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db deutsche bauzeitung 12|2013
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db deutsche bauzeitung 12|2013

Gut gerüstet

Erweiterung des Gymnasiums Oberursel

Auf den ersten Blick erweckt der Erweiterungsbau mit seinen klaren Linien und langen Achsen den Eindruck einer strengen Bildungsanstalt nach altem Muster. Im Detail bietet das Gebäude aber eine Vielzahl von Anreizen, die auf subtile Weise dazu verführen, die Wahrnehmung zu schärfen und sich die unterschiedlichen Raumsituationen anzueignen.

2. Dezember 2013 - Achim Geissinger
Man sieht es diesem Gebäude an, dass ein verständiger Bauherr mit viel Herzblut und Sachinteresse Entwurf und Bauprozess begleitet hat. Die viel gescholtene öffentliche Hand kann so etwas durchaus leisten, und sogar architektonisch unbeleckte Laien: Als es um die Zusammenlegung der drei Standorte des über die Jahre stetig gewachsenen Gymnasiums Oberursel ging, setzte der damalige Schulleiter einen »Arbeitskreis Schulneubau« ein, der Bedürfnisse und Wünsche bündelte und durch die kontinuierliche Begleitung des Bauvorhabens zum kompetenten Partner des Landkreises, des eigentlichen Bauherrn, heranwachsen konnte. Ein kluger Schritt, wollte die Schule doch dezidiert ihre eigenen Schwerpunkte ausbauen, sich gegenüber neuen Strukturen öffnen und sich dabei nicht von Standardlösungen einschränken lassen. Jens Frowerk, ein Mitglied des Lehrerkollegiums, leitet diesen Bauausschuss seit 2006 und lobt die Kreisverwaltung vollmundig als aufgeschlossenes und kooperatives Gegenüber. Und ihm sprüht die Begeisterung aus den Augen, wenn er vom Bauen und vom Ringen um die beste Lösung erzählt. Auch die Architekten sind froh, dass sie innerhalb des klar begrenzten Kostenrahmens (der eingehalten wurde!) zwar nicht in die Vollen gehen, trotzdem aber auf hohem ästhetischen Niveau arbeiten konnten.

Aufgelockerte Strenge

Zur Straßenbahnlinie hin tritt der Neubaukomplex recht unbescheiden mit einem durchgehenden Riegel für die Fachräume auf. Die klare, in eine relativ dunkle »Schutzhaut« aus Glasfaserbetonplatten gekleidete, massiv wirkende Großform erschien so manchem Gemüt allzu beherrschend für die von lockerer Villenbebauung geprägte Umgebung und bedurfte der Erklärung. In Gesprächen über die Vorzüge des Neubaus machten die Vorbehalte aber schnell der Anerkennung Platz. Mit seiner Länge und Ausgestaltung reagiert der drei Geschosse hohe naturwissenschaftliche Trakt sinnfällig auf die Verkehrssituation, betont den Status als Sonderbau und begeht nicht den Fehler, sich wegducken zu wollen. Das hatte der stark untergliederte Altbau von 1913 noch versucht – eine veritable »Penne«, die gestalterisch einen schwer lastenden Heimatschutzstil mit tief herabgezogenen Walmdächern bemüht. Klare Linien setzte Anfang der 90er Jahre ein Erweiterungsbau dagegen; nach außen hin kommt er dem Klischee einer Ortskrankenkasse nahe, erfreut innen aber mit hellen Räumen und einigem zeittypischen Kolorit.

Durch die Investition von insgesamt mehr als 57 Mio. Euro entstand nun, nach dem Abriss verschiedener Pavillonbauten aus den 60er Jahren, ein weiterer Neubau, dessen einzelne Elemente sich nach dem Prinzip einer Stadt in der Stadt um einen annähernd quadratischen, auffallend angenehm proportionierten Hof als zentralem Platz herum gruppieren. Ein aufgeständerter Gang erschließt im Ringschluss alle Bauteile und bildet mit seiner spiegelnden Glasfassade den Gegenpart zu den opaken Ansichten, die den Komplex zur Nachbarbebauung hin abgrenzen. Die bedruckten Scheiben mit ihrem kühlen Minz-Ton lassen den Hof weit und den Himmel darüber besonders groß erscheinen. Teils innen, teils außen aufgedruckte Linien dienen dem Sonnenschutz, ihr Muster erscheint wie ein feiner Vorhang und ergibt beim Vorbeigehen einen lebendigen Rhythmus. Das tut den reichlich streng gestalteten, durch ihren bis zum Maximum geführten Außenbezug aber geräumig wirkenden Erschließungsbereichen gut. Sie sind als Straßen definiert und mit dem Begriff »robust« assoziiert; dazu passt die erfreulich hohe, aber nicht allzu perfekte Sichtbetonqualität von Wänden und Decken.

Zur angrenzenden Einfamilienhausbebauung hin ist die Baumasse in einzelne U-förmige Klassenhäuser mit je einem Innenhof aufgelöst. Die nach unterschiedlichen Themen gestalteten Gartenhöfe bieten Identifikation und ermöglichen Unterricht im Freien.

Innen geht es privat zu: Helle, durch Linoleum, Holzfurnier und einzelne Farbflächen akzentuierte Klassenräume bilden »Gute Stuben«. Zum Flur gibt es wenig, zum Garten hin dafür umso mehr Außenbezug über durchgehende Fensterflächen, deren tiefe Laibung Sitzgelegenheiten bietet.

Zwischen den Fluren tun sich großzügige Ausweitungen auf, die offiziell als Arbeits- und Recherchezonen definiert sind, sich aber am besten als »Quartiersplatz« eignen, zum Sehen, Gesehenwerden, Abhängen, Beobachten, vielleicht auch Lernen, … ganz wunderbare Aufenthaltsbereiche für die Heranwachsenden.

Zu den Materialtönen Weiß, Anthrazit und Wildbirne suchten die Architekten noch fünf gängige Grüntöne für Sonderflächen und Möbel aus, die sich als Leitfarben im gesamten Gebäude wiederfinden und die den Bauausschuss-Leiter Frowerk dazu inspirierten, ein zufällig wirkendes Verteilungsmuster für die Schließfächertüren selbst zu entwerfen – es stellte sich heraus: Gute Gestaltung ist harte Arbeit.

Die unter dem Schulhof tief eingegrabene Dreifeldsporthalle zeichnet sich nach außen nur durch mattierte Glasscheiben und Entrauchungsgitter im Boden ab. Die Oberlichter erscheinen spärlich gesät, lassen bei Sonnenschein aber die ganze Halle tatsächlich auch ohne Kunstlicht taghell werden. Überspannt wird sie von einer Verbundkonstruktion aus ca. 1,5 m hohen Stahlträgern und 16 cm dicken Stahlbetondecken. Ihr Hauptzugang führt entlang der in Trapezblech gehüllten Giebelseite des Verwaltungstrakts (Bestand) in die Tiefe und offenbart mit der bis aufs Äußerste reduzierten Formensprache ein Spezifikum des Oberurseler Gymnasiums: Klare Raumkanten, oberflächenbehandelter Sichtbeton, anthrazitfarbene Geländer, schnörkellose Details und eine beneidenswerte räumliche Großzügigkeit erzeugen einen Eindruck von Erhabenheit, der den hohen Anspruch der schulischen Ausbildung spürbar macht. Von Einschüchterungsarchitektur kann keine Rede sein, den Duft einer höheren Bildungseinrichtung, eine Aura von Bedeutsamkeit verströmen diese Räume dennoch, was sicher auch nicht ohne Einfluss auf die Schüler bleibt.

Eine Steigerung ins fast schon Monumentale lässt sich im sogenannten Musikfoyer erleben, wo die nämlichen Elemente sich zur Galerie mit Ausstellungsvitrinen formen, wo sich der matt-unbestimmte Schein satinierten Glases in den von Hand eingearbeiteten Rillen der Betonwand verliert, in die wiederum mit größter Präzision schmale Türzargen bündig eingelassen sind. Der gestalterische Minimalismus ist hier nicht teuer erkauft, sondern beruht schlicht auf einem sicheren Gespür dafür, mit den zur Verfügung stehenden Elementen richtig umzugehen. Weder die Deckenleuchten noch die zur Schallminderung eingesetzten Lochblech-Baffel machen für sich genommen viel her – zu langen Bahnen zwischen den Betonunterzügen zusammengefasst unterstützt das Gesamtbild aber den festlich-strengen Rahmen, der auf die angrenzende Aula einstimmt. Hier nun spätestens beginnt das Staunen.

