geräumigen Nischen zur Strassen- und Gartenseite. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben sie unterschiedlich belegt und als Bibliothek, Bügelecke, Platz zum Musizieren oder PC-Arbeitsplatz eingerichtet. Im dritten Obergeschoss geht die Zone in einen grossen Gemeinschaftsraum mit Küchenzeile über, hier sollen künftig Veranstaltungen für das Quartier, wie zum Beispiel Lesungen, durchgeführt werden. Auf jeder Etage befinden sich Stauflächen für die einzelnen Wohnungen in einem Einbaumöbel.

Die offenen Gemeinschaftszonen geben den Bewohnern Raum für die Gestaltung privater Eingangssituationen. Diese Bereiche erinnern an die Gassen eines Altstadtquartiers, wo die individuellen Hauszugänge ganz ähnlich mit Blumen oder Bänken markiert sind. Alle ­Wohneinheiten sind mit eigener Küchenzeile und einem Bad mit schwellenloser Dusche ­ausgestattet und haben Zugang zu den zum Garten orientierten Balkonzeilen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner an der Kanzleistrasse sind seit etwas mehr als einem Jahr in ihrem neuen Heim. Noch wird an den Definitionen der Flächen und den Nutzungen gearbeitet, doch schon jetzt zeigt sich, dass die Mieter Bereitschaft zeigen müssen, sich auf das Konzept einzulassen. Die Pflichten im Haus wie die gemeinschaftlichen Aktivitäten machen aus den 18 Mietern eine grosse Wohngemeinschaft – neben all den Vorteilen birgt das auch Konflikte.

Selbständigkeit hält fit

Die vorgestellten Beispiele verdeutlichen, dass es sich für zukünftige Mieter wie auch für Bauherrschaften und Planerinnen und Planer lohnt, über die Zielgruppen der einzelnen Projekte, deren Bedürfnisse und Möglichkeiten nachzudenken. Dass dieses Wissen die Architektur beeinflusst, zeigen die Beispiele in Winterthur und Köniz; umgekehrt wirkt sich diese auch auf das spätere Zusammenleben aus. Die Alterswohnungen in Zürich werden von den Bewohnerinnen angenommen. Trotz der Grösse gibt es im Haus eine gewachsene Nachbarschaft, die Nähe zulässt. In Köniz ­dagegen ist die gegenüber dem ursprünglichen Konzept veränderte Anlage deutlich un­persönlicher. Durch die reduzierten Gemeinschaftsflächen und die nur in der Minimalvariante umgesetzte Gestaltung des Gartens gibt es für die Bewohnerinnen und Bewohner weniger räumliche Berührungspunkte für einen zwanglosen Austausch. Zudem manifestiert sich in den Grundrissen des Punktbaus ein Grundproblem des Projekts: Für Alleinstehende oder Paare sind die Wohnungen zu gross und mit durchschnittlich über 2000 Fr. Miete auch zu teuer. Die kleineren und auf den ersten Blick etwas unkonventionelleren Wohnungen mit dem Z-förmigen Grundriss im Zeilenbau sind hingegen (fast) alle vermietet. Allerdings liegt der Altersdurchschnitt der Mieter und Mieterinnen mit 70 Jahren höher als ursprünglich anvisiert – ein Indiz, dass der Wechsel vom Familienwohnen zu kleineren Einheiten häufig erst nach der Pensionierung erfolgt und damit deutlich später als von den Investoren proklamiert.

Fast ein Mehrgenerationenhaus ist dagegen die Wohngemeinschaft in Winterthur: Mit einem Altersspektrum von 50 bis 90 Jahren und sowohl Berufstätigen als auch Paaren ist die Diversität innerhalb der 16 Parteien vergleichsweise hoch. Entscheidend ist hier der Gemeinschaftsaspekt: Die Selbstverwaltung und demokratische Entscheidungsfindung benötigt viel Zeit und ­Engagement. Doch der Aufwand scheint sich zu lohnen, die Bewohner und Bewohnerinnen haben das Haus in Besitz genommen.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Wahl des individuellen Wohnmodells ist der ­finanzielle Aspekt: Einen Einkauf in eine Genossenschaft kann sich nur leisten, wer über das entsprechende Vermögen verfügt. Vor allem Frauen, die aufgrund der höheren Lebenserwartung (vgl. «Für eine selbständige zweite Lebenshälfte», S. 22) die Mehrheit der über 65-Jährigen stellen, haben aufgrund niedriger Renten oder nach einer Scheidung oft nicht die finanziellen Mittel, um ihre Wohnform tatsächlich selbstbestimmt wählen zu können.

Eine Bauherrschaft, die – wie bei der Alterssiedlung Dufourstrasse – auf diese begrenzten Möglichkeiten mit einem auch architektonisch überzeugenden Angebot reagiert, erweist sich in einer solchen Situation als Glücksfall.


Anmerkungen:
[01] Informationen: www.wohnenab60.ch
[02] Schweizerische Bauzeitung, 23/1926, S. 31
[03] Informationen: www.zukunftswohnen.ch
[04] Informationen: www.gesewo.ch

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: