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TEC21 2012|44
Leuchtkörper
TEC21 2012|44
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Industriedesign ist Teamarbeit»

Der Schweizer Industriedesigner Michel Charlot hat in seiner noch jungen Karriere bereits zwei Leuchten entworfen, die auf dem Markt erhältlich sind: Als Student an der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) ent­wickelte er den Lampenschirm «Mold» aus Faserzement, der heute tatsächlich produziert wird. Jüngst hat er die LED-Spotfamilie «U-Turn» konzipiert.
Im Gespräch mit ihm wird deutlich, wie pragmatisch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen einem jungen Designer, grossen Industrieunternehmen und Technikern funktioniert.

26. Oktober 2012 - Katharina Altemeier
Katharina Altemeier: Herr Charlot, wie fühlt es sich an, wenn man als junger Designer nach dem Studium zum ersten Mal mit einem renommierten Hersteller zusammenarbeitet?
Michel Charlot: Es ist sehr befriedigend, weil ich genau mit diesem Ziel Design ­studiert habe. Mir geht es darum, ein interessantes Produkt zu machen, das funktioniert und sich gut verkauft.

K. A.: Das klingt sehr pragmatisch. Haben Sie diese Einstellung an der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) vermittelt bekommen?
M. C.: Nach wie vor beenden an der ECAL im Schnitt etwa 30 Studierende pro Jahr ihr ­Stu­dium. Nur sehr wenige von ihnen schaffen es, von ihrer Arbeit als Designer zu leben.
Und noch weniger können ihr eigenes Büro eröffnen. Die Schule und das ­Studium sind
eine Sache, aber man muss sich auch auf das Berufsleben vorbereiten.

K. A.: Wie ist Ihnen das gelungen?
M. C.: Die ECAL bietet vieles an, was andere Schulen nicht im Programm haben – zum ­Beispiel Workshops mit externen Designern, in denen man die Chance hat, Erfahrungen zu sammeln und sich auszutauschen. Zusätzlich gibt es immer wieder Zusammenarbeiten
mit Unternehmen, die einen bestärken und ermutigen. Dadurch bekommt man einen guten Einblick in den Alltag eines Herstellers, und manchmal ist es auch eine Gelegenheit, einen künftigen Kunden kennenzulernen.

K. A.: Wie ist die Leuchte «U-Turn» entstanden?
M. C.: Die Grundidee stammt, ehrlich gesagt, gar nicht von mir. Das Unternehmen kam auf mich zu, als ein interner Techniker schon einen Prototypen entworfen hatte.[1] Zu diesem Zeitpunkt wollten sie eine Leuchte mit zwei Spots und unterschiedlich grossen Leuchtköpfen entwickeln.

K. A.: Wie haben Sie sich als Designer in den Entwicklungsprozess eingebracht?
M. C.: Die Firma bat mich, diese Idee weiterzuentwickeln. Das habe ich gern gemacht, weil ich den Ausgangspunkt interessant fand. Nach etlichen Skizzen in 3-D und gemeinsamen Besprechungen haben wir uns entschieden, mit einer wesentlich simpleren Struktur zu ­beginnen. Allein diese Entscheidung war schon ziemlich harte Arbeit. Industriedesign ist ­interdisziplinäre Teamarbeit; die Firma und der Designer teilen sich die Verantwortung.

K. A.: Wie entwickelt man konkret eine Leuchte im Team?
M. C.: Insgesamt waren drei bis fünf Personen involviert. Wir haben uns über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mindestens einmal im Monat getroffen. Ideen konnte jeder einbringen: Designer, Techniker, Produktmanager und Geschäftsführer. Unser Ziel war es, ein Produkt zu gestalten, das ins Auge fällt, aber unaufdringlich ist und sich gut verkauft. Es ging vor ­allem immer darum, alle technischen Möglichkeiten auszuloten, um sicher zu sein, dass wir die beste wählen. Der grösste Durchbruch war das magnetische Kugelgelenk. Diese ­Konstruktion ermöglicht direktes und indirektes Licht – und das mit nur einer Lichtquelle.

K. A.: Welche Rolle spielte die Lichttechnik?
M. C.: «U-Turn» wäre ohne LED-Technik so nicht möglich gewesen. Nur weil die Lichtquelle ­auf LED basiert und deshalb nicht so heiss wird, kann man den Leuchtenkopf einfach abnehmen und mit dem Licht spielen.

K. A.: Aber die Technik von heute wird morgen schon veraltet sein.
M. C.: Deswegen haben wir darauf geachtet, dass sich die Leuchte bei Bedarf auch modernisieren lässt. Die LED-Scheibe im Leuchtenkopf könnte man relativ leicht austauschen, wenn die Technologie sich weiterentwickelt.

K. A.: Mit den runden Vertiefungen erinnert die Oberflächenstruktur des Leuchtkopfs von «U-Turn» an einen Golfball.
M. C.: Das war eine Designentscheidung. Ich habe viele andere Optionen ausprobiert, ­bevor ich zu dieser kam. Ich finde, dass ein sportliches Design gut zu dieser Leuchte passt – auch weil der Benutzer mit ihr spielen soll. Ausserdem hat das Produkt so einen hohen Wiedererkennungswert.

K. A.: Wie wichtig waren Nachhaltigkeitsüberlegungen beim Design von «U-Turn»?
M. C.: Es ist in erster Linie wichtig, ein Produkt zu entwickeln, das der Käufer viele Jahre ­besitzen und benutzen möchte. Im Entwicklungsprozess wählt man immer wieder zwischen der einen oder anderen Einzellösung, weil sie eine grössere Nachhaltigkeit verspricht.
Bei «U-Turn» haben wir uns für sehr dauerhafte Materialen entschieden und für die Möglichkeit, die Leuchte technisch nachrüsten zu können.

K. A.: Ihre Leuchte «Mold», die Sie während des Studiums in einem Workshop entworfen haben, basiert in erster Linie auf einem ungewöhnlichen Umgang mit Faserzement. Wie wichtig sind Materialien für Sie?
M. C.: Im Fall von «Mold» war es so, dass wir Studierenden in einem Workshop gebeten wurden, neue Ideen für die Verarbeitung von Faserzement zu entwickeln. Aber an sich gehe ich als Designer nicht von einem bestimmten Material aus, sondern begreife jedes Material ­einfach als ein Mittel. Bei «U-Turn» haben wir zum Beispiel Hochdruck-Aluminiumguss für den Leuchtkopf verwendet, weil das Bauteil durch die gute Wärmeleitfähigkeit des Materials wie ein Kühl­element funktioniert.

K. A.: Wie beschreiben Sie Ihren Designansatz?
M. C.: Zuerst braucht es ein zukunftsfähiges Konzept, dann entwerfe ich sozusagen von innen nach aussen. Ich arbeite nicht auf eine von vornherein feststehende Form hin, die finale ­Gestalt eines Produkts ist vielmehr das Ergebnis eines langen Prozesses. Ausserdem habe ich den Anspruch, dass meine Produkte nützlich, intuitiv verständlich und langlebig sein ­sollen. Der Kunde muss denken: «Natürlich ist das so und nicht anders!» – das ist gar nicht so leicht zu erreichen.

K. A.: Mit «Mold» ist es Ihnen gelungen, eine Leuchte zu entwerfen, die auf dem besten Weg ist, ein Klassiker zu werden.
M. C.: Ich finde es wichtig, dass ein Produkt seine Zeit repräsentiert. An die Idee eines zeitlosen Klassikers glaube ich nicht. Ich habe das Gefühl, dass etwas, das einmal gut ist, auch über einen langen Zeitraum hinweg gut bleibt. Jean Prouvé hat gesagt, er gestalte lieber für eine Generation und nicht für die Ewigkeit, denn nur dann habe der Entwurf die Chance, den nachfolgenden Generationen standzuhalten.[2]


Anmerkungen:
[01] Vor etwa eineinhalb Jahren entstand der Kontakt des Designers zu Vitra, und wenige Wochen später kam die Anfrage von Belux, der zu Vitra gehörenden Leuchtenfirma.
[02] «Construisez pour l’éternité et ces objets deviendront peut-être des reliques du passé. Construisez pour une génération et ils serviront peut-être à plusieurs générations.» Aus einem Gespräch von Anniina Koivu mit Jean Prouvés Tochter Catherine; www.vitra.com/fr-fr/collage/design/catherine-prouv-ber-jean-prouv/

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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