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db deutsche bauzeitung 10|2014
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db deutsche bauzeitung 10|2014

Im Sinne der Sinnlichkeit

Archäopark Vogelherd, Niederstotzingen

Die Tierfiguren aus der Vogelherdhöhle zählen zu den ältesten Kleinkunstwerken der Menschheit. Eine Auswahl davon wird nahe der Fundstelle in einem sichelförmigen Sichtbeton-Gebäude gezeigt, das in einen weich geschwungenen Grashügel eingebettet liegt und dessen Glasfront wie ein Schaufenster den Blick auf den gegenüberliegenden Hang mit der Höhle eröffnet. An dem hochästhetisch gedachten Gestaltungskonzept reiben sich verschiedene Auffassungen, wie die Besucher angelockt und unterhalten werden sollen.

5. Oktober 2014 - Achim Geissinger
Erste Überlegungen zur Erschließung des Geländes hatte es bereits im Rahmen eines Semesterentwurfs am Städtebau Institut der Universität Stuttgart gegeben, bei dem sich die Studierenden einige Mühe gaben, landschaftsverträgliche Lösungen zu erarbeiten. Die Erkenntnisse daraus kamen der Mehrfachbeauftragung zugute, die von der Stadt Niederstotzingen kurze Zeit später in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Lehrstuhl ausgelobt wurde. Der Siegerentwurf der Münchener Architekten Ritter Jockisch greift fast gar nicht in das Gelände ein, lediglich zwei Betonportale in einem grasbewachsenen Wall – und inzwischen einige Außenmöbel – künden von der baulichen Überformung des Geländes. Die erforderlichen Räume für Ausstellung, Café, Büro, Sanitäreinrichtungen und Lagerfläche liegen in einem sichelförmigen Gebäude aufgereiht, das nach außen hin komplett erdbedeckt ist, sich zur anderen Seite aber über boden- und deckenbündige Verglasung zu einem kreisrunden Hof hin gänzlich öffnet und das Panorama des Vogelherdhügels stets präsent hält. Diese bergende Geste fasst den Freibereich und den gegenüberliegenden Hügel zu einer überschaubaren Landschaftseinheit zusammen, die dem Duktus des kleinräumlich strukturierten Landstrichs entspricht und die eine gewisse Heimeligkeit spüren lässt. Das gesamte Konzept ist darauf ausgelegt, den Charakter des von Feldern, Wiesen, Büschen und Baumgruppen geprägten Geländes zu erhalten und als Wert für sich erfahrbar zu machen. Das beginnt schon mit dem langen Fußweg vom Parkplatz her, der eine gewisse Entschleunigung erzwingt. Das gefällt nicht jedem, stimmt aber bereits auf den Rundweg ein, der vom Gebäude aus den Karsthügel mit der darin versteckt liegenden Vogelherdhöhle erschließt und, en passant, auch eine Reihe von instruktiven Stationen, bei denen sich die Besucher z. B. in Speerwurf, Feuermachen oder Ausgraben üben können. Die Planer bauten – eingedenk der dünnen Erkenntnislage in Bezug auf so manchen Aspekt steinzeitlicher Lebensumstände – ganz auf die Kraft der eigenen Wahrnehmung und entwickelten für den Ort eine unaufdringliche Motivik des Spürens, Verfolgens, Entdeckens. Dazu gehört ein minimalistisches Gestaltungskonzept, das alle falschen Anklänge an Behaglichkeit umgeht und stattdessen mit zeitgenössischen Mitteln Analogien zum Leben in einer Höhle sucht. Dazu gehört die Idee, die Räume gefühltermaßen unter die Erde zu legen, sie weitgehend nur mit einem Material, nämlich Sichtbeton zu gestalten, diesen als festen und sicheren »Rücken« zu definieren und nur eine Blickrichtung, hinaus auf den geschützten Hof zuzulassen.

Ein kleiner Ausstellungsbereich gibt inhaltliche Orientierung über die zeitliche Einordnung der Funde und somit die Bedeutung des Orts. Dem Höhlenmotiv folgend, führt von hier eine kurze Rampe in einen abgedunkelten Raum hinab, das Herzstück der Ausstellung, die mit Stahltüren gesicherte »Schatzkammer«, in der zwei der originalen Fundstücke präsentiert werden, darunter das einzig vollständig erhaltene Stück, ein 3,5 cm kleines Mammut aus Mammutelfenbein. Die beiden extrem kostbaren Exponate – sie sind etwa 40 000 Jahre alt und gehören zu den ältesten bislang bekannten Kunstwerken der Menschheit – sind in jeweils einer klimatisierten Vitrine untergebracht und stimmungsvoll beleuchtet. Zur Szenografie gehört auch die beiläufige Projektion eines Films, der einen Elfenbeinschnitzer bei seinem Tun zeigt. Glücklicherweise erwies sich der gelieferte Beton als hell genug, um ohne separate Projektionsflächen auskommen zu können – aufhellende Zuschläge wären unerschwinglich gewesen.

