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zur Zeitschrift: dérive
Herausgeber:in: Christoph Laimer

Die Vorstellung von Ordnung

Der öffentliche Raum und das Recht

5. Dezember 2012 - Angelika Adensamer
Der öffentliche Raum wird von den vielen Menschen, die ihn teilen, auf verschiedenste Weisen und nach unterschiedlichsten Bedürfnissen genutzt. Um diese zu vereinbaren, gibt es eine Vielzahl von rechtlichen Regelungen, die die Nutzung des öffentlichen Raums betreffen. Bestimmte Funktionen des öffentlichen Raums sind gesetzlich geschützt. So z. B. die Mobilitätsmöglichkeiten der verschiedenen VerkehrsteilnehmerInnen, die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten, wie Versammlungen, aber auch und bei weitem nicht zuletzt die ungestörte Ausübung kommerzieller Tätigkeiten. Oft – so scheint es zunehmend in den letzten Jahren – werden aber nicht nur Freiheiten geschützt, deren Ausübung der öffentliche Raum ermöglichen soll, sondern auch ein nur vage definierter Zustand der »öffentlichen Ordnung«, der ein Bedürfnis nach Sicherheit befriedigt, das für unsere Zeit charakteristisch ist.

Nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG), dem Gesetz, das die Aufrechter­haltung der öffentlichen Ordnung durch die Polizei regelt, sind öffentliche Orte als solche definiert, »die von einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis betreten werden können«. Hier kommt es also nicht auf die Eigentumsverhält­nisse an. Auch ein Gasthaus, ein Bahnhof oder ein geöffneter Hof, wie beispiels­weise das Wiener Museumsquartier, können einen öffentlichen Ort darstellen, obwohl sie in Privateigentum stehen; solche Orte werden auch halböffentliche genannt.

Dort haben die EigentümerInnen ein Hausrecht, das sich von ihrem zivilrechtlichen Eigentum ableitet. Zivilrechtlich hat jede/r EigentümerIn das Recht, andere von ihrem Eigentum auszuschließen und es nach eigenem Willen zu nutzen. Oft gibt es außerdem Hausordnungen, die den NutzerInnen u. a. den Konsum von Alkohol, das Musizieren oder aber auch einfach »Herumlungern« verbieten. Die Verpflichtung, sich an diese zu halten, lässt sich aber nicht allein aus dem Eigentumsrecht ableiten. Vielmehr wird an kommerziell genutzten Orten die juristische Konstruktion eines konkludenten Vertragsabschlusses angenommen, also eine nicht ausdrück­liche Einwilligung, sich an die Hausordnung zu halten, die schon dadurch gegeben wird, dass man das Gelände betritt und möglicherweise mit dem/der BesitzerIn ein Vertragsverhältnis eingeht. Bei einer Übertretung wird man vertragsbrüchig. Die Einhaltung dieser Regeln wird oft von privaten Sicherheitsdiensten überwacht. Diese Securities haben jedoch nur Rechte wie jede/r andere auch, etwa das Recht auf Notwehr, ein Anhalterecht bei gerichtlich strafbaren Handlungen oder zivilrechtliche Selbsthilfe. Der vorauseilende Gehorsam ihnen gegenüber ist aber aufgrund ihres uniformierten, autoritären Auftretens größer, und die Grenzen ihrer gesetzlichen Befugnisse, die in vielen Fällen überschritten werden, werden nur selten thematisiert.

Das Hausrecht geht allerdings nur so weit, als mit der Verfügung über das Eigentum nicht in die Rechte anderer eingegriffen wird. So darf z. B. auch eine Hausordnung nicht diskriminierend sein. Je mehr des kulturellen und sozialen Lebens sich an halböffentlichen Orten abspielt, desto eher stellt ein Ausschluss einen Eingriff in grundrechtlich geschützte soziale, kommunikative und politische Freiheiten dar. In den 1980er Jahren wurde z. B. ein Lokalverbot im einzigen Dorfgasthof vom Obersten Gerichtshof (OGH) für rechtswidrig erklärt, da dies auch der (einzige) Treffpunkt für Vereine u. ä. war. An anderen Orten, wie z. B. Bahnhöfen, ist der/die private BetreiberIn sogar verpflichtet, allen Personen den Zugang zu ermöglichen, da er/sie der Pflicht zur Personenbeförderung nachkommen muss.

Einen großen Aufschrei wegen einer solchen Hausordnung gab es 2009, als für eine kurze Zeit das Alkoholverbot im Museumsquartier streng überwacht wurde. Die Leitung des Wiener MQ lenkte nach Protesten zwar ein, dies kann jedoch von Privaten, nicht immer erwartet werden. Im Gegensatz zur öffentlichen Hand haben sie der Allgemeinheit gegenüber keine politische Verpflichtung. Daher ist die Tendenz, dass halböffentliche Orte immer mehr werden und eine immer größere Rolle spielen, beunruhigend. Doch nicht nur Private, sondern auch die Polizei hat eine genaue Vorstellung davon, wie der öffentliche Raum auszusehen hat. Wer dieses Bild stört, etwa Menschen, die nicht sauber gekleidet, gesund, kaufkräftig und von europäischem Aussehen sind, wird verdrängt. Zu diesem Zweck macht sich die Polizei auf die Suche nach Paragraphen, die eine rechtliche Grundlage für das Abstrafen von unliebsamen Verhaltensweisen bieten können.

Die Polizei ist gesetzlich zur Aufrechterhaltung der »öffentlichen Ordnung« verpflichtet. Geschützt wird diese beispielsweise durch landesgesetzliche Verbote der Anstandsverletzung. Diese wiederum wird vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) folgendermaßen definiert: »Die Verletzung des öffentlichen Anstands wird durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht […] Bei der Beurteilung ist ein […] objektiver Maßstab (sic) anzulegen.« (VwGH 19. 10. 2005, 2003/09/0074) Unter diesen Tatbestand fallen z. B. das Betreten von Parkbänken mit Straßenschuhen, das Stören von Trauer- und Gedächtnisfeierlichkeiten durch provokante Aktionen und das alkoholisierte Schlafen auf einer öffentlichen Straße.

Die Polizei benutzt den Tatbestand der Anstandsverletzung oft repressiv, um abweichendes Verhalten zu bestrafen; so ahndete sie z. B. auf einem Denkmal sitzen und Bier trinken, auf einer Kundgebung einen Politiker als Rassist beschimpfen oder das Pfeifen mit einer Trillerpfeife während einer Gedenkveranstaltung. In all diesen Fällen entschieden die höheren Instanzen, dass hier der Begriff der Anstandsverletzung zu weit ausgelegt worden war. Doch nicht jeder hat die Möglichkeit, alle Rechtsmittel zu ergreifen. Wer z. B. nur wenig Deutschkenntnisse und/oder keinen Zugang zu Beratung hat, muss sich mit den Geldstrafen abfinden.

Dass die Gesetzgebung zu besonders weiten Begriffen wie »Störung der öffentlichen Ordnung« und »Anstandsverletzung« greift, hat insbesondere zwei Gründe. Einerseits verändern sich die technischen, kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten so schnell, dass schon nach einigen Jahren neue Problemstellungen auftreten können, die den öffentlichen Raum betreffen. So verändern sich die Art des Verkehrs, aber auch die Nutzung des öffentlichen Raums und die Architektur stetig. Andererseits kann die »öffentliche Ordnung« auf so viele – möglicherweise noch unbekannte – Arten gestört werden, dass nicht alle einzeln von vornherein verboten werden können.

Auch die StVO, deren eigentlicher Zweck es ist, die Flüssigkeit des Verkehrs zu gewährleisten, wird oft zur Erhaltung einer geradezu bedrückenden Ordnung verwendet. So wurde z. B. – bevor es ein Bettelverbot in Wien gab – §78 StVO, der FußgängerInnen das Behindern des Verkehrsflusses am Gehsteig, u. a. durch »unbegründetes Stehenbleiben«, verbietet, dazu verwendet, BettlerInnen von der Straße zu vertreiben. Auch Demonstrationen, die wegen der Behinderung des Verkehrs und ihrer Lautstärke oftmals von PassantInnen, aber auch von der Polizei per se als Störung der »öffentlichen Ordnung« gesehen werden und nicht als Ausdruck eines lebendigen politischen Diskurses und Ausübung eines Grundrechts, kommen unter Beschuss der StVO. Hier geht es um den Begriff der »Versammlung« selbst. Liegt eine solche vor, ist sie verfassungsrechtlich geschützt, und die TeilnehmerInnen können nicht wegen Verstößen gegen die StVO belangt werden, da diese dem Verfassungsrecht untergeordnet ist. Oftmals wurden daher für TeilnehmerInnen von nicht angemeldeten Demonstrationen Strafzettel nach der StVO (z. B. wegen Gehen auf der Fahrbahn, oder – besonders skurril – wegen in der Gruppe gegen die Einbahn gehen) verteilt, da eine pflichtwidrig nicht angemeldete Versammlung gar keine Versammlung sei und daher auch nicht geschützt werden sollte. 2011 erklärte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) jedoch, dass auch spontane Versammlungen unter bestimmten Voraussetzungen geschützt sind und daher insbesondere keine Strafen nach der StVO verhängt werden dürfen.

Auch zum Bettelverbot gab es im Sommer 2012 erfreuliche Entscheidungen durch den VfGH. Ein generelles Bettelverbot, ohne Beschränkung auf aggressives, aufdringliches oder gewerbsmäßiges Betteln, wie in Salzburg, ist demnach verfassungswidrig. Der betreffende Paragraph des Salzburger Landessicherheitsgesetzes ist somit aufgehoben und wird voraussichtlich in der nächsten Landtagssitzung im Oktober 2012 in einer verfassungskonformen Fassung neu beschlossen. Im Urteil wird erklärt: »Öffentlichen Orten ist jedoch die Begegnung mit anderen Menschen immanent. […] Ein ausnahmsloses Verbot, als »stiller« Bettler den öffentlichen Ort zu nutzen, grenzt ohne sachliche Rechtfertigung bestimmte Menschen davon aus, öffentliche Orte wie andere zu ihrem selbstgewählten Zweck zu nutzen und verstößt daher gegen den Gleichheitsgrundsatz.« (VfGH 30. 6. 2012, G 155/10 – 9) Dennoch ist die Höchstgerichtsbarkeit keine Rettung, denn alles, was sie tun kann, ist Gesetze bzw. Urteile aufheben, nicht jedoch neue Gesetze schaffen oder alte um­formulieren. Dies wird nur durch gesellschaftliche Meinungsbildung und politischen Druck geschehen.


Literaturverzeichnis:
Eisenberger, Iris (2003): § 78 StVO oder was man damit alles machen kann! In: Juridikum, 2003, S. 73ff.
Fuchs, Walter (2005): Private Sicherheitsdienste und öffentlicher Raum. Ein Überblick über die öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich mit rechtstatsächlichen und kriminologischen Anmerkungen. Dissertation, verfügbar unter : http://www.irks.at/legacy/downloads/fuchs_diss.pdf
Frühwirth, Ronald (2011): Öffentlicher Anstand. Der Versuch einer Annäherung an einen vagen Begriff. In: Juridikum, 1/2011, S. 63-70.

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Für den Beitrag verantwortlich: dérive

Ansprechpartner:in für diese Seite: Christoph Laimermail[at]derive.at

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