Zeitschrift

TEC21 2013|41-42
Villa Patumbah
TEC21 2013|41-42
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Repariert, retuschiert, rekonstruiert

Die 1883–1885 errichtete Villa Patumbah wurde von 2010 bis 2013 instand gesetzt. Das Credo von Denkmalpflege, Architekten und Restauratoren war, hervorzuholen und zu schützen, was an Substanz vorhanden ist. Auch rekonstruierende Ergänzungen von Fehlstellen waren kein Tabu. Bereiche, deren Behandlung das Budget überstrapaziert hätten, zeigen sich nun als didaktische Referenzflächen: Verschmutzte neben gereinigten Stuckaturen machen den Alterungsprozess sichtbar, übermalte neben freigelegten ­Deckenfeldern offenbaren die Schadstellen, von späteren Eingriffen ­bedrängte Malereien illustrieren die Verluste – in der Übereinstimmung zwischen Bau und Inhalt eine ideale Stätte für das vom Schweizer Heimatschutz eingerichtete Zentrum für Baukultur.

4. Oktober 2013 - Rahel Hartmann Schweizer
Es waren zwei Aspekte, die die Intervention an der Villa Patumbah zu einem schwierigen Unterfangen machten: erstens die für Zürcher Verhältnisse zum Teil ungewöhnlichen Mate­rialien und zweitens die Unsicherheit darüber, was an originaler Substanz noch aufzufinden sein würde. Chiodera & Tschudy, die – finanziell kaum eingeschränkt – aus dem Vollen schöpfen konnten, taten dies nicht nur, indem sie das Haus mit reichhaltigem, zum Teil vergoldetem Dekor ausstatteten. Sie griffen ausserdem auf – gemessen an der lokalen Bau­tradition – «exotische» oder zumindest nicht heimische Materialien zurück: Carrara-Marmor, Veronese rosso und Solothurner Kalkstein. Als Pioniere agierten sie überdies mit dem ­Einsatz von Keimfarbe, die 1878 eben erst patentiert worden war (vgl. Bauteilkatalog S. 24).

Die mangelhafte Kenntnis des Ausmasses der vorhandenen Originalsubstanz war einerseits der Umnutzung der Villa als Altersheim in den 1970er-Jahren geschuldet, andererseits der nicht eben komfortablen Quellenlage: Detailpläne des Dekors fehlten fast gänzlich, und die vorhandenen Schwarz-Weiss-Fotografien vermittelten naturgemäss nur einen sehr unzulänglichen Eindruck. Zudem wies jeder Raum ein anderes Dekor auf. Für die Restauratoren bedeutete dies, dass sie nicht von dem einen auf das andere schliessen konnten. Da überdies in den letzten Jahrzehnten Wände und Decken im Innern fast ausnahmslos überstrichen oder verkleidet worden waren, mussten sie ausgedehnte Sondierungen vornehmen, um festzustellen, wo mit Malereien zu rechnen sein würde. Auf der architektonischen Ebene und derjenigen des Tragwerks hatte das zur Folge, dass die wohl minimalen, aber notwendigen Eingriffe, um elektrische Leitungen zu ziehen, behutsam geplant und ausgeführt werden mussten.

Work in Progress

Denkmalpfleger, Architekten und Restauratorinnen wählten daher ein situatives Vorgehen für die Instandsetzung. Es gab keine Doktrin, der alles unterworfen worden wäre, mit ­Ausnahme der Vorgabe, so viel wie möglich zu konservieren, zu restaurieren oder gar zu ­rekonstruieren – in Abhängigkeit von Ausmass und Zustand der originalen Substanz, von den finanziellen Ressourcen von 15.5 Millionen Franken beziehungsweise vom zu erwartenden Aufwand und von den technischen/handwerklichen Möglichkeiten. Ausserdem sollte künftig ein ständiger Unterhalt mit einfachsten Mitteln möglich sein, und was im Rahmen der ­Bedingungen nicht freigelegt wurde, sollte gesichert werden, um es – falls Mittel und Wege offenstehen würden – zu einem späteren Zeitpunkt ans Licht holen zu können. Es gab also fünf Interventionsebenen:

– Intakte Flächen galt es mit Massnahmen zu bewahren, die den Reduktions- und Verfallprozess verzögern – möglichst ohne Eingriffe in Struktur, Substanz, Aussehen und Informationsgehalt.

– Restauratorisch sollte interveniert werden, um beschädigte Bereiche – den originalen ­Zustand respektierend – wiederherzustellen. Das bedeutete die vorhandene Substanz wieder zur Geltung bringen und ihren Ausdruck formal und inhaltlich wieder anschaulich und ablesbar machen – etwa mittels Firnisabnahmen und Retuschen.

– Die Rekonstruktion – mit einem Anteil «Neuerfindung» – war Bereichen vorbehalten, deren Lesbarkeit sich sonst nicht erschlossen haben würde bzw. die für das Verständnis der Villa als Ganzes unerlässlich schienen. Hier reichte die Palette vom Ergänzen der Hintergrundfarbe, die es dem Auge ermöglicht, die Fehlstelle zu «übersehen» bzw. das fehlende Stück zu ergänzen, bis zur Rekonstruktion ganzer Elemente bei Fehlstellen, an deren nach­träglichem Anstrich das Auge abgeprallt wäre, wie etwa im Tambour des Treppenhauses.

– Die «Auszeichnung» der Fehlstelle wurde dort praktiziert, wo der Aufwand, das Dekor ­freizulegen, zu gross gewesen wäre – die finanziellen Mittel also Grenzen setzten – oder wo die vorgefundenen Reste zu gering waren. Auch hier gelingt es oft, sich das Ganze vor dem geistigen Auge auszumalen.

– Manche Segmente wurden auch einfach belassen bzw. lediglich gereinigt. Zuweilen schimmern durch solche einst weiss überstrichenen Oberflächen die Malereien durch, oder es wirkt, als fielen von irgendwoher Schatten darauf, und man erahnt ungehobene Schätze.

So bietet die Villa nun Anschauungsunterricht in Denkmalpflege, sie illustriert das gesamte Repertoire auf anschaulichste Weise – ohne Zaunpfahl: Es kann durchaus ­vorkommen, dass man alt mit neu verwechselt …

Neuerfindung im Sinn und Geist der Urheber

Exemplarisch war das Vorgehen in dem von den Nachmietern rosafarben überstrichenen Treppenhaus: einerseits, weil es nahezu kriminalistischen Spürsinns bedurfte, andererseits, weil sich die Denkmalpflege hier an Tambour und Decke die grösste Abweichung von der reinen Lehre gestattete. Die Decke liess erahnen, dass zumindest Reste von ­Malerei zu entdecken waren – sofern sich der Kaliko, mit dem sie bespannt war, würde ablösen lassen. Das Baumwollgewebe, das ursprünglich aus der Buchbinderei stammt, war in der Villa an mehreren Stellen als «Grundierung» für spätere Anstriche verwendet worden. Tatsächlich liess es sich hier relativ leicht entfernen und gab einen passablen Zustand der darunter­liegenden Malereien frei – unter anderem Reste eines gemalten Brunnens. Dessen illusionistische ­Wirkung entfaltete gar etwas arg reale Kraft, gab es doch an der Stelle ­einmal einen Wassereinbruch … Die Brunnenschale wurde denn auch fast vollständig ­rekonstruiert – als reine Schöpfung der Restauratoren. Im Tambour dagegen deutete nichts auf ein darunterliegendes Dekor hin, und auch die ­ersten Sondierungen erbrachten keinerlei Hinweise. Giovanni Menghini, Denkmalpfleger des Kantons Graubünden und vonseiten der Stiftung Patumbah in die Arbeiten involviert, liess sich von diesem Befund indes nicht beirren: Er hielt es für unmöglich, dass aus­gerechnet da, wo die repräsentativen Raumfolgen im EG mit den privaten Gemächern in den Obergeschossen verbunden sind, auf dekorative Malerei verzichtet worden war.

Seine Hartnäckigkeit, ein weiteres Team mit Untersuchungen zu betrauen, lohnte sich: Die nunmehr flächig statt punktuell vorgenommenen Sondierungsschnitte legten Spuren einer Bemalung frei, die sich nach und nach zu einem Gesamteindruck zusammenschliessen ­liessen: die Silhouette eines Löwenkopfs, die Konturen einer Säule und den Schwung einer Volute – alles vor hellblauem, wolkigem Hintergrund. Die einzelnen, zum Teil verstreut ­entdeckten Details wurden auf Pauspapier übertragen, bis die an verschiedenen Stellen gefundenen Reste sich nach und nach zu ganzen Elementen zusammensetzen liessen. ­Dieses Vorgehen sei deshalb verantwortbar, so Menghini, weil schon zur ­Entstehungszeit des Hauses keineswegs jede Säule in freihändiger Manier gemalt wurde – im Gegenteil:
Es gab gelochte Vorlagen, die man – quasi seriell – mit Kohlenstaubbeutel durchpauste.

Die Rekonstruktion inklusive partieller Neuerfindung rechtfertige sich, weil die Art und Weise einigermassen gesichert sei, so Menghini. Ausserdem wäre der Gegensatz einer Unitönung zur Opulenz des Hauses zu gross und für das Publikum nicht plausibel gewesen. Alle ­Innenräume seien in Bewegung – in Farbe, Ornamentik, Stuckatur etc. aufgelöst. Hier aber hätte man vor einer undurchdringlichen Wand gestanden – einem statischen Einschub.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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