Kleinod unter Verwertungsdruck

So manches war allerdings in der Tat unerschwinglich. Die Gemeinde Niederstotzingen kann ein solches Projekt kaum aus eigenen Mitteln bestreiten. Es greift aber das Programm LEADER, mit dem die EU und das Land Baden-Württemberg innovative Projekte zur Stärkung des ländlichen Raums fördern. Dem Archäopark wurden reichlich bemessene 750 000 Euro zugesprochen, allerdings unter der Bedingung, die Bausumme von 1 Mio. Euro nicht wesentlich zu überschreiten. Der Wettbewerbsentwurf musste, von diesem knappen Budget ausgehend, quasi rückwärts gerechnet werden. Wer genau hinschaut, kann das z. B. an der Gebäudegeometrie ablesen. Natürlich wurde zunächst überlegt, das Gebäudedach in Schalenform zu erstellen.

Das Einschalen wäre aber viel zu aufwendig geworden und das alternativ überlegte Zusammenfügen aus Fertigteilen hätte den monolithischen Eindruck empfindlich gestört. So hat man die Decken folgerichtig horizontal gegossen, sich dadurch u. a. komplizierte Fassadenanschlüsse gespart, aber eben auch eine gerade Trauflinie erhalten, die nicht so recht zum Schwung der Anlage passen will und einen unschönen, wenn auch subtilen Knick am Übergang zu den ins Gelände auslaufenden Wangen ergibt.

Den Sparzwang merkt man aber v. a. an Tagen mit hohen Besucherzahlen, wenn das Haus räumlich an seine Grenzen stößt, das Café voll besetzt, der Nassbereich belagert und der Zugang nur noch schwer zu überwachen ist. Die Betreiber würden dann gerne noch mehr Programm anbieten als ohnehin schon. Ein als überdachte Feuerstelle gedachter Außenraum wird seit jeher mit einer Bärenjagd-Performance bespielt. Eine weitere Grillstelle wurde in Betrieb genommen. Noch in der Vorplanung wurde eine – heute sehr gerne genutzte – Terrasse in den Wall eingefügt, die Ausschank auch ohne Eintrittskarte erlaubt, leider aber in Konkurrenz zum suggestiven, tunnelartigen Haupteingang steht. Und auch das Freigelände wird noch die eine oder andere Attraktion aufnehmen müssen, von der die Betreiber wissen, dass sie weitere Besucher anlocken und auf dem Gelände halten wird. Den durchschlagenden Erfolg des Archäoparks hatte man zwar erhofft, aber nicht wirklich vorhersehen können.

Entsprechend müssen Architektur und Gestaltungskonzept einiges aushalten. Innen geht das bisweilen ganz gut; die formale Zurückhaltung und die geradlinige Möblierung bieten einen neutralen Hintergrund für das bunte Treiben. Technische Einbauten und Leitungen verschwanden allesamt im Beton, die Energie aus der Luft-Wasser-Wärmepumpe wird über eine Fußbodenheizung verteilt. Der Außenraum hingegen wird es schwerer haben, denn schon drängen allerlei Aufsteller, Selbstgestaltetes, alle Arten von Außenmöbeln und bisweilen auch Firmen mit ihren Logos ins Bild.

An stilleren Tagen zeigt sich der Archäopark als unaufgeregter Ort, der die Besucher sanft lenkt und ihnen viel Freiraum für eigene Gedanken und Erfahrungen lässt. Das Entdecken steht dann im Vordergrund. So werden z. B. die im Gelände verstreuten Kautschuk-Würfel mit eingetieften Kurztexten zu wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen zu echten Fundstücken.

An den belebten Tagen hingegen ist zu spüren, dass nicht jeder Besucher mit dieser sublimen Herangehensweise etwas anfangen kann oder sich darauf einlassen will. Mit ihrem Konzept haben die Architekten eine nahezu poetische Sprache gefunden, um dem Charakter und der Bedeutung des Orts wie auch der Subtilität der hier gefundenen Kunstwerke nahezukommen. Für sich genommen rundum lobenswert, zumal Ritter Jockisch viele übers Ziel hinausschießende Ideen abwehren und die Qualität ihrer eigenen Vorstellungen vermitteln konnten. Um der Gefahr eines Zuschussgeschäfts zu entgehen, hat der Bauherr den Archäopark jedoch nicht als Museum definiert, sondern als Freizeitpark. Man kann dadurch breitere Schichten ansprechen und das Gelände wirtschaftlich bespielen. Wer mag nun entscheiden, welche Haltung die richtige ist?

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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