Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 2018|1-2
Bauen für Kinder
db deutsche bauzeitung 2018|1-2

Ordnende Räume

Montessorizentrum in Freising

Das Gebäudeensemble aus Kita und Schule des Montessorizentrums in Freising bei München zeigt sich nach außen hin eher unscheinbar. Im Innern der beiden Baukörper jedoch offenbaren sich klar strukturierte und gut gestaltete Räume, die neben dem Lernen insbesondere das kreative Miteinander von Pädagogen und Kindern in den Mittelpunkt rücken.

2. Februar 2018 - Roland Pawlitschko
Pisa-Schock, überfrachtete Lehrpläne, zu große Klassen, Lehrer- und Platzmangel haben das Vertrauen in öffentliche Schulen erschüttert. Laut Bildungsbericht 2016 besuchen inzwischen fast 9 % aller Schüler in Deutschland Schulen freier Träger. Neben kirchlichen Einrichtungen und Waldorf-Schulen verzeichnen insbesondere die Montessori-Schulen, wachsenden Zulauf. Der pädagogische Ansatz, den die Ärztin, Reformpädagogin und Philosophin Maria Montessori zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründete, hat auch gut 100 Jahre später nichts von seiner Gültigkeit verloren. Er betrachtet Kinder als individuelle Persönlichkeiten, die keine standardisierten Lehrpläne, sondern freie Entfaltungsmöglichkeiten brauchen. Wesentliches Merkmal dieser Pädagogik ist daher das Eingehen auf die wechselnden, entwicklungsabhängigen Lerninteressen und sensiblen Lernphasen jedes einzelnen Kindes. Zusammen mit den eingesetzten Montessori-Unterrichtsmaterialien, wie z. B. numerische Stangen, Perlen oder trinomische Würfel, übernimmt das Schulhaus dabei die Rolle der »vorbereiteten Umgebung«, die das selbstständige, selbstbestimmte und soziale Lernen und die Persönlichkeitsentwicklung fördert. Träger des Montessorizentrums in Freising ist ein gemeinnütziger Verein, den engagierte Eltern 1986 gründeten, um kurz darauf in den Räumen des katholischen Palotti-Hauses in Freising zunächst eine Grundschule und einen Kindergarten zu betreiben. Einige Jahre später folgten eine Spielgruppe und eine Mittagsbetreuung der ersten vier Klassenstufen sowie eine Montessori-Mittelstufe in einem vormaligen Gewerbegebäude am Stadtrand.

Steigende Kinder- und Schülerzahlen sowie auslaufende Genehmigungen für den Betrieb an zwei Standorten führten 2011 zum Beschluss, einen Neubau zu errichten, in dem sowohl ein Kinderhaus mit Krippe und Kindergarten als auch eine Grund- und Mittelschule Platz finden. Nach langer Suche im Stadtgebiet stieß der Verein auf ein geeignetes Grundstück zwischen einem Wohn- und einem Gewerbegebiet im Südosten Freisings und lud fünf Architekturbüros zur Bearbeitung der Aufgabe ein. Auf Grundlage der Entwurfsplanung des Berliner Büros Numrich Albrecht Klumpp, das für Kinderhaus und Schule je ein separates Gebäude vorsah, lobte der Verein schließlich ein EU-weites VOF-Verfahren aus. Dieselben Architekten konnten abermals überzeugen und wurden somit auch mit der umfassenden Objektplanung beauftragt.

Äußere und innere Ordnung

Um fördermittelrelevante Fristen einzuhalten, begannen die Planungen und Baumaßnahmen beim eingeschossigen Kinderhaus. Dieses liegt im rückwärtigen Grundstücksbereich und umschließt zusammen mit dem L-förmigen Schulgebäude einen gemeinsamen Spiel- und Pausenhof, der sich nach Westen hin zu einem kleinen Wäldchen mit Bachlauf orientiert. Ein zu diesem Naturraum offener eingeschnittener Innenhof gliedert das Kinderhaus am Eingangsfoyer in zwei Bereiche, dient zugleich aber auch als verbindende Terrasse. Auf der einen Seite ist eine Krippe mit maximal 13 Kindern zwischen einem und drei Jahren untergebracht, auf der anderen Seite befinden sich zwei Kindergartengruppen für insgesamt 50 Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Jede der Gruppen verfügt über einen Gruppen- und einen Nebenraum, hinzukommen ein Mehrzweckraum für gemeinsame Veranstaltungen und sportliche Aktivitäten sowie Nebenräume und Räume für die Erzieher. Dass das Kinderhaus sehr klar strukturiert ist, entspricht dem Montessori-Prinzip, nach dem eine äußere Ordnung auch zur inneren Ordnung führt.

