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Immer umstritten – immer gelobt.

Das tiefgründige Wettbewerbs(un)wesen in der Architektur

3. September 2012 - Ilse Huber
Das Wiener Rathaus steht seit 140 Jahren. Es dominiert den Platz vor und hinter ihm und ist das Produkt eines internationalen Wettbewerbs. Sein Gewinner, der Kölner Architekt Friedrich von Schmidt, mag mit der Prämierung seines Entwurfs wohl nur anfänglich glücklich gewesen sein. Denn obwohl das neugotische Gebäude als eines der ersten Profanbauten in diesem Stil tatsächlich errichtet worden ist, brachte ihm der Sieg viel Zores ein.

Ehrengrab und Platzbenennung

1868 ließ Kaiser Franz Joseph einen internationalen Architekturwettbewerb zur Verbauung des Glacis ausschreiben – die Wiener Ringstraße entstand. Gleichzeitig suchte der Wiener Bürgermeister Cajetan Felder ebenfalls über einen internationalen Wettbewerb Ideen für den Neubau des Rathauses (das Alte Rathaus in der Wipplingerstraße war zu klein geworden, schließlich kamen zu der Zeit etliche Vorstädte zur Gemeinde Wien), die ihm Friedrich von Schmidt lieferte.

Schmidts Freude über den Sieg dauerte nicht lange – da begannen die Änderungen: Nicht wie ursprünglich geplant dem buschigen Stadtpark gegenüber sollte das Neue Rathaus stehen, sondern auf Wunsch des Wiener Bürgermeisters auf der so genannten Flegelwiese, dem ehemaligen Exerzierplatz des Josefstädter Glacis.

Vier Jahre später, 1872, erfolgte dann die Grundsteinlegung des Rathauses, dessen Bau zehn Jahre dauerte. Und selbst nach Fertigstellung waren die Reaktionen für Friedrich von Schmidt alles andere als erfreulich: „Gotische Beamtenburg“ war noch das Glimpflichste. Trotz aller Schikanen erhielt der Schöpfer nach seinem Tod ein Ehrengrab der Stadt Wien und einen Platz mit seinem Namen. An seinem architektonischen Hauptwerk kommt kein Reise-, Fremden- und Architekturführer vorbei.

Heute wie damals – dicke Haut gefragt

Für die Nachwelt hat sich das Bild des prämierten Baues eingeprägt und es ist ein Glück, dass das Gebäude überhaupt noch steht. Dieses Los widerfährt nicht allen Wettbewerbssiegern. Berühmtestes Beispiel eines „Abriss-Siegers“ ist der Stuttgarter Hauptbahnhof.

1911 ging Paul Bonatz’ Entwurf noch als Sieger eines Wettbewerbs hervor, doch 100 Jahr später fielen die Seitentrakte der Spitzhacke zum Opfer. Das hat der Architekt wenigstens persönlich nicht mehr miterleben müssen.

Was vor hundert Jahren Architekten beschäftigte, ist heute nicht anders. Man muss eine dicke Haut haben, um nicht nur den Einreichprozess zum Wettbewerb durchzustehen, sondern auch dessen Nachwehen. Denn eine Wettbewerbsteilnahme zehrt und selbst ein Gewinn heißt noch lange nichts.

„Es ist ein Beginn, ein erster Schritt zur möglichen Realisierung“, sagt der in Wien arbeitende Architekt Boris Podrecca. Selbst seine internationale Tätigkeit führt ihn und sein Büro an die Grenzen der Machbarkeit. Denn ein Büro braucht die Ressourcen, um an Wettbewerben überhaupt teilnehmen zu können. Das betrifft finanzielle, zeitliche und menschliche Kapazitäten.

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Für den Beitrag verantwortlich: architekturjournal wettbewerbe

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roland Kanfer[at]Roland Kanfer[at]

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