Zeitschrift

anthos 2017/03
Partizipation
anthos 2017/03
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Gebündelte Power in Teilhabeprozessen

Teilhabe in Planungsprozessen verstehen wir als integrative Chance für die Profession im Sinne eines geweiteten Berufsverständnisses. Im direkten Kontakt mit der Bevölkerung ergibt sich die Möglichkeit, die Planungskultur und das Bewusstsein beteiligter Akteure weit mehr zu prägen, als es oftmals durch das gebaute Resultat selbst möglich scheint.

15. September 2017 - bauchplan ).(
Längst haben sich Politik, Planung und Verwaltung die Beteiligung lokaler Akteure als Methode angeeignet, um die Emanzipation der Bürgerschaft oder eines Projekts voranzutreiben sowie die Legitimationsebene zu erhöhen.

Nicht selten liegt auch die Hoffnung zugrunde, kraftzehrende, verspätete Abstimmungen und auf Protesten basierende Überarbeitungsdurchgänge von Beginn an in einem zeitlichen und ökonomischen Rahmen zu fassen.

Unser Ansatz geht weiter: Wir sind davon überzeugt, dass partizipative Planung zu lokal verankerteren, akzeptierteren und oftmals besseren Lösungen führt.

Zu Projektbeginn stellen wir uns jeweils die ­strategische Frage, ab welcher Ebene Beteiligungs­prozesse sinnvoll sein können. Den heutigen Planungsaufgaben entsprechend sind partizipative Verfahren nicht seriell; als Experten des Alltags bringen Bürger ihr Know-how ein. Für moderierende Planer erschliessen sich neue Parameter und die Chance auf eine hohe Spezifität im gebauten Resultat. Gezielte Aktivierung und angemessene Beteiligungsformen dienen dazu, jenseits von Wutbürgern dezidiert spätere Nutzer anzusprechen und zielgerichtet in den Prozess einzubinden.

Nicht selten treten in den Gegenüberstellungsprozessen allgemeiner und individueller Interessen partikulare Wortmeldungen gewichtig auf, während andere bereichernde Inputs zaghaft artikuliert und in der Folge nicht entsprechend wahrgenommen werden. Prinzipiell hat sich ein spielerischer Zugang in Beteiligungsverfahren bewährt, um Interessen in der Moderation gleichberechtigt abwägen zu können. Nicht selten jedoch gelingt es nur über zusätzliches, professionell ausgebildetes Personal, einzelne Akteure aus fortlaufenden Prozessen partiell herauszunehmen, ihre Sorgen aufzunehmen und ihre Emotionen abzufedern.

Rechtliche Herausforderungen

Wie die Verfahren zur Beteiligung ist auch deren rechtlicher Status noch nicht definiert. Derzeit versuchen Städte wie Stuttgart oder Wien mittels Selbstverpflichtungen klare Rahmenbedingungen für ­transparente Prozesse zu formulieren. In die Honorarordnungen der planenden Berufe haben Teilhabe-Verfahren bislang höchstens als besondere Leistungen Einzug gehalten. Doch wie weit werden im Prozess gewonnene Erkenntnisse und getroffene Entscheidungen für Planer und Öffentlichkeit bindend?

Im Zuge der Planung der neuen Böblinger Fussgängerzone wurden durch Bevölkerung, Politik und Verwaltung über Gestaltungskataloge, Gutachten, Exkursionen und 1:1-Bemusterungen Entscheidungen bis in die Materialebene getroffen. Mithilfe petrochemischer Beschreibungen sowie intensiver rechtlicher Beratungen gelang es – für Freianlagen in Deutschland erstmalig – die getroffene Entscheidung hinsichtlich der gewählten Natursteine gemäss europäischem Vergaberecht in einer öffentlichen Ausschreibung zur qualitativen Vergabegrundlage zu machen. Für ein besonderes Projekt kann ein derartig aufwändiger Weg mit entsprechendem Engagement beschritten werden, doch der aussergewöhnliche Zeitaufwand baut sich durch den Informationsgewinn aus Partizipationsprozessen unter Umständen sogar zum beruflichen Risiko aus: Im Beteiligungsprozess im fränkischen Markt Erlbach wurden für den historischen Ortskern gemeinsam mit den Anrainern unter fachlicher Begleitung des Denkmalschutzes Fassadensteckbriefe erstellt. Rechtlich ungeklärt ist jedoch der Status dieses, für den Entwurf wesentlichen Erkenntnisgewinns. Damit bleibt für uns als Planer die Fragestellung offen, ob etwa bei Unklarheiten in der späteren Umsetzung die in der Beteiligung erarbeiteten Informationen als rechtlich belastbare, ergänzende Planungsgrundlagen gewertet werden.

Gebauter Kompromiss

Wie überführt man aktive Beteiligungsprozesse über die Projektrealisierung hinaus in funktionierende Nachbarschaften? Grundsätzlich betrachten wir Planen, Bauen und Nutzen als phasenverschobene Interpretationsvorgänge. Somit ist das bauliche Resultat unmittelbar an seinen Entstehungsprozess gekoppelt. Um das partizipative Engagement der Bürger auch während einer möglicherweise langen Bauphase nicht zum Erliegen zu bringen, hat sich ein fortlaufender Informationsfluss hinsichtlich der Detaillierung gemeinsamer Ideen oder auch durch regelmässig angebotene Baustellenspaziergänge als hilfreiches Werkzeug erwiesen. Öffentlich(keit) bauen bedeutet dann auch einen neuen Fokus für Bauleiter und ausführende Firmen. Als Planer können wir durch eine Erstinterpretation des zurückgegebenen Freiraums möglicherweise weitere Lesarten für spätere Nutzer erschliessen. In kleineren Projekten entstanden aus dem in der Beteiligung entfachten Engagement nicht selten Initiativen, die auch Jahre nach der Fertigstellung weite Teile des Unterhalts über kollektive Pflege-Events eigenständig abdecken.

Im mittlerweile vielfach ausgezeichneten Münchner Wohnbauprojekt WagnisART entstand so aus der anfänglichen Interessens-Genossenschaft «Leistbarer Wohnraum in Innenstadtnähe» über den intensiv kultivierten Austausch während der Planungs- und Bauphase eine echte Nachbarschaft, die heute für BesucherInnen wie ein eingespieltes, kleines urbanes Gefüge interagiert.

Teilhabe als ein Gegenüberstellen von Einzel- und Kollektivinteressen bereichert unseren Planungsalltag und im Optimalfall das gebaute Resultat sowie dessen Akzeptanz. Freiräume lassen sich so prototypisch als gebauter Kompromiss entwickeln. Das klingt in vielen Ohren nach qualitativen Abstrichen und architektonisch keinesfalls erstrebenswert. In einer demokratischen Gesellschaft jedoch muss der Interessensausgleich auch bei uns Planern als höchstes Gut ausverhandelter Qualitäten Fuss fassen. Um mit Luigi Snozzi zu enden, ergibt sich daraus die verantwortungsvolle Aufgabe, nicht nur einen Beitrag zum Bau der Gesellschaft zu leisten, sondern das Bauen mit der Gesellschaft zu kultivieren. Die Kunst wird es in komplexen Aufgabenstellungen daher weiterhin sein, die Gestaltungshoheit mit entsprechender Kompetenzteilung aufrechtzuerhalten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

Tools: