Zeitschrift

TEC21 2013|41-42
Villa Patumbah
TEC21 2013|41-42
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Täuschend echt

Die Villa Patumbah im Zürcher Villenquartier Riesbach, die sich der Kaufmann Karl Fürchtegott Grob-Zundel zwischen 1883 und 1885 von den Architekten Chiodera & Tschudy bauen liess, ist eine Schmuckschatulle: In dem Haus verdichten sich Elemente der Gotik, des Barocks und der Renaissance, geben sich Jugend- und Heimatstil ein Stelldichein und mischen sich ost­asiatische Anleihen ein. Konstruktiv ist sie dem Industriezeitalter zugehörig: Zwischen den Stahlträgern sind vorfabrizierte Hourdisdeckenelemente eingelegt. Eingebettet in einen von Evariste Mertens gestalteten Park ist sie aber vor allem ein mittels optischer Täuschung erzeugter, nach innen gewendeter Aussenraum.

4. Oktober 2013 - Rahel Hartmann Schweizer
Die Villa mit Ökonomiegebäude und Park erstreckte sich auf einem Grundstück von 13 000 m². Karl Fürchtegott Grob-Zundel, mit dem Anbau von Tabak auf Sumatra reich geworden, erwarb es nach seiner Rückkehr 1883 in Zürich-Riesbach, das sich – damals noch nicht eingemeindet – anschickte, sich zum Villenquartier zu entwickeln. Die Villa Patumbah ist in diesem Kontext einzigartig, was Reichtum an Material und Dekor anbelangt. Der Kontrast zu dem im Schweizer Holzbaustil ausgeführten Ökonomiegebäude, in dem die Pferde und Wagen der Familie untergebracht waren, könnte kaum grösser sein. Zwar ist auch dieses keineswegs schmucklos – im Gegenteil: Motive, die zum Inhalt des Hauses passen, zieren es, Reiter und Pferd thematisierend. Doch der rote und gelbe Klinker signalisiert auch eine gewisse, wiederum durchaus inhaltlich begründete Derbheit. Verbunden sind die beiden Gebäude durch einen Pavillon, dem ein Platz vorgelagert ist.

Trompe-l’œil

Stilpluralismus ist zwar typisches Merkmal des Historismus, doch die Art und Weise und das Ausmass der Stilzitate nimmt in der Villa Patumbah eklektizistische Züge an. Die Gestaltung der Fassaden ist von der Renaissance inspiriert: Über dem in groben Steinquadern rustifizierten Sockelgeschoss erhebt sich das Piano nobile, dessen reiches Dekor – Bauschmuck ebenso wie polychrome Keimfarbenmalerei – die Wände fast auflöst. Aufgebrochen wird die Fassade ferner durch zwei Nischen, in denen Merkur und Flora platziert sind – Anspielung auf Grob-Zundels Kaufmannstätigkeit bzw. den daraus geschöpften Reichtum. Das Mezzaningeschoss ist kaum weniger geschmückt als das Piano nobile und wartet ebenfalls mit Trompe-l’Œil-Malereien sowie mit gerahmten Oculi auf. Unterhalb des Dachs ist der Schriftzug «PATUMBAH» zu lesen – gemeinhin als «ersehntes Land» übersetzt.

Während Fenster, Türen und Nischen von Veroneser Kalkstein und Carrara-Marmor gerahmt und teilweise von gesprengten Segmentgiebeln überkrönt sind, erweckt das Dekor lediglich den Anschein, als wäre es aus diesen edlen Gesteinen gefügt: Stattdessen ist es in Keimfarben aufgetragen. Die Malereien bewirken nicht nur eine optische Täuschung, sie nehmen dem Bau auch die Schwere, weil sie keine steinerne Anmutung haben. Aus der Ferne wirken die Fassaden besonders im Sonnenlicht leicht und luftig, aus der Nähe haben sie eine fast samtene Oberfläche: eher eine textile Hülle als ein Steinbruch. Täuschend ist indes nicht nur die Verkleidung, aus Ingenieursicht ist es auch die Konstruktion aus Stahlträgern, Mauer­werk und Hourdisdecken.

Der Pavillon dockt an die Villa an und führt in den Vorraum des Treppenhauses und von da ins Vestibül (vgl. S. 21, Abb. 03). Es erschliesst die zum Park orientierten Räume des Herrenzimmers, des Salons und des Damenzimmers sowie den strassenseitigen Wintergarten (vgl. S. 21, Abb. 04). Die ehemaligen Privaträume der Familie sowie die Dienstbotenkammern im ersten und im zweiten Obergeschoss schliessen sich um die zentrale, zwei Geschosse hohe Halle, die von einer farbigen Glaskuppel bekrönt ist. Die im zweiten Geschoss ­umlaufende Galerie zieren ostasiatisch angehauchte Schnitzereien und an Tuschmalerei ­erinnernde ­Gemälde (Abb. 06 und 08; vgl. S. 15 und S. 25, Abb. 12).

Umkehrung von Innen und Aussen

Auf den ersten Blick läuft das Auge angesichts der Dekorflut sowohl aussen als auch im Innern beinahe über. Es vermag kein Ganzes zu erkennen, sondern springt von einer Stuckatur, Holzvertäfelung, Malerei zur nächsten. Man verliert sich in der schieren Menge an gegenständlichen Figuren (Putten, Vögel, Fabelwesen), verschlungenen Ornamenten ­(Blumen- und Blätterranken) und geometrischen Mustern.

Jedes Element scheint lauter nach Aufmerksamkeit zu rufen als das vorherige, weshalb sich einem zunächst kein übergeordnetes Konzept erschliessen will. Tritt man einen Schritt zurück und lässt den Blick eher schweifen, als sich an den Details festzusaugen, gibt die Villa ihr Geheimnis preis. Sie ist das Behältnis ­eines Aussenraums, bzw. der Aussenraum ist gleichsam nach innen gewendet. Das beginnt beim Eingang, der nicht in der repräsentativen Schauseite der Villa liegt, sondern in dem eingeschossigen Pavillon, der diese mit dem Ökonomiegebäude verbindet. Dessen Materialisierung in Zinkguss lehnt sich an den Rundpavillon im Park an, ist also als dem Grünraum zugehörig zu betrachten. Überdies betonen die reiche Goldverzierung aussen und die Decke innen, die wie gerafftes Tuch den Korridor überspannt, diesen lichten Charakter (Abb. 10). Schliesslich trägt der Spiegel im Vorraum zu diesem Umkehrcharakter bei (vgl. S. 21, Abb. 03), der sich im obersten Abschnitt des Tambours und der Decke des Treppenhauses vollendet (vgl. S. 21, Abb. 02).

Auch der Wintergarten fügt sich in diese Konzeption der Umkehrung von innen und aussen (vgl. S. 21, Abb. 04, sowie S. 23, Abb. 03 und 04). Die Trompe-l’Œil-Malerei erweckt den Eindruck, als löse sich die Decke in Himmel auf und als figuriere der gemalte schmiedeeiserne Bal­dachin als Sonnenschutz. Pfingstrosen hängen von der Decke in den Raum, Möwen und ­Enten flattern fast hörbar. Die Wände dürften ebenfalls einen Blick in die Landschaft simuliert haben und damit an Gestaltungen angelehnt gewesen sein, wie man sie etwa von den ­Fresken der Casa dei cubicoli floreali in Pompeji kennt. Der Springbrunnen, auf dessen einstige Existenz Spuren im Terrazzobelag hindeuten, vervollständigt die Konnotation als Aussenraum. Sein Plätschern könnte mit dem imaginierten Gezwitscher gemalter Vögel – gleichsam die ­Voliere, die es im Park gab, imitierend – den Raum akustisch konditioniert haben.

Ostasiatischer Tempel

Die fernöstliche Motivik im zweiten Obergeschoss scheint einem angesichts von Grob-Zundels Biografie zwar keineswegs abwegig, ihre Verquickung mit Renaissanceelementen mutet indes bizarr an – zumal der Pinselduktus der Malereien verglichen mit der hochstehenden Kunst ostasiatischer Vorbilder grob ist und die Schnitzereien das Gepräge von Laubsägewerk haben. Inhaltlich hingegen ist ihre Qualität unbestritten. Die Ausbildung als Galerie bzw. der Luftraum über der Halle im 1. OG half den Architekten augenscheinlich, die Ränder des nicht nur stilistischen, sondern auch qualitativen Bruchs zu verschleifen – nicht trotz, sondern gerade wegen der optischen Durchlässigkeit zwischen 1. und 2. OG. Die vertikale Verbindung der zweigeschossigen Halle – Pendant zum Treppenhaus – wurde auch über das Dekor erzeugt. So verbindet das Auge die Vögel, die die Türen im 1. OG zieren, mit den Drachen auf jenen des 2., assoziiert die goldschimmernden Tapeten – obwohl von unterschiedlichem Dekor – an den Wänden von Halle und Galerie ­miteinander: üppiger Urwald, aus dem sich kaum merklich eine Figur mit einem Wagen oder einer Sänfte schält, bzw. Fabelwesen, die zu einem einzigen ornamentalen Muster verschwimmen (Abb. 09; vgl. S. 22, Abb. 08). Das Ganze wirkt wie ein in die Villa hineingestellter, vom Baldachin bekrönter ostasiatischer Tempel und zelebriert erneut die Umkehrung von innen und aussen.

Vom Kitsch zum Gesamtkunstwerk

Dass der «Tempel» dennoch ein Fremdkörper ist, lässt sich an den Architektenplänen ab­lesen, in denen er nicht verzeichnet ist – im Gegenteil: Bis ins Detail vermasst zeigen sie ­einen Renaissance-Umgang. Grob-Zundel muss sich während des Baus eines andern besonnen haben. Was ihn bewog, Zeitdruck und Abstriche an der Qualität in Kauf zu nehmen, lässt sich nicht nachweisen. Aber Giovanni Menghini, Denkmalpfleger des Kantons Graubünden und vonseiten der Stiftung Patumbah an den Arbeiten beteiligt, wagt eine Hypothese. In dem Raum im 1. OG, der als ehemaliges Arbeitszimmer Grob-Zundels gilt, kamen nach Entfernung der mit Kaliko verkleideten Decke Malereien zum Vorschein – unter anderem mehrere Medaillons mit Darstellungen, deren realistischer Gestus sich von den sonst ­verspielten Ornamenten abhebt. Auf einem der Medaillons ist der Ausbruch eines Vulkans dargestellt, wobei die Vermutung naheliegt, dass es sich dabei um die Explosion des ­zwischen Sumatra und Java gelegenen Kratakau von 1883 handelt. In den Fluten des anschliessenden Tsunamis versank auch Grob-Zundels Wahlheimat. Menghini wertet das Bild als Fingerzeig und mutmasst, dass der Bauherr, der nicht nur seine Plantage, sondern auch seine Freunde verlor, ihnen gleichsam ein Denkmal setzte – zumal in Tempelform.

Nachdem die Villa auch schon als Kitsch verschrien war, wird sie heute rehabilitiert: Mit der illusionistischen Behandlung von innen und aussen, den reflektierenden Lichteffekten und der suggerierten akustischen Untermalung ist sie ein inszenatorisches Gesamtkunstwerk.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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