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db deutsche bauzeitung 12|2017
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Wege in die Geschichte

Tirpitz-Museum in Blåvand (DK)

Ein neues Museum an der jütländischen Küste setzt sich mit dem unter deutscher Besatzung entstandenen Atlantikwall auseinander. Das zum überwiegenden Teil unterirdisch in die Dünenlandschaft eingefügte Ausstellungsgebäude reagiert antithetisch auf den benachbarten Bunker und schafft ein überzeugendes, zeitgenössisches Gegengewicht.

1. Dezember 2017 - Ulrike Kunkel
Der Leuchtturm von Blåvandshuk im Südwesten Jütlands markiert den westlichsten Punkt Dänemarks. Die langen Sandstrände machen die Gegend zu einer beliebten Ferienregion, wozu zweifelsohne auch der Umstand beiträgt, dass man mit dem Auto von der deutschen Grenze aus nur zwei Stunden hierher benötigt. Die Fahrt geht an Esbjerg vorbei, man umrundet die Bucht von Ho, passiert das mit Cafés, Geschäften und Supermarkt auf die Versorgung von Touristen ausgerichtete Blåvand und gelangt dann, die Dünen- und Heide­landschaft durchquerend, zum Strandparkplatz am Leuchtturm. Unweit von diesem steht in den Dünen ein weiterer Turm. Es handelt sich dabei um den Betonunterbau einer Funkmessanlage aus der Zeit der deutschen Besatzung – weithin sichtbares Zeichen für die strategische Bedeutung, die dieser Region Dänemarks beigemessen wurde.

Durchstreift man die Dünen, so sieht man überall Überreste deutscher Befestigungsanlagen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Auch der Strand ist übersät mit Bunkern, Resten einer Heeres-Küstenbatterie, die, da direkt auf dem Sand betoniert, z. T. in den Boden eingesunken sind und wie gestrandete Wale erscheinen. Bei den Befestigungsanlagen handelte es sich um Teile des Atlantikwalls, der auf Befehl Hitlers zwischen 1942 und 1944 entstand und sich von der französisch/spanischen Grenze bis zum äußersten Norden Norwegen erstreckte. Ziel der niemals fertiggestellten Verteidigungslinie war es, die Westflanke des Deutschen Reichs und der von Deutschland besetzten Länder vor einer vermuteten Invasion der Alliierten zu schützen. Als diese sich tatsächlich im Juni 1944 ereignete, erwies sich der Atlantikwall als völlig wirkungslos: Die Landemanöver zielten auf wenig befestigte Strandabschnitte ab und nicht auf die gesicherten Hafenstädte und erfolgten auch nicht wie vermutet an der schmalsten Stelle des Ärmelkanals. Und einmal überrannt, waren die statischen Befestigungen des Walls aufgrund der geringen Verteidigungstiefe ohne jeglichen Nutzen. So wurde noch im Juli 1944 mit ­einer weiteren Verstärkung der Festungsanlagen begonnen, der sogenannten »Tirpitz-Stellung« (Tarnname: Vogelnest).

Teile der Stellung wurden nach dem Krieg beseitigt, doch die beiden gewal­tigen Geschützbunker blieben in den Dünen erhalten. Im südlichen wurde 1991 eine kleine Ausstellung über den Atlantikwall eingerichtet. Auf Dauer befriedigte die Präsentation jedoch nicht, und außerdem wünschten sich die Verantwortlichen weitere Ausstellungsfläche für küstenbezogene Themen, um die Attraktivität des Orts zu stärken. So entschied man 2012 die Errichtung eines eigenen Museumsgebäudes in der Dünenlandschaft in unmittelbarer Nachbarschaft des Bunkers und beauftragte das dänische Architekturbüro BIG, das wohl am stärksten Garant dafür war, den Slogan, der heute auf der Homepage prangt, »En topattraktion i verdensklasse« (Eine Weltklasse-Top­attraktion) Wirklichkeit werden zu lassen. Tirpitz, wie das neue Museum heißt, wurde am 30. Juni dieses Jahres nach dreijähriger Bauzeit eingeweiht. Die Finanzierung wurde größten Teils durch Stiftungen ermöglicht.

Ober- und Unterwelt

Bjarke Ingels ist ein brillanter Promotor seiner Architektur. Es gelingt ihm, auf komplexe Fragestellungen Antworten zu finden, die, weil unerwartet, zunächst ­irritieren, aber dann dadurch überzeugen, dass sie so bildhaft und klar sind, als hätte es nie eine andere Lösung geben können. Vielleicht ist das von ihm gerne für das Tirpitz-Museum verwendete Bild einer kreuzförmig eingeschnittenen gebackenen Kartoffel, die unter der Schale ihr weiches Inneres zeigt, allzu platt, aber tatsächlich erweist sich der neue Baukörper als Antithese zum Bunker: Während dieser massiv ist, sich hermetisch zeigt und als Fremdkörper in der Dünenlandschaft steht, stellt sich das Museum filigran und offen dar und ist in seinen wesentlichen Teilen in den Boden eingetieft, mithin unsichtbar, und verschmilzt mit der Landschaft. Vom Parkplatz aus führt ein geschwungener Weg am Bunker vorbei durch die Dünenlandschaft. Von Süden aus betritt man das Areal des neuen Ausstellungsbaus. Dieses gibt sich durch vier Einschnitte in einer künstlichen Topografie zu erkennen: Von allen vier Himmelsrichtungen aus führen gerade Wege windmühlenartig versetzt auf einen zentralen Platz zu. Die Wege werden von Glasfronten flankiert, die zum Platz hin kontinuierlich bis auf eine Höhe von max. 6 m ansteigen und letztlich die Seitenwände von prismatischen Oberlichtern bilden, deren diagonal geführte Dächer von Erde bedeckt sind.

Oberirdisch ergibt sich die Struktur einer versetzt, entlang der Kanten aufgeschnittenen Pyramide. Vermittels einer Stahlbrücke hinter der Tür im nordöstlichen Prisma gelangt man zum Kassentresen, neben dem sich auf gleicher Ebene das Café befindet. Ein diagonaler Treppenlauf leitet hinunter zum Foyer, das direkt unter dem zentralen Platz auf der unteren Ebene liegt und den Zugang zu allen Ausstellungsbereichen ermöglicht. Hier wiederholt sich der oberirdische Grundriss: Vier rechteckige Säle gruppieren sich um das zentrale Foyer.

Verbindungsgänge und Nebenräume trennen diese vier Ausstellungsbereiche voneinander, doch lassen sie sich bei Bedarf auch mittels rückwärtigen Durchgängen ringförmig zusammenschalten. Betreten werden die Säle aber üblicherweise vom Foyer aus: Die vier Wände sind drehbar gelagert. Damit öffnen sich Zugänge für die Besucher und zugleich dringt – sofern die »Oberlichter« nicht verdunkelt sind – auf diese Weise Licht in das ansonsten tiefdunkle Foyer ein.

Ein Blick auf den Grundriss verdeutlicht die überaus logische Grundstruktur: Ein rechteckiges Betonvolumen wird durch die vier windmühlen­flügelartig angeordneten Säle untergliedert. Die schräg geführten Decken, ebenfalls vor Ort betoniert, kragen im EG zur Mitte hin freitragend aus und bilden die Unterkonstruktion der prismatischen und bewachsenen Hügel, die jeweils zweiseitig zum Eingangshof hin verglast sind. Zum Sichtbeton der Konstruktion treten auf der Ausstellungsebene gewalzte Stahlplatten als Bekleidung der nach innen orientierten Wände. In verwandelter Form nutzt BIG also die Baumaterialien des Bunkers, der ja den eigentlichen Grund für die ­Errichtung des Ausstellungsgebäudes darstellt und den man über den nach Süden führenden unterirdischen Gang erreicht. Der Bunker ist zweigeschossig, von 3,5 m ­dicken Betonmauern umgeben – insgesamt wurden dort rund 2 000 m³ Beton verbaut – und hätte eigentlich als Unterkonstruktion für den Geschützturm mitsamt den beiden Kanonen dienen sollen. Die Nebenräume, die den Zentralraum auf allen vier Seiten umgeben, waren für tech­nische Einrichtungen sowie als Lagerräume für Munition und Zünder vor­gesehen.

Inszenierung als Obsession

Die Gestaltung aller Ausstellungsbereiche wurde dem in Utrecht ansässigen Büro Tinker Imagineers übertragen. Dies setzte ein Konzept um, das völlig auf Texttafeln und Beschriftungen verzichtet. Sämtliche Informationen werden an Audiostationen über individuelle Audioguides abgerufen. Diese Art der Vermittlung ist Geschmackssache, bringt aber auf jeden Fall ein etwas ratloses Zappen mit sich, da es viele Hörstationen gibt und man nicht recht weiß, wo wichtige Informationen und wo eher Nebensächliches vermittelt wird. Im Übrigen treten die niederländischen Gestalter getreu ihrem Büronamen nicht als Szenografen auf, die Objekte in Szene setzen, sondern als »Imagineers«, die Erzählungen erfinden und Bildwelten dazu erschaffen. Besonders penetrant wirkt das im Ausstellungsbereich »Geschichten der Westküste«, der ohnehin schon mit Ausstellungselementen überfrachtet ist und alle halbe Stunde einem Sound- und Lichtspektakel Raum bietet, in dem sich Projektionen und dreidimensionale Elemente mischen. Die zweite Ausstellung (»Gold der Westküste«) ist dem Thema Bernstein gewidmet, die dritte (»Eine Armee aus Beton«) den Menschen am Atlantikwall. In einer Szenografie, die den versinkenden Bunkern am Strand von Blåvandshuk nachempfunden ist, kann man sich anhand der Biografien von sechs Personen in die Zeit zurückversetzen, in welcher der Wall gebaut wurde. Es geht um einen jungen deutschen Marinesoldaten, der Rommel bewundert, einen anderen Deutschen, der als Deserteur von Dänen versteckt wird sowie einen dritten, der sich in die dänische Küchenhilfe Anna verliebt. Und dann ist da noch Nielsen, der als dänischer Ingenieur im Auftrag der Organisation Todt Bunker baut und Anna, deren Eltern wegen des Festungsbaus ihr Haus verlieren …

Der vierte Ausstellungsbereich, eigentlich für Sonderausstellungen vorgesehen, dient derzeit als Auditorium. Da hier keine Einbauten vorgenommen wurden, zeigt er das räumliche Konzept von BIG und seine von außen kaum zu ahnenden Dimensionen am deutlichsten: 10 560 t Beton und 600 t Armierungsstahl wurden verbaut. Die Architekten aus Kopenhagen haben ein robustes Konzept entwickelt, das im Ausstellungsbereich eine hohe Flexibilität gewährleistet, auf den Bunker intelligent mit einer antithetischen und komplementären Strategie reagiert und überdies überzeugend in die Dünenlandschaft eingefügt ist. Durch die versetzten Wege ist der Hof im Zentrum windgeschützt und wird in diesen Tagen Anfang November trotz stürmischem Wetter und sich ballenden Wolkenformationen als Picknickplatz frequentiert. Man kann das Gelände dann in alle Richtungen verlassen – oder auch auf die Dächer hinaufsteigen und über die Landschaft blicken.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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