Die Innenraumgestaltung basiert auf wenigen, farblich angenehm zurück‧haltenden Oberflächen: weiße Wände und Decken (im Eingangsbereich Sichtbetonwände), Holz-Alu-Fenster, Naturholzmöbel, hellgrüner Linoleum-Bodenbelag. Leuchtend gelbe Farbakzente hingegen setzen insbesondere die Garderobenwände im Eingangsbereich und die freistehenden Küchenblöcke in den Gruppenräumen des Kindergartens. Hier können die Kinder Erfahrungen im Zubereiten von Essen sammeln. Ungeachtet dessen wird das Mittagessen – ebenso wie in der Mensa der Schule – von einem Caterer geliefert. Für eine klare äußere Ordnung des Gebäudes sorgt eine zweigeteilte, mit dem Schulhaus korrespondierende Fassade aus grauen Faserzementplatten und vertikalen Lärchenholzbrettern. Übernehmen die Faserzementplatten beim Kinderhaus v. a. die Aufgabe eines robusten, widerstandsfähigen Gebäudesockels, machen sie beim dreigeschossigen Schulhaus zudem noch das Innenraumkonzept ablesbar. Dort bekleiden sie das gesamte EG, in dem sich neben der Sporthalle und den Büros der Schulleitung auch eine Mensa und ein Schülercafé befinden – sämtliche Unterrichtsräume für die insgesamt 320 Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 10 befinden sich im 1. OG (Grundstufe) und 2. OG (Mittelstufe). Hinsichtlich der Farb- und Oberflächengestaltung entspricht das Schulhaus fast vollständig dem Kinderhaus – allein die Klassenzimmer und die Klassenzimmerflure verfügen über dunkelgraue Teppichböden.

»Raum der Mitte«

Obwohl das Schulgebäude in Bezug auf die Flächen grundsätzlich einer vergleichbaren Regelschule entspricht, stellt sich schon im Foyer das Gefühl ein, sich in einem besonders großzügigen und einladenden Gebäude zu befinden. Das liegt v. a. an der offenen Haupttreppe und der großen Pausenhalle mit ihren jeweils über drei Geschosse reichenden Lufträumen, die sowohl für weite Durchblicke als auch für viel Tageslicht sorgen. Darüber hinaus signalisieren Sitzstufen entlang der Straßenfassade und ein an eine Kanzel erinnerndes Treppenpodest, dass die in Gebäudemitte platzierte Pausenhalle auch als Bereich vielfältiger Aktivitäten dient. Und tatsächlich finden hier im »Raum der Mitte« neben Schulfesten und Präsentationen auch Veranstaltungen von Sportvereinen und anderen Gästen statt, die je nach Raumbedarf zusätzlich noch die Sporthalle oder die Mensa anmieten können. Diese Bespielungsmöglichkeiten, der dezidiert »öffentliche« Charakter und die kleinteilige Gestaltung schaffen eine wohltuende räumliche Qualität und lassen das klar gegliederte EG außerdem größer erscheinen als es in Wirklichkeit ist. Diese Großzügigkeit ist auch deshalb möglich, weil die dreigeschossige Pausenhalle kein Bestandteil des Rettungswegekonzepts der drei Unterrichtsbereiche im OG ist. Sie sind mit jeweils einem eigenen Fluchttreppenhaus ausgestattet und von dem über alle Geschosse offenen Bereich mit Glas-Brandschutztüren abgetrennt.

Aktives Lernen

Wie alle bayerischen Montessori-Schulen orientiert sich auch die in Freising an den Bildungs- und Erziehungszielen für staatliche bayerische Schulen. Im Unterschied zu diesen kann sie jedoch frei über die Lehr- und Erziehungsmethoden, die Lehrinhalte und die Formen der Unterrichtsorganisation entscheiden. Und so gibt es statt Frontalunterricht und starren, abgeschlossenen Klassenzimmern jahrgangsgemischte Klassen (1-3, 2-4, 5-7 und 8-10) und flexible Lernräume, die den Kindern vielfältige Erfahrungs- und Bewegungsspielräume eröffnen. Hier können sie sich frei gewählten Aufgaben widmen, die sie sich nach dem Montessori-Leitsatz »Hilf mir, es selbst zu tun« in Begleitung der Pädagogen selbst erschließen. Als Teil der Lernumgebung sind die Flure so gestaltet, dass sie aktiv in den Unterricht miteinbezogen werden können, z. B. wenn sich die Schüler zur Freiarbeit oder zur Arbeit in kleineren Gruppen zeitweise aufteilen. Sie verfügen (ebenso wie die Unterrichtsräume) über weiche Teppichböden und große Sitz- und Sichtfenster in den Klassenzimmerwänden. In den Klassenzimmern – vorgesehen für max. 25 Schüler – gibt es leichte Stühle sowie dreieckige Tische auf Rollen, die sich schnell und mühelos umkonfigurieren lassen, um auf diese Weise alle denkbaren Unterrichtsformen zu unterstützen. Einige der Klassenzimmer verfügen noch über die alte Möblierung aus dem Vorgängerbau, die jedoch in den nächsten Jahren ersetzt werden soll.

Die Schüler erhalten im Verlauf der 9. Klasse den Montessori-Abschluss und legen anschließend die Prüfungen für den Haupt- und den Realschulabschluss ab. Die Fachhochschulreife und Hochschulreife können die Schüler dann an der Montessori Fachoberschule in München erwerben, die der Verein als einer von acht Gründungsgesellschaftern mitgegründet hat. Bislang gibt es keine Pläne, das Montessorizentrum um eine Oberstufe zu erweitern, um vor Ort ein vollständiges Schulangebot bereitstellen zu können – eine wesentliche Rolle in der Schullandschaft Freisings nimmt dieser Standort zweifellos dennoch ein. Nicht nur, weil der Landkreis direkt nebenan gerade eine Realschule errichtet, sondern v. a., weil das Schulhaus ebenso unprätentiös wie beispielhaft aufzeigt, wie Architektur die Kommunikation und das gemeinschaftliche Lernen und Arbeiten fördern kann – jene Fähigkeiten, die sowohl im privaten Bereich als auch im Berufsleben eines jeden immer wichtiger werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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