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TEC21 2018|14
Neubau der Fondazione Feltrinelli
TEC21 2018|14
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Vorhang zu bei Sonnenschein

Mailand ist nicht gerade berühmt für seine Sonnentage. Ob die Nebel der Poebene oder Smog die Stadt in Grau hüllen: An etlichen Tagen im Jahr herrscht diesiges Wetter vor. Die grossen Glasflächen der Fondazione Feltrinelli machten einen aufwendigen Sonnenschutz trotzdem unumgänglich.

6. April 2018 - Peter Seitz
An die «cascine», die lang gezogenen, schmalen Bauernhäuser der Lombardei, soll der Neubau der Fondazione Feltrinelli gemäss den Architekten erinnern (vgl. «Die Wunde heilen»). Eine Betrachtung kann aber auch Assozia­tionen an Treibhäuser wecken, an denen in Italien wahrlich kein Mangel herrscht. Schliesslich sind die 14 249 m² Nutzfläche der Fondazione von 15 362 m² Glasfassade eingehüllt. Da die Gebäudeachse ungefähr von Südost nach Nordwest ausgerichtet ist, sind die lange Südwestfront mit ihrem aufgesetztem Satteldach und der westseitige, verglaste Giebel geradezu prädestiniert, als Sonnenfalle zu wirken. Was im Winter angenehm sein kann, schafft im Sommer klimatische Probleme.

Dementsprechend musste dem Sonnenschutz ein grosses Augenmerk gewidmet werden. Als äussere Hülle kam 10 mm Sonnenschutzglas zum Einsatz, das eine Selektivitätskennzahl von 1.9 und einen Gesamt­energiedurchlassgrad von 0.38 aufweist. Die innere Hülle der Fassade besteht aus Wärmedämmgläsern (low-E), die gleich­zeitig den Schallschutz verbessern. Je nach Ausrichtung der Fensterflächen wurden verschiedene Gläser kombiniert. Die so aufgebauten Glasflächen erreichen einen Ug-Wert von 0.9 W/m2K. Laut Glashersteller entspricht dies dem derzeit erreichbaren Wert einer Doppelverglasung. Niedrigere Werte liessen sich nur mit einer Dreifach­verglasung erreichen, was in anderen Ländern mittlerweile als Standard angesehen werden kann.

Abgeschirmte Scheiben im Süden

Von den 1224 Fenstern können 384 an der Südseite mit Storen aus Stoff vollständig abgeschirmt werden. Waren die rechteckigen Fenster der senkrechten Fassade noch standardmässig auszurüsten, bedurften die rautenförmigen Glasflächen des Satteldachs mancher Überlegung, wie sie wind- und wetterfest abgeschirmt werden können. Die Lösung des eigentlich zweidimensionalen Problems lag in der dreidimensionalen Anordnung der Storenrollen. Sie ragen aus der Glasebene heraus und sind an der Unterseite der umlaufenden Gesimse befestigt. Über eine Umlenkrolle werden die Stoffbahnen in die schräge Ebene des Dachs überführt.

An den obersten beiden Fensterbändern wurden keine aussenseitigen Storen angeordnet. Eine gewisse Beschattung des im Dachspitz liegenden Lesesaals wird durch grossflächige, innen liegende, luftig wirkende Vorhänge erreicht. Die grossen Glasflächen der Giebelseiten des Gebäudes können nicht abgeschirmt werden. Daher wurden hier Gläser mit einem Gesamtenergiedurchlassgrad von maximal 30 % eingebaut. Dies re­duziert das Risiko einer Überhitzung dieser Bereiche deutlich.

Sichtbare Betonflächen dominieren

Die Installationen der Heiz- und Kühltechnik, aber auch der Brandmeldeanlagen und anderer Gebäudetechniken musste sich den Wünschen der Planer nach grossen Flächen Sichtbeton unterordnen. Die Geschossdecken sind in Sichtbeton ausgestaltet. Mit je einer Länge von 40 m, bei einer Breite von 13 m und einer Stärke von 30 cm sind die Deckenplatten als Vollplatten ohne Nachspannelemente gebaut. Die um das Gebäude umlaufenden 15 cm starken Gesimse sind aus thermischen Gründen nur im Bereich der Stützen an die Geschossdecken angeschlossen und kragen etwa 1.40 m aus. Sie dienen zur Aufnahme der Sonnenschutz­einbauten in der Dachebene und können für ­R­einigungs- und Wartungsarbeiten benutzt werden.

Auch die paarweise angeordneten Stützen mit ihrer ungewöhnlichen dreieckigen Form sind passend zu den Geschossdecken in Sichtbeton erstellt. Zum Einsatz kam wie auch bei den oberirdischen Böden und Gesimsen ein Beton der Klasse C32/40. Im Querschnitt weisen die Stützen ein gleichseitiges Dreieck mit einer Kantenlänge von 70 cm auf. Aufgrund der benötigten Menge, eines effektiveren Bauablaufs und der hohen Anforderungen an die Erscheinung des Betons wurden die Stützen als Fertigelemente produziert und mit den in Ortbeton erstellten Geschossdecken verbunden.

Sehr wichtig für den gewünschten Ausdruck der ausgedehnten Sichtbetonflächen war neben den üblichen Anforderungen bezüglich der Vermeidung von Kiesnestern, Verfärbungen und Rostspuren die Verhinderung von Rissen. Gemäss Betonhersteller konnten die Rissbreiten auf 150 µm beschränkt werden und blieben damit weit unterhalb der geforderten Begrenzung auf 250 µm.

Gebäudetechnik weitgehend versteckt

Die Betondecken mussten sichtbar bleiben, um den Ausdruck der formal strengen Architektur aufrechtzuerhalten. Abgehängte Decken zur Aufname von technischen Installationen waren somit ausgeschlossen. Daher wurden nur Brandmelder und Lichtpunkte, aus energetischen Gründen mit LED-Technologie, in die Decken selbst eingelassen. Die Klimatisierungstechnik musste anderweitig Platz finden. Da jedoch auch der an den Fassaden verfügbare Raum mit der wechselnden Folge von dreieckigen Betonstützen und den Fenster­elementen stark zur architektonischen Wirkung beiträgt, musste die Klimatisierung möglichst unauffällig untergebracht werden.

Die Planer entschieden sich für den Einbau von Gebläsekonvektoren mit Primärluft­einlass, die sie vor der Fensterfront im Hohlboden ­versenkten. Die speziell für dieses Gebäude entwickelten Konvektoren besitzen ein 4-Rohr-System, das es ermöglicht, gewisse Gebäudeteile zu beheizen, andere hingegen gleichzeitig zu kühlen. Die ausgeprägte Südost-Nordwest-Ausrichtung des Gebäudes macht dies unter Umständen nötig.

Die Anordnung der Klimatisierungsgeräte unterhalb der geneigten Fensterflächen der Dachebene warf Fragen bezüglich des Komforts auf. Kalte Luft hätte durch den Rückprall von den geneigten Wandflächen zu unangenehmen Zuglufteffekten vor allem im Fussbereich führen können. Daher liessen die Planer beim Hersteller der Klimatechnik ein Teilmodell der geneigten Fassade mit eingebautem Konvektor im Massstab 1 : 1 untersuchen.

Klima dank Grundwasser

Die Kühl- und Wärmeleistung für die Gebläsekonvektoren wird über Grundwasserwärmepumpen bereitgestellt. Das hohe Grundwasservorkommen Mailands bot sich hierfür geradezu an. Neun Grundwasserbrunnen können, aufgrund der über das Jahr wenig schwankenden Temperatur des Fluids, eine konstante Leistung und genügende Kapazität für die Kälte- und Wärmegewinnung sicherstellen. Im Winter muss eine maximale thermische Leistung von 562.7 kW bereitgestellt werden. Die notwendige sommerliche Kühlleistung kann bis zu 1637.3 kW betragen.

Dank der Kombination aus Beschattung, geeigneten Gläsern und effektiver Klimatechnik konnten die Planenden für das Gebäude die Energieeffizienzklasse B erreichen. Das Gebäude verbraucht damit weniger als 75 kWh/m2a Energie und reiht sich zwischen den Minergie -P- und den Minergie -A-Kennzahlen für neu gebaute Verwaltungsgebäude ein (100 respektive 35 kWh/m2a). Zudem wurde dem Gebäude die LEED-Zertifizierung Silver bescheinigt. 256 t CO2 sollten so jährlich eingespart werden können, was etwa einer Menge von 100 000 l Heizöl entspricht.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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