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db deutsche bauzeitung 01-02|2013
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db deutsche bauzeitung 01-02|2013

Untergraben

Erweiterung des Drents Museum in Assen (NL)

Der unterirdische Erweiterungsbau verbindet zwei einzelne Bestandsgebäude miteinander und schafft neuen Raum für Wechselausstellungen, tritt dabei im Stadtbild aber nur als begehbarer Dachpark in Erscheinung. Im Innern präsentiert er sich dagegen als gleißend weiße, futuristisch anmutende Raumlandschaft, mit der sich die räumliche Struktur des Museums völlig verändert hat. Scharfe Kontraste, unterschiedliche Raumwirkungen und die Bezugnahme auf den Außenraum schaffen einen erlebnisreichen Ausstellungsort.

9. Januar 2013 - Anneke Bokern
Assen ist die Hauptstadt von Drenthe, einer ländlichen Provinz im Nordosten der Niederlande. Im Zentrum des verschlafenen, nur 67 000 Einwohner zählenden Städtchens befindet sich ein historischer Gebäudekomplex, zu dem u. a. ein altes Zisterzienserkloster gehört und der heute das Drents Archief sowie das Drents Museum beherbergt. Seit Kurzem markiert ein kapselartiger, weißer Pavillon zwischen den alten Gemäuern den Eingang des unlängst von ZECC Architecten umgebauten Provinzarchivs. Dass auch das benachbarte Drents Museum gerade umgebaut und erweitert wurde, bemerkt man dagegen erst auf den zweiten Blick.

Dabei handelt es sich eigentlich um einen viel drastischeren Eingriff, denn das Museum hat 2 000 m² zusätzliche Ausstellungsfläche sowie eine völlig neue Raumstruktur erhalten. Umstrukturierung und Erweiterung haben hauptsächlich unterirdisch stattgefunden und treten im historischen Stadtbild lediglich als parkähnliche, begrünte Wellenlandschaft des Dachs in Erscheinung.

Vom Kutscherhaus zur Leuchtboje

Das Drents Museum wurde 1885 gegründet und besitzt eine Sammlung mit Kunst und Kunsthandwerk aus den nördlichen Niederlanden, v. a. aber zahlreiche prähistorische Artefakte aus der Provinz Drenthe, darunter die berühmte Moorleiche des »Mädchens von Yde«. Seine Räumlichkeiten im ehemaligen Provinzverwaltungsamt am Westende des alten Klosterkomplexes waren für die aktuellen Besucherzahlen zu klein geworden. Zum Wettbewerb für Umbau und Erweiterung waren 2007 fünf internationale Architekturbüros geladen worden. Erick van Egeraats Vorschlag zur radikalen inneren Umstrukturierung und unterirdischen Erweiterung des Museums brachte ihm den Gewinn ein.

Den Haupteingang hat er vom Provinzverwaltungsamt in das benachbarte Kutscherhaus verlegt. 1781 erbaut, ist es das älteste Gebäude des Museumskomplexes – und scheint nun, dank eines neuen Glassockels, einen Meter über dem Erdboden zu schweben. So subtil der Eingriff auf Außenstehende wirken mag, hat er bei den Denkmalschützern doch für einige Aufregung gesorgt: V. a. der niederländische Reichsdienst für Archäologie, Kulturlandschaft und Denkmäler protestierte lautstark, denn auf der gegenüberliegenden Platzseite steht ein sehr ähnliches, zur selben Zeit entstandenes Gebäude. Der historische Zusammenhang gehe durch die Aufständerung verloren, argumentierte der Reichsdienst – konnte sich aber letztlich nicht durchsetzen. Nun leuchtet nachts das Licht von innen durch den Glassockel und macht das Haus, wie Erick van Egeraat formuliert, zur »Leuchtboje«. Bei Tag wird die eigentliche Funktion des Sockels deutlich: Durch das Glasband kann das Tageslicht bis in die neue Unterwelt des Museums fallen. Diese befindet sich direkt unter dem Kutscherhaus, das während der Bauzeit mit einigem Aufwand um 24 m verschoben werden musste.

Düstere Oberwelt, lichtdurchflutete Unterwelt

Man betritt das Museum durch das Kutscherhaus, das trotz zweier großer neuer Fenster, welche frühere Holztore ersetzen, ein ziemlich düsteres Gemäuer ist. Schwarz gestrichene Wände und die Dachkonstruktion aus schweren Holzbalken dominieren den spärlich beleuchteten Raum, in dem – gleichsam als Vorbote des kommenden Raumerlebnisses – nur ein dramatisch von unten beleuchteter weißer Ticketschalter thront. Die Besucher steigen eine ebenfalls weiße Marmorwendeltreppe hinab in die Unterwelt. Und siehe da: Auf einmal findet man sich in einer gleißend weißen, lichtdurchfluteten Halle wieder.

In einer Umkehrung jeglicher Erwartungshaltung stellt der Architekt dem finsteren historischen Eingangsbau eine strahlend helle, futuristisch anmutende Unterwelt gegenüber. Das verfehlt seine Wirkung nicht: Der Besucher wird geradezu wachgerüttelt.

Die unterirdische Halle dient als Verteilerraum inklusive Museumsshop und Garderobe. Vom Boden über die Wände, Möbel und Treppen ist rundum alles weiß, mit zwei Aufzugschächten aus Chrom und Glas als einziger Ausnahme. Ganz so klinisch rein wie auf den Architekturfotos sieht das in Wirklichkeit nicht aus, denn das quietschbunte Warenangebot des Museumsshops bringt Farbe ins Bild. Die Schmutzstreifen, die schon jetzt an einigen Stellen zu sehen sind, fallen angesichts der blendenden Weiße noch nicht ins Gewicht. Ob das aber auch in Zukunft so bleiben wird?

Dass es sich um einen Entwurf des Maximalisten Erick van Egeraat handelt, bezeugen nur vier tordierte Säulen, die das Kutscherhaus tragen, sowie die ebenfalls skulptural verdrehte Wendeltreppe, deren Formensprache ein wenig an Erich Mendelsohn denken lässt. Eine zweite, baugleiche Wendeltreppe am Nordende der Halle führt in den Altbau des Museums, in dem die Sammlung untergebracht ist. Erklimmt man sie, wird man plötzlich wieder in die Vergangenheit versetzt, denn der Altbau birgt ein düsteres Labyrinth aus historischen Sälen mit üppig verzierten Wänden und dunklen Holzböden. Die in schummrigem Licht ausgestellten Moorleichen jagen einem unweigerlich Schauer über den Rücken. ›

Organisch gestaffelte Dachlandschaft

Dann geht es wieder die Wendeltreppe hinab, zurück in die etwas überdimensionierte weiße Weite der Halle. An ihrem gegenüberliegenden Ende befindet sich der Zugang zum 1 000 m² großen neuen Saal, der für Wechselausstellungen konzipiert wurde. Seine bogenförmigen, versetzt angeordneten Dachsegmente haben verglaste Seiten, sodass viel Licht in den 6-8 m hohen Raum fällt, das mittels eingebauter Jalousien reguliert werden kann. Die nötigen Leuchten sind, wie alle Installationen, in schlitzförmige Kanäle in der Decke integriert.

Mit seiner unverstellten Weite ist der Saal ein Gegenbild zu den verwinkelten Räumen und Gängen im historischen Teil des Museums und bietet Gelegenheit für Ausstellungen mit großformatigen Werken. Für die meterhohen Gemälde des sowjetischen Realismus', die dort zurzeit zu sehen sind, bildet er einen sehr passenden Rahmen. Ein »White Cube« im klassischen Sinne ist er jedoch trotz aller Weiße nicht, denn die expressiven Wellenformen des Dachs sind sehr präsent und alles andere als neutral. Auch die Stadt ist auf unerwartete Weise im Saal präsent, denn an seinem Südende führt eine Treppe auf eine Empore mit Glasfront, durch die man auf einen kleinen, in weißen Marmor gefassten Teich und die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite blickt – und in die Realität zurückgeholt wird.

Der Teich ist Teil der Außengestaltung des neuen Gebäudeflügels, den eine organisch gestaffelte, begrünte Dachlandschaft bedeckt. Sie ist an die Stelle eines früheren Parkplatzes getreten und soll den Architekten zufolge eine Verbindung zwischen einem kleinen Park im Westen und dem Gelände eines alten Landguts im Osten des Museumskomplexes schaffen. Da der Garten jedoch eingezäunt und nur während der Museumsöffnungszeiten zugänglich ist, will er sich in der Praxis nicht so recht in den grünen Korridor eingliedern. Ohnehin präsentiert er sich weniger als Park denn als etwas eigenartige Mischung aus begrüntem Dach und Kräutergarten. Die Hügellandschaft ist mit niedrigen Bodendeckern, Gräsern und Kräutern in Streifen bepflanzt und auf Pfaden begehbar. Durch die Fenster unter den wuchtigen Holz-Dachbalken kann man auch den einen oder anderen Blick in den großen Museumssaal werfen.

Mit der Streifenbegrünung und der aufwendigen Gestaltung der hölzernen Balken und Fensterpfosten trägt die Dachlandschaft viel deutlicher die Handschrift Erick van Egeraats als das Museumsinterieur. Dort wollte er der Üppigkeit der historischen Museumssäle offenbar ganz bewusst eine minimalistische neue Unterwelt gegenüberstellen. In der Tat könnte der Kontrast kaum größer sein: Der Besucher wird in ein Wechselbad der Raumeindrücke getaucht: von der geheimnisvollen Düsternis des Kutscherhauses bis zur lichtdurchfluteten, blendenden Weiße der Halle und des neuen Saals. Bei aller räumlichen Theatralik könnten die Exponate beim Museumsbesuch schnell zur Nebensache werden, aber zumindest die großformatigen, pompösen Gemälde des sozialistischen Realismus' können sich gut behaupten. Ob das auch für leisere Kunstwerke gilt, muss der nächste Besuch zeigen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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