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db deutsche bauzeitung 01-02|2014
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Kulturleistung

Die vier Haltestellen des City-Tunnels in Leipzig

Auch die Planungs- und Bauzeit dieses Leipziger Großprojekts war von mehr oder minder berechtigten Einwänden begleitet. Lohnt sich die Aufwendung von 1 Mrd. Euro für eine hauptsächlich von Regionalbahnen genutzte Durchmesserlinie? Liegen die vier innerstädtischen Stationen nicht zu nah beieinander? In Sachen Gestaltung darf man jedoch zufrieden sein. Der architektonische Anspruch hat die 15 Jahre bis zur Einweihung überstanden und legt die Messlatte hoch für alle anstehenden Bauprojekte der Bahn.

24. Februar 2014 - Andreas Wolf
Für die Leipziger ist die Architektur ihres Hauptbahnhofs das urbane Maß der Dinge. Mit 300 m Länge deutlich zu groß für den vis-a-vis gelegenen Stadtkern dient er der Halbmillionenstadt als unzweifelhafter Beleg großstädtischer Bedeutung. Mit gespannter Skepsis wurde deshalb die zehnjährige Bauzeit des neuen Tiefbahnhofs samt City-Tunnel begleitet, der eine direkte Verbindung zum südlich gelegenen ehemaligen Bayerischen Bahnhof bietet. Nach seiner Inbetriebnahme im vergangenen Dezember zeigt sich nun, dass mit dem City-Tunnel nicht nur eine funktional wie räumlich überzeugende Optimierung des Hauptbahnhofs, sondern mit den Stationen Markt, Wilhelm-Leuschner-Platz und Bayerischer Bahnhof beeindruckende neue Entrees zur Leipziger Innenstadt gelungen sind.

Rückblickend wirkt alles ganz reibungslos: Ein Planfeststellungsverfahren ohne Wutbürger und gerichtliche Auseinandersetzungen – heute undenkbar – war in den frühen Nachwendejahren Ostdeutschlands durchaus üblich. Zudem blieb das zu D-Mark-Zeiten schon als »Milliardenprojekt« bezeichnete Vorhaben noch knapp im dreistelligen Millionenbereich – nun allerdings in Euro. Dass die Stadt an der veritablen Kostensteigerung von ca. 400 Mio. Euro gar nicht und an den Gesamtkosten nur im Promillebereich beteiligt war, kommt dabei dem Selbstverständnis der gewitzten Westsachsen durchaus entgegen.

In diesem positiven Gesamtbild treten die krisenhaften Momente inkompetenter Geschäftsführung und Kostenkontrolle in den Hintergrund und verblassen gar vor der Präsenz des realisierten Ingenieurbauwerks, das nicht nur in Zahlen und Fakten, sondern v. a. auch räumlich zu überzeugen weiß. Denn Schildvortrieb und offene Schachtung, Deckel- und Sohle-Wand-System, Aussteifung und Verankerung variierten nicht nur in der komplexen ingenieurtechnischen Umsetzung, sondern zeigen sich auch im fertigen Bauwerk als unmittelbar Raum und Form bildende Größen. Kreisprofil und eleganter Schwung der Tunnelröhren kontrastieren mit voluminösen Stationshallen, gedrungene Durchgänge mit einladenden Lichthöfen. Zudem bedingt die beträchtliche Tunneltieflage von 20 m lichte Raumhöhen von über 15 m und ermöglicht quasi sakrale Gebäudequerschnitte.

Schwer zu sagen, wo genau Einfluss und Gestaltungskompetenz der baubeteiligten vier Architekturbüros begannen, denen die als »Innenausbau« bezeichnete Gestaltung der Haltepunkte oblag. Eine angesichts ihrer öffentlichen Präsenz und Sichtbarkeit interessante Bauaufgabe, die bereits 1997 im Rahmen eines eingeladenen Ideenwettbewerbs ausgelobt wurde. Dabei sollte die Einzelvergabe der Haltestellengestaltung den technisch-anonymen Charakter einer reinen Verkehrsinfrastruktur verhindern und zur Ausbildung identifizierbarer Orte führen. Fast plakativ unterscheiden sich nun die realisierten Stationen in formaler Handschrift und Materialität, wobei die 16 Jahre zwischen Entwurf und Realisierung deutlich werden: Eine Fahrt durch den neuen Leipziger City-Tunnel ist – auch – eine Architekturreise durch die 90er Jahre.

Gravitätisch

Hentrich, Petschnigg & Partner HPP verpflichten sich der Aufgabe, den neuen »Hauptbahnhof tief« auszubauen und in das historische Bestandsgebäude einzubinden. Plausibel greifen sie hierzu das formale Repertoire des in früheren Jahren ebenfalls von HPP unter dem Querbahnsteig realisierten Einkaufszentrums »Promenaden« auf und arbeiten wieder mit einer großformatigen Öffnung der Bahnsteigebene. Dieser typologisch etwas unscharf »Atrium« genannte Bereich übernimmt mit Rolltreppen und Aufzug die Haupterschließung und lässt großzügig Tageslicht und Sichtbeziehungen zu. Während die leichte Böschung der Wände eine gelungene Geste zur Dramatisierung des tiefen Einschnitts ist, bleibt das Verhältnis zur historischen Bahnhofshalle ungeklärt. Besonders fraglich erscheint der gläserne Aufzugsturm, der den an sich reduzierten Eingriff in das Baudenkmal konterkariert und nun als unbedeutende Vertikale in das monumentale Hallenjoch ragt. Statt eines Auftakts stellt sich hier ein Gefühl unschöner Leere ein.

Auf der unteren Bahnhofsebene setzen dickleibige Säulen die schwere Tektonik des Atriums fort. Diesem postmodernen Ansatz entspricht die horizontal gestreifte Wandbekleidung aus Kalkstein, der polierte Kanneluren aufweist und mit hellbraunen Acrylfugen sowie hohen Edelstahlfußleisten verbaut ist. Der südliche Bereich des in seiner Länge für ICE-Züge tauglichen Bahnsteigs erstreckt sich unter dem Bahnhofsgebäude hindurch bis in die vorgelagerten Verkehrsflächen. Diesem statisch wie funktional schwierigen Bauraum sind die hier niedrigen und weitgehend unbelichteten Erschließungsbereiche geschuldet, deren komplexe Höhenentwicklung und Wegeführung sich dem Passanten zwar nicht leicht erschließen, aber immerhin kürzeste Verbindungswege zu Straßenbahn und Innenstadt leisten.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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