Gänzlich in einen gefalteten Paravent aus lasierten Holzplatten gekleidet breitet sich ein gewaltiger Festsaal aus. Er fasst 1000 Personen und damit sogar mehr als die örtliche Stadthalle. Mutig betonten die Architekten seine Hauptdimension, die Horizontale. Von der Glasfassade mit zweiflügeligen Drehtüren kaum gebremst schweift der Blick hinaus auf den Hof, es ergibt sich der Eindruck einer weiten Ebene. Gegenüber öffnet sich ein Bühnenportal, das manches professionelle Theater unbedeutend erscheinen lässt – ganz abgesehen von der allerneuesten Bühnentechnik, die vom Förderforum (Verein der Freunde, Förderer und Ehemaligen des Gymnasiums Oberursel) gesponsert wurde, um dem zertifizierten Status als »Schule mit Schwerpunkt Musik« gerecht zu werden – es kommen vorwiegend Musicals zur Aufführung. Gestalterisch greift auch hier wieder das Phänomen kleiner Kniffe mit großem Effekt: Die leichte Faltung der vorwiegend der Akustik dienenden Holzpaneele macht aus einer Schuhschachtel ein Schatzkästlein, aus dem orthogonalen Raster herausgedrehte Rohrleuchten erzeugen ein Lichtballett. Sicher hätten die zunächst vorgeschlagenen, grünen Stühle noch mehr Lebendigkeit hereingebracht; nach einer Sitzprobe wurde die Wahl der Architekten aber verworfen und durch ein bequemeres Modell in Anthrazit ersetzt. Der Saal wirkt jetzt umso gediegener, was der Zweitnutzung des Raums ein wenig zuwiderläuft: Zur Mittagszeit nehmen hier die Schüler ihre Mahlzeit ein, die – verschließbare – Essenausgabe befindet sich im angrenzenden Flur. Die Doppelbelegung schonte das Budget wie auch der weitgehende Verzicht auf High-End-Produkte. Fassaden und Türen sind guter Standard, so manches Element des Innenausbaus lässt das ästhetische Auge zwar unbefriedigt, wird aber durch den durchdachten Umgang mit Details an anderer Stelle aufgewogen, wie z. B. die Decken-Akustikelemente, die durch ihre exzessive Reihung einen eigenen Raumcharakter und im gesamten Gebäude eine gestalterische Einheitlichkeit hervorbringen.

Einheitlich geregelt ist auch die mechanische Belüftung aller Unterrichtsräume über zentrale Haustechnikanlagen in den UGs, Luft-Erdwärmetauscher und Geothermie liefern Energie, die aktivierten Betondecken lassen sich als Heiz- wie auch als Kühlflächen nutzen, als Richtschnur galt der Passivhausstandard, Regenwasser wird gesammelt, die Flachdächer sind extensiv begrünt.

Zuversicht

Auch wenn die beiden Kernstücke Aula und Musikfoyer nach außen hin erstaunlich wenig in Erscheinung treten, präsentiert sich das gesamte Gebäude nach allen Seiten doch mit einigem Selbstbewusstsein und spiegelt damit den Stolz der Schule selbst wider, der auch in einer dicken Festschrift zum hundertjährigen Bestehen zum Ausdruck kommt. Eine solcherart ausgestattete Lernumgebung würde man Schülern auch andernorts wünschen, wo kein Förderforum mit ehrenamtlicher Hilfe und erklecklichen Summen bereitsteht. Man muss aber sehen, dass das Gymnasium Oberursel nicht nur den Sprösslingen der teuren Wohnlagen am Fuß des Taunus' zur Verfügung steht, sondern auch begabten Schülern aus der ganzen Umgegend bis hinunter nach Frankfurt. Auf dessen Bankentürme können die Schüler beim Erklimmen der Boulderwand hinabschauen und darüber nachsinnen, ob der musische Schwerpunkt, den sie wählten, nicht vielleicht einen Ausweg aus unserem ungleichgewichtigen Wirtschaftssystem weisen